Entscheidend für die Minderung der Erwerbsfähigkeit aus ist der Zeitpunkt der Feststellung. Copyright by Adobe Stock/Aleksej
Entscheidend für die Minderung der Erwerbsfähigkeit aus ist der Zeitpunkt der Feststellung. Copyright by Adobe Stock/Aleksej

 

Das Bundessozialgericht musste kürzlich darüber entscheiden, ob sich die Folgen einer Berufskrankheit bei einem Versicherten seit der letzten Feststellung erheblich verschlimmert haben. Eine Verschlimmerung ist rechtlich nur erheblich, wenn die Erwerbsfähigkeit um mindesten weitere 10 Prozentpunkte herabgesunken ist. Ein Sachverständigengutachten hatte gezeigt, dass sich die Folgen tatsächlich erheblich verschlimmert hatten. Allerdings hatte sich die BG beim letzten Bescheid geirrt und die MdE zu hoch eingeschätzt.

 

Bescheide können eine einmalige Leistung betreffen oder Dauerwirkung entfalten

 

Behörden treffen ihre Entscheidung durch Verwaltungsakt, indem sie den Bürger*innen einen schriftlichen Bescheid zustellen. Einen Monat nachdem die Behörde den Bescheid bekannt gegeben hat, ist er unanfechtbar geworden, wenn die/der Betroffene nicht mit einem Widerspruch oder eine Klage dagegen vorgegangen ist.

 

Ob Widerspruch oder Klage zu erheben ist, kommt auf jeweils anzuwendende Rechtsvorschriften an. Das ergibt sich im Zweifel aber auch aus der Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung. Bescheide können unterschiedlicher Art sein. Interessant in Zusammenhang mit unserem Fall sind Verwaltungsakte mit Dauerwirkung.

 

Das sind Bescheide, die - wie der Name schon sagt - etwas auf Dauer regeln. Dazu gehören etwa Rentenbescheide oder Bescheide, mit denen die Behörde den Grad der Behinderung (GdB) feststellt. Oder auch der Verwaltungsakt, mit dem eine Berufsgenossenschaft die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) feststellt.

 

Es gibt konstitutive und deklaratorische Verwaltungsakte

 

Bescheiden mit Dauerwirkung können sowohl konstitutiv, als auch deklaratorisch sein. Ist ein Bescheid konstitutiv, wird damit eine Leistung gewährt, etwa eine monatliche Rente in bestimmter Höhe. Mit einem deklaratorischen Verwaltungsakt stellt eine Behörde lediglich einen Sachverhalt fest, der zuvor schon bestand. Dazu gehört zum Beispiel der Bescheid, mit dem eine Behörde den GdB feststellt.

 

Wer schwerbehindert ist, ist das unabhängig von der Feststellung der Behörde. Wem am Bein ein Unterschenkel fehlt, hat einen GdB von 50, auch wenn er weder einen Bescheid noch einen Ausweis darüber hat. Der Verwaltungsakt, mit dem der GdB festgestellt wird, hat also nur Beweisfunktion. Der Bescheid einer Berufsgenossenschaft enthält häufig beide Elemente: die Feststellung der MdE ist rein deklaratorisch.

 

Wenn mit dem Bescheid gleichzeitig eine Rente gewährt wird, ist dieser Teil ein konstitutiver Verwaltungsakt. Da die Höhe einer Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit stets von der Höhe der MdE abhängt, geht es in entsprechenden Verfahren zunächst darum, wie stark die Erwerbsfähigkeit tatsächlich gemindert ist. Und ob im Zweifel die BG richtig festgestellt hat.

 

Nach den Sachverständigengutachten lag die MdE nunmehr um etwa 10 Prozentpunkte höher als 2011

 

In unserem Fall geht es um einen Versicherten, der sich in seinem Beruf einen Meniskusschaden zugezogen hat, weil er mehrere Jahre Tätigkeiten ausgeübt hat, die seine Kniegelenke überdurchschnittlich belastet haben (BK Nr. 2102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung). Die BG hatte mit Bescheid von Januar 2011 eine MdE von 30 Prozentpunkten festgestellt und ihm eine entsprechende Rente gewährt. Als Folgen der Berufskrankheit hatte die BG Bewegungseinschränkungen des linken und rechten Kniegelenksanerkannt.

 

Zudem ging sie davon aus, dass der Versicherte beide Beine aufgrund der Verletzung nur noch eingeschränkt belasten kann. Röntgenologisch hatte er zudem eine mittelgradige Kniegelenksarthrose beidseits nach operativer Teilentfernung des linken und rechten Innenmeniskus nachgewiesen. Die Folgen der Verletzung verschlimmerten sich freilich über die Jahre. Im März 2015 musste dem Versicherten eine zementierte, ungekoppelte, bikondyläre Oberflächenersatzprothese und eine Resektionsarthroplastik links implantiert werden.

 

Nach den Sachverständigengutachten lag die MdE nunmehr um etwa 10 Prozentpunkte höher als 2011. Die BG lehnte aber einen Verschlimmerungsantrag ab, weil sich die Folgen zwar in der Tat verschlimmert hätten. Jedoch habe sie die Folgen im Jahr 2011 falsch eingeschätzt und damals eine zu hohe MdE festgestellt. Erst jetzt, nachdem sich die Folgen verschlimmert hätten, wäre eine MdE von 30 Prozentpunkte korrekt.

 

Die Instanzgerichte waren der Auffassung, dass eine relevante Änderung der Verhältnisse vorliegt

 

Es gibt im Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) zwei Vorschriften, die in diesem Zusammenhang insbesondere wichtig sind: § 45 SGB X betrifft den Fall, dass die Feststellung von Anfang an (zum Zeitpunkt der Feststellung) bereits falsch gewesen ist. In diesem Fall darf der Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden. § 48 SGB X regelt den Fall, dass die Feststellung erst später nicht mehr stimmt, also auch die „Verschlimmerung“.

 

Dann wird der Bescheid in der Regel mit Wirkung ab der Änderung zurückgenommen und die MdE ab diesem Zeitpunkt neu festgestellt. Hiergegen ist der Versicherte vorgegangen und er bekam sowohl vom Sozialgericht Münster (SG) als auch vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) Recht. Es würde nämlich nach Auffassung der Instanzgerichte eine relevante Änderung der Verhältnisse vorliegen.

 

Rechtlich unerheblich sei, dass die Sachverständigen übereinstimmend und überzeugend dargelegt hätten, dass die MdE bei "isolierter" Bewertung, die ohne Berücksichtigung der 2011 bestandskräftig festgesetzten MdE, ab dem März 2015 lediglich mit 30 Prozentpunkten einzuschätzen wäre. Der Bescheid vom 18. Januar 2011 sei hinsichtlich der Feststellung der MdE um 30 Prozentpunkte in Bestandskraft erwachsen, meinten SG und LSG. Da eine Korrektur des ungerechtfertigten Vorteils den Vertrauensschutz des Betroffenen unterlaufen würde, sei das ihm durch den Verwaltungsakt Zugesprochene entsprechend der eingetretenen Änderung aufzustocken oder zu vermindern.

 

Eine bestandskräftige Verletztenrente ist nicht zu erhöhen, wenn die MdE jetzt so hoch ist, wie im ursprünglichen Bescheid angenommen

 

Das Bundesozialgericht (BSG) sah das freilich anders. Der Versicherte hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 40 Prozentpunkte wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse.

 

Zutreffend ist das LSG zwar davon ausgegangen, dass seit dem Erlass des Ursprungsbescheides vom 18. Januar 2011 eine Verschlimmerung der anerkannten Gesundheitsschäden mit Zunahme der Funktionseinschränkungen und Erhöhung der durch diese bedingten MdE von 20 Prozentpunkte auf 30 Prozentpunkte eingetreten ist. Diese Änderung sei jedoch rechtlich nicht wesentlich.

 

Ein Anspruch auf Erhöhung der bisher bestandskräftig festgestellten Verletztenrente nach einer MdE von 30 Prozentpunkten um einen Erhöhungsbetrag entsprechend 10 Prozentpunkten zu einer Verletztenrente nunmehr nach einer MdE von 40 Prozentpunkten habe nicht deshalb bestanden, weil mit dem Bescheid vom 18. Januar 2011 die Verletztenrente rechtswidrig zu hoch nach einer MdE von 30 Prozentpunkten festgestellt worden sei. Den Regelungen der §§ 48, 45 SGB X sei nicht zu entnehmen, dass in der vorliegenden Fallkonstellation eine bestandskräftige Verletztenrente zu erhöhen sei, wenn die MdE jetzt so hoch sei, wie im ursprünglichen Bescheid angenommen.

 

Terminvorschau und Terminbericht des Bundessozialgerichts

 

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