DGB Rechtsschutz Hamburg wendet Zwangsverrentung für Verdi-Mitglied ab.
DGB Rechtsschutz Hamburg wendet Zwangsverrentung für Verdi-Mitglied ab.


Im Sommer 2015 hatte das Bundessozialgericht (BSG) die Zwangsverrentung von Hartz IV-Empfängern abgesegnet.

Die Vorschrift des § 12a SGB II begegne keine verfassungsmäßigen Bedenken. Danach können Arbeitslose ab 63 Jahren aufgefordert werden, einen Antrag auf vorzeitige Altersrente zu stellen, auch mit Abschlägen.
 
Hilfebedürftige sind aber dann nicht verpflichtet, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn dies unbillig wäre. Geregelt ist das in einer Unbilligkeitsverordnung. Eine Unbilligkeit vermochte das BSG nicht einmal dann zu sehen, wenn die Rente gar nicht zum Leben reicht. Denn in der Unbilligkeitsverordnung seien die Ausnahmetatbestände abschließend geregelt, so hieß es.
 

Änderung der Unbilligkeitsverordnung

 
Die erhoffte Wende durch die Rechtsprechung blieb also aus. Nun hat der Gesetzgeber eingegriffen. Er hat die Unbilligkeitsverordnung (Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente) geändert.
 
Seit dem 01.01.2017 regelt der neue § 6 der Verordnung die Hilfsbedürftigkeit im Alter.
Unbillig ist die Inanspruchnahme danach auch dann, wenn Leistungsberechtigte dadurch hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter werden würden. Wenn also die Altersrente so gering ausfallen würde, dass zusätzlich Leistungen der Grundsicherung erforderlich würden, müssen Betroffene keine vorzeitige Rente beantragen.
 
Konkret ist in der Verordnung dazu folgendes geregelt:
Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Betrag in Höhe von 70 Prozent der bei Erreichen der Altersgrenze (§ 7a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) zu erwartenden monatlichen Regelaltersrente niedriger ist als der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Unbilligkeit maßgebende Bedarf der leistungsberechtigten Person nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.
 

Erfolgreiches Verfahren gegen Aufforderung zur Rentenantragsstellung

 
Unter Hinweis auf diese Änderung konnte der DGB Rechtsschutz in Hamburg eine Zwangsverrentung für ein Mitglied der Gewerkschaft ver.di verhindern.
Das Jobcenter hatte die Frau kurz nach ihrem 63. Geburtstag aufgefordert, einen Antrag auf Altersrente zu stellen. Im Widerspruchsverfahren erfolgte schon durch den Prozessvertreter der Hinweis auf die geänderte Unbilligkeitsverordnung und darauf, dass die Rente die Hilfebedürftigkeit nicht beendet.
 
Da das Jobcenter das aber nicht so einfach einsehen wollte, erfolgte Klage und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Hamburg. Ziel des Eilverfahrens war, dass zumindest so lange, wie das Klageverfahren dauert, keine Rente beantragt werden muss. 
 

Sozialgericht Hamburg sieht unbillige Härte 

 
Erfreulicherweise folgte zügig ein deutlicher richterlicher Hinweis. Die Antragstellerin sei nach vorläufiger Prüfung nicht zur vorzeitigen Inanspruchnahme ihrer Rente wegen Alters verpflichtet, hieß es. Denn der neu eingeführte § 6 der Unbilligkeitsverordnung zur Hilfebedürftigkeit im Aller sei einschlägig. Das Gericht rechnete vor, dass der Bedarf, also das was die Frau zum Leben braucht, höher ist als 70% der zu erwartenden Altersrente. 
 
Nur noch weniger als ein Monat verging, dann teilt das Jobcenter dem Gewerkschaftsmitglied folgendes mit:
 
„Nach eingehender Prüfung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine vorzeitige Rentenantragstellung zu einer unbilligen Härte führen würde. Somit sind Sie nicht verpflichtet vorzeitig Rente zu beantragen.“


Der vollständige richterliche Hinweis vom Sozialgericht Hamburg kann hier nachgelesen werden.


Lesen Sie auch:


Bundessozialgericht: Jobcenter darf zum Antrag auf vorzeitige Altersrente auffordern

Hier gehts zur Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung - UnbilligkeitsV)

Das sagen wir dazu:

An der unsäglichen Regelung des § 12a SGB II ändert sich zwar nichts. Die neue Unbilligkeitsverordnung setzt aber immerhin an einer wichtigen Stelle an. Es war mehr als unverständlich, weshalb jemand in eine Rente gedrängt werden sollte, die so gering ist, dass Sozialleistungen weiterhin erforderlich sind.
Die Regelung zur Hilfsbedürftigkeit im Alter gibt den Betroffenen und deren Prozessvertretern ein wichtiges Instrument an die Hand, um gegen Zwangsverrentungen vorzugehen.  
 
Abschließend noch ein Hinweis unabhängig vom Fall aus Hamburg: Auch, wenn in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch genommen werden kann, ist die vorzeitige Rentenantragstellung unbillig.