In Corona-Zeiten gelten andere Regeln. Copyright by Adobe Stock/Pétrouche
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In der vom Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen im Wege einer einstweiligen Anordnung entschiedenen Sache ging es um eine Familie, die mit fünf Kindern in einer 120 m2 großen Vierzimmerwohnung lebte.
 
Nach der Geburt des sechsten Kindes zog die achtköpfige Familie im September 2020 in ein Einfamilienhaus mit sechs Zimmern mit einer Wohnfläche von 150 m2. Die monatliche Kaltmiete beträgt 1.300,- Euro. Das Jobcenter (JC) verweigerte die Übernahme der vollen Mietkosten. In seiner Entscheidung wies das JC darauf hin, dass die Angemessenheitsgrenze für einen Achtpersonenhaushalt nach üblichen Maßstäben bei 919,- € liege. Gegen die Entscheidung des JC beantragten die Antragsteller beim Sozialgericht (SG), das JC zur Übernahme der vollen Mietkosten zu verpflichten.
 
 

Sozialgericht bestätigt Entscheidung des JC

Mit Beschluss vom 1. September 2020 lehnte das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Zur Begründung führte das erstinstanzliche Gericht aus, dass eine Übernahme der Kosten im Eilverfahren nur im Ausnahmefall zugesprochen werden könne, da dies die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehme. Vorliegend handele es sich nicht um einen solchen Ausnahmefall, da weder die Angemessenheit der neuen Wohnung noch die Erforderlichkeit des Umzugs feststehe. An dem vom JC für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft (KdU) erstellten Konzept beständen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Bruttokaltmiete der neuen Wohnung liege deutlich oberhalb der vom JC festgesetzten Mietobergrenze von 919,00 Euro. Die bisherige Wohnung sei erst Ende 2018 und damit unmittelbar vor der Geburt des fünften Kindes bezogen worden. Mit 120 m2 Wohnfläche habe sie nur geringfügig unterhalb der für eine achtköpfige Bedarfsgemeinschaft angemessenen Wohnfläche von 125  m2 gelegen. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, keine günstigere Wohnung finden zu können.
 
 

Corona-Pandemie erfordert keine Prüfung der Mietkosten - Jobcenter muss volle Miete übernehmen

Unter Abänderung der Entscheidung des SG hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Beschwerde der Antragsteller, das JC zur vorübergehenden Übernahme der vollen Mietkosten verpflichtet.
Die neue gesetzliche Regelung, so das Beschwerdegericht, sehe vor, dass in Corona-Zeiten für die Dauer von sechs Monaten keine Prüfung erfolgen solle, ob die von den Leistungsbeziehern für ihre Wohnung zu zahlende Miete zu teuer sei. Dies gelte nicht nur für seit Langem bewohnte Wohnungen, sondern auch für eine gerade erst neu bezogene, zu teure Wohnung. Darüber hinaus führte das LSG aus, dass die Regelung auch Anwendung finde, obwohl weder die Hilfebedürftigkeit der Familie noch ihr Umzug direkt auf die Corona - Pandemie zurückzuführen seien. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage sei ausdrücklich nicht erforderlich.
 
 

Auch Luxusmieten werden übernommen

Nach der Kommentarliteratur, so das LSG, sei die Norm möglicherweise sogar auf exorbitant hohe Mieten bzw. Luxusmieten anwendbar, Wegen des weitreichenden Wortlautes finde eine Begrenzung nicht statt. Aufgrund der zeitlichen Beschränkung des Sozialschutzpakets erfolge die Übernahme der zu teuren Miete nur für einen begrenzten Zeitraum. Im vorliegenden Fall betrage dieser fünf Monate.
 
 
Hier finden Sie die vollständige Entscheidung des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom  20. September 2020

Rechtliche Grundlagen

§ 22 Abs. 4 SGB II, § 67 Abs. 3 SGB II,

§ 22 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB II) - Bedarfe für Unterkunft und Heizung
(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.


§ 67 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) II
Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2; Verordnungsermächtigung

(3) § 22 Absatz 1 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Absatz 1 Satz 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 genannte Frist anzurechnen ist. Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewiligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden.