Urlaubsansprüche auf dem "EuGH-Prüfstand". Copyright by Adobe Stock/MQ-Illustrations
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Zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet.
Vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 war die Klägerin bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Im Kalenderjahr hatte sie Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub.
Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass der Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können.
In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt.
 

Beklagter macht Einrede der Verjährung geltend

Im Verlauf des Prozesses erhob der Beklagte die Einrede der Verjährung. Er machte geltend, dass für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sei.
 

Landesarbeitsgericht korrigiert Entscheidung des Arbeitsgerichts

Nachdem das Arbeitsgericht Siegburg der Klägerin lediglich einen Urlaubsgeltungsanspruch in Höhe von 548,71 Euro brutto zusprach, legte diese beim Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf Berufung ein.
Auf die Berufung der Klägerin änderte das LAG das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen ab und verurteilte den Beklagten, an die Klägerin über die ihr erstinstanzlich zugesprochenen  548,71 Euro brutto hinaus weitere 17.376,64 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2017 zu zahlen.
In seiner Begründung führt das zweitinstanzliche Gericht aus, dass die Klägerin mit ihrer Berufung die Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichtetes Begehren in erstinstanzlich zuletzt beantragter Höhe weiter verfolge.
Auf den Einwand der Verjährung des Beklagten, so das LAG, komme es letztendlich nicht an. Denn zumindest das Schreiben des Beklagten vom 1. März 2012, in dem der Klägerin zum 31. Dezember 2011 ein Urlaubsanspruch von 76 Tagen bescheinigt wurde, sei als Anerkenntnis zu werten.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Verjährbarkeit von Urlaubsansprüchen ließ das LAG die Revision für den Beklagten zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zu.
 

BAG: Keine Verjährung nach dem Bundesurlaubsgesetz

Nach Auffassung des BAG sei es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren.
Nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), so das Revisionsgericht, könnten die Urlaubsansprüche nicht verfallen. Denn bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift könne der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert habe, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen habe, dass dieser andernfalls verfallen werde. Dieser Obliegenheit sei der Beklagte nicht nachgekommen.
 

BAG ersucht den EuGH um Vorabentscheidung

Vor diesem Hintergrund hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen könne, den gesetzlichen Verjährungsfristen unterliege?
 
Hier geht es zum Text des Vorlagebeschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 29.9.2020:
 
9 AZR 266/20 (A)
Vorlagebeschluss (BAG)    I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:

 
Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB entgegen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?
 
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt.   
Hier finden Sie die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.9.2020
 
Für Interessierte:
 
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 2.2.2020, Az: 10 Sa 180/19

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.2.2019, 9 AZR 541/15 zum Thema: „Verfall von Urlaub - Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers“

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus BUrlG, Arbeitszeitrichtlinie, Charta der Grundrecht, BGB

§ 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz:

(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.


Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 EG - Jahresurlaub -
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden




Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen

(2) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.


§ 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
Gegenstand der Verjährung
(1) Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung.


§ 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Regelmäßige Verjährungsfrist
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.