Jobcenter streicht krankem Leistungsbezieher sämtliche Leistungen nach dem SGB II!
Jobcenter streicht krankem Leistungsbezieher sämtliche Leistungen nach dem SGB II!

Nachdem das Sozialgericht Konstanz dem Jobcenter Recht gab, hob das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg diese Entscheidung auf.

Das Jobcenter will nicht weiter leisten

Weil der Betroffene an einer chronifizierten Krankheit litt, war das Jobcenter der Auffassung, dass er möglicherweise nicht mehr erwerbsfähig und damit eine Voraussetzung für den Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II entfallen sei. Deshalb forderte das Jobcenter ihn auf, einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu stellen. Als er dieser Aufforderung nicht nachkam, stellte das Jobcenter den Antrag für ihn. Das Rentenverfahren nahm ab August 2012 seinen Lauf.

Das Jobcenter trifft eine folgenschwere Entscheidung

Ab dem 01.02.2013 strich das Jobcenter sämtliche Leistungen nach dem SGB II vollständig. Als Begründung gab es an, dass die Mitwirkung des Betroffenen beim Rentenverfahren nicht ausreichend gewesen sei, weil er Antragsformulare für die Rente nicht ausgefüllt habe.
Da er keine Leistungen mehr erhielt, konnte der Mann seine Miete nicht mehr bezahlen, erhielt die Kündigung und sah sich einer Räumungsklage ausgesetzt.

Das Jobcenter traf eine rechtswidrige Entscheidung

Das LSG stellte fest, dass die Entscheidung des Jobcenters in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig war. Zum einen seien vom Betroffenen ausgefüllte Antragsformulare keine Voraussetzung dafür, dass die Deutsche Rentenversicherung das Rentenverfahren durchführen kann. Und zum anderen habe das Jobcenter sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Gerade wenn die Wohnung in Gefahr war, hätte das Jobcenter nachvollziehbar begründen müssen, warum es die Leistungen trotzdem streicht.

Das Jobcenter muss die Kosten der Räumungsklage tragen

Auch wenn der Vermieter die rückständige Miete bekam und seine Räumungsklage deshalb zurücknahm, stellte sich das Problem, ob der Mieter auf den Gerichtskosten in Höhe von 857,68 € sitzen bleibt.
Das LSG stellte klar, dass die Mietrückstände ohne Verschulden des Beziehers von Leistungen nach dem SGB II entstanden seien. Die Kosten der Räumungsklage können ihn deshalb nicht treffen. Vielmehr seien diese Kosten als Unterkunftskosten zu werten und dem Leistungsbezieher zu ersetzen.

Das Jobcenter kann in Revision gehen

Da der Fall nach Ansicht des Berufungsgerichts grundsätzliche Bedeutung besitzt, hat es die Revision zum Bundessozialgericht ausdrücklich zugelassen. Ob das Jobcenter von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, bleibt abzuwarten.
Hier geht's zu Pressemitteilung des LSG Baden-Württemberg zum Urteil vom 27.6.2017 - L9 AS 1742/14

Das sagen wir dazu:

Auch wenn es sich im konkreten Fall um eine eher überschaubare Summe handelt, wäre es im Interesse der Leistungsempfänger mehr als wünschenswert, wenn Jobcenter nicht dadurch indirekt Gelder verschleudern, dass sie rechtswidrige Bescheide erlassen, mit denen sie Betroffenen zudem noch jede materielle Lebensgrundlage entziehen.

Rechtliche Grundlagen

§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I und § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch
§ 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I:
Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch
§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II:
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.