Klagen kann sich lohnen.
Klagen kann sich lohnen.

Der Kläger nahm an einer von der beklagten Bundesagentur für Arbeit geförderte Maßnahme zur Ausbildung zum Fachpraktiker für Holzverarbeitung teil. Für die täglichen Fahrten von der Wohnung zur Ausbildungsstätte und retour, die der Kläger mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegte, bewilligte die Beklagte dem Kläger die tatsächlichen monatlichen Fahrtkosten in Höhe von 127,40 €. Wegen einer Fahrpreiserhöhung zum 01.01.2014 auf 131,00 € monatlich stellte der Kläger Antrag auf Anpassung der Fahrtkosten. Die Beklagte legte diesen unter Hinweis darauf, dass es sich lediglich um eine geringfügige Fahrpreiserhöhung von weniger als 5,00 € handele, ab.

Agentur für Arbeit beruft sich auf "isolierte Betrachtungsweise" und lehnt erneuten Antrag ab

Zum 01.01.2015 kam es zu einer weiteren Fahrpreiserhöhung auf nunmehr 134,00 € monatlich. Hieraufhin stellte der Kläger erneut Antrag auf Anpassung der Fahrtkosten, der von der Beklagten abgelehnt wurde. Begründet wurde die erneute Ablehnung damit, dass sich die Fahrtkosten ab 01.01.2015 um weniger als 5,00 € erhöht hätten. Denn, so die Begründung der Beklagten, jede Fahrpreiserhöhung sei dahingehend isoliert zu betrachten, ob diese Fahrpreiserhöhung (noch) geringfügig sei oder nicht.

Sozialgericht hält die von der Agentur für Arbeit angenommene Grenze für eine geringfügige Fahrpreiserhöhung mit 5,00 € für angemessen, kann jedoch der "isolierten Betrachtungsweise" der Agentur für Arbeit nichts abgewinnen

Dieser schon befremdend anmutenden Rechtsauffassung der beklagten Agentur für Arbeit vermochte die 4. Kammer des Stuttgarter Sozialgerichts nicht zu folgen und hat der vom Kläger erhobenen Klage stattgegeben. Die Beklagte wurde verurteilt, dem Kläger ab 01.01.2015 Fahrtkosten in Höhe von 134,00 € zu gewähren. Begründet wurde die für den Kläger positive Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Nach §§ 112 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 53 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden als Reisekosten die erforderlichen Fahrtkosten übernommen (§ 53 Abs. 1 SGB IX). Dabei werden Fahrtkosten in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Klasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist, bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes. Bei nicht geringfügigen Fahrpreiserhöhungen hat auf Antrag eine Anpassung zu erfolgen, wenn die Maßnahme noch mindestens zwei weitere Monate andauert.

Die von der Beklagten angenommene Grenze für eine geringfügige Fahrpreiserhöhung mit 5,00 € haben die schwäbischen Sozialrichter*innen als angemessen angesehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei jedoch nicht jeweils isoliert auf den Wert der einzelnen Fahrpreiserhöhung, sondern auf den Wert der Erhöhung, gemessen an der letzten Bewilligungsentscheidung der Beklagten über die Gewährung von Fahrtkosten abzustellen. Ausgehend hiervon ergab sich ab 01.01.2015 eine über 5 € liegende Erhöhung, die sich aus der Differenz der Bewilligungsentscheidung zu Beginn der Maßnahme und der erneuten Preiserhöhung ab Januar 2015 ergibt. Geringfügigkeit lag damit nicht mehr vor.

Anmerkung:

Es ist schon erstaunlich mit welchen Begründungen Agenturen für Arbeit immer wieder versuchen, offenkundig bestehende Ansprüche zu verweigern. 

In dem vorliegenden Fall ging es letztendlich um wenige Euro, was aber die zuständige Agentur für Arbeit nicht veranlassen konnte dem ersichtlich begründeten Antrag ihres "Kunden" auf Bewilligung der ab 01.01.2015 erhöhten Fahrtkosten stattzugeben. Stattdessen machte man sich wohl Gedanken, wie es gelingen könnte, dem Antrag nicht stattzugeben. Da nicht anzunehmen ist, dass die Agenturen für Arbeit Mitarbeiter*innen mit der Bearbeitung von Widersprüchen beauftragt, die keine sozialrechtlichen Kenntnisse haben, lässt die zum ablehnenden Bescheid führende Begründung der Beklagten die Vermutung aufkommen, dass mit derartigen Entscheidungen versucht werden soll, den sogenannten Kunden der Agentur für Arbeit, bestehende Ansprüche vorzuenthalten. Es scheint für die Bundesagentur für Arbeit keine Rolle zu spielen, wenn ihre Beschäftigten beantragte und offenkundig begründete Ansprüche mit hanebüchenen Begründungen ablehnen und dann noch ihre Zeit damit verbringen, sich von Sozialgerichten sagen lassen zu müssen, dass die von der Agentur für Arbeit vertretene Rechtsauffassung völlig daneben liegt.

Lesen sie hier die Pressemitteilung des Sozialgericht Stuttgart, Urteil vom 26.01.2016, S 5 AL 3774/15 (Auszug der aktuellen Rechtsprechung des Sozialgerichts Stuttgart (Stand: 05. August 2016)

Lesen Sie auch:

Kostenentscheidung bei Verschulden: Sozialgericht verpflichtet Jobcenter zur Zahlung von 2.000 Euro Verschuldenskosten!


Im Praxistipp: Im Zweifelsfall Rechtsschutz bei der Gewerkschaft beantragen!

Rechtliche Grundlagen

Im Zweifelsfall Rechtsschutz bei der Gewerkschaft beantragen!

Wenn Zweifel an der Richtigkeit von Bescheiden der Agenturen für Arbeit/den JobCentern bestehen, können Mitglieder der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vereinigten Gewerkschaften (IG BAU, IG BCE, EVG, GEW, IG Metall, NGG, GdP, ver.di) Rechtsschutz bei der Gewerkschaft beantragen, deren Mitglied sie sind.

Nach erfolgter Rechtsschutzgewährung kann eine kostenfreie Beratung/Vertretung durch die bundesweit in 111 Büros tätigen Juristen*innen der DGB Rechtsschutz GmbH erfolgen.

In vielen Fällen lohnt sich eine Überprüfung der ALG I und ALG II Bescheide, da im Falle des Widerspruchs/der Klage, in ca. 40 Prozent der Fälle, ganz oder teilweise zu Gunsten der Betroffenen entschieden wird.