Liest man sich den Gesetzestext zur Fristenberechnung durch, kann man sich schon mal schnell in ganz fremde Welten versetzt fühlen. © Adobe Stock: Rarity Asset Club
Liest man sich den Gesetzestext zur Fristenberechnung durch, kann man sich schon mal schnell in ganz fremde Welten versetzt fühlen. © Adobe Stock: Rarity Asset Club

Der junge Mann aus der Westpfalz begann am 30. August 2021 seine Ausbildung mit einem ersten Schultag. Erst kurz darauf, am 1. September, trat er seine praktische Ausbildung im Betrieb seines Arbeitgebers an. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung.

 

Der Tarifvertrag zum tariflichen Zusatzgeld (TV T-Zug) regelt folgendes:

 

"Beschäftigte und Auszubildende, die jeweils am 28. Februar eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf ein Transformationsgeld (T-Geld).

Im Jahr 2022 beträgt das T-Geld 18,4 % eines Monatsentgeltes bzw. der Ausbildungsvergütung".

 

§ 188 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) regelt die Fristberechnung

 

Mit der Vergütung für Februar 2022 erhielt der Auszubildende kein Transformationsgeld. Auf seine Geltendmachung hin teilte der Arbeitgeber ihm mit, er sei erst am 1. September eingestellt worden. Die sechs-Monatsfrist des Tarifvertrages ende erst mit Ablauf des 28. Februar 2022, also in dem Moment, in dem der 1. März beginne.

 

Der Arbeitgeber stützte sich dabei auf § 188 Abs. 2 BGB. Darin heißt es:

 

„Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.“

 

Hört sich schwierig an!

 

Die zweite Alternative dieser Vorschrift hat hier Bedeutung. Danach endet eine Frist, die ab einem festgelegten Datum beginnt (hier der 1. September 2021), „mit Ablauf des Tages, welcher dem Tag vorausgeht, der durch seine Benennung dem Anfangstag der Frist entspricht“. Es bleibt auch in verkürzter Form unklar.

 

Der Arbeitgeber jedenfalls legte die Frist so aus: Ausgehend vom Einstellungsdatum, dem 1. September 2021, wäre der Tag, in dem die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit erworben sei der 28. Februar 2021. Den müsse der Kläger aber dazurechnen, so dass die sechs Monate erst am folgenden Tag, dem 1. März abgeschlossen seien.

 

Dass der Kläger bereits am 30. August die Schule besucht habe, spiele keine Rolle. Das Ausbildungsverhältnis habe erst am 1. September begonnen.

 

Der junge Mann wollte es wissen

 

Die Auffassung seines Arbeitgebers konnte der Auszubildende nicht teilen und wandte sich an seine Gewerkschaft, die IG Metall. Nach der Erteilung von Rechtsschutz beschritt Thomas Backes vom DGB Rechtsschutzbüros Pirmasens den Weg zum Arbeitsgericht. Gleich mehrere Auszubildende vertrat er in Pirmasens und auch in Saarbrücken. In Pirmasens unterlag der Arbeitgeber.

 

Seinen Berechnungen nach habe die Beklagte zwar die richtige Rechtsvorschrift, nämlich § 188 Abs. 2 BG zu Grunde gelegt. Daraus ergebe sich jedoch nicht das von der Beklagten errechnete Ergebnis. Die Frist ende am 28. Februar. Damit gehöre der Kläger am 28. Februar 2022 sechs Monate dem Betrieb ununterbrochen an.

 

Die zeitliche Einheit bestimmt den Fristablauf

 

Im Sinne des § 188 BGB bilde der Ablauf des dort jeweils näher bezeichneten Tages einen Teil der zeitlichen Einheit des Tages und mit diesem auch einen Teil der jeweils in Frage kommenden Frist. Der "Ablauf des Tages" gehöre weder keinem Zeitraum an, noch dem folgenden Tag.

 

Schon den Motiven des Gesetzgebers zum ersten Entwurf einer Fristenregelung lasse sich entnehmen, dass der Begriff der Frist als ein „abgegrenzter Zeitraum“ erfasst werde. Die spätere Rechtsprechung habe darunter dann auch immer eine abgegrenzte, genau bestimmte oder doch bestimmbare Zeiteinheit verstanden.

 

Dazu gehörten feste Anfangs- und Endzeitpunkte. Für die rechtliche Ordnung könnten diese ihre Begrenzungsfunktion nur erfüllen, wenn sie zu den jeweils abgegrenzten Zeiteinheiten hinzugehörten.

 

Der Ablauf eines Tages könne nicht keinem Zeitraum zugehören. Ebenso wenig sei er dem folgenden Tag zuzuordnen. Er könne nur auf einen realen Zeitablauf festgelegt werden.

 

Das Gesetz legt das Fristende auf den Ablauf des Tages

 

Die in § 188 BGB getroffene fristenrechtliche Ordnung beziehe aus Gründen der vereinfachten Fristberechnung das Fristende auf den Ablauf des Tages. Dem liege die selbstverständliche Annahme zugrunde, dass auch das auf das Fristende fallende rechtliche Ereignis sich innerhalb - nicht außerhalb - des zeitlichen Geschehens vollziehe.

 

Daraus könne nur gefolgert werden, dass auch der Ablauf des Tages und damit das Fristende der größeren zeitlichen Einheit des Tages bzw. der jeweiligen Frist zuzurechnen sei. Der Wortlaut des Tarifvertrages ergebe nichts anderes. Er spreche von einer sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit am 28. Februar.

 

Die Praxishinweise erwähnen für Auszubildende eine günstige Anwendung

 

Soweit die Beklagte meine, die Tarifvertragsparteien hätten zwar Praxishinweise vereinbart, nach welchen unabhängig von der juristischen Fristenberechnung – insbesondere bei Auszubildenden – die personalpolitische Möglichkeit bestehe, das T-Geld in einer für die Beschäftigten / Auszubildenden „günstigen Anwendung“ zu zahlen. Es gebe daneben aber aktuelle Tarifabschlüsse zum Inflationsausgleich, die hinsichtlich der Vorbeschäftigungszeiten von Auszubildenden anders formuliert seien. Da sei nur ein Stichtag genannt.

 

Die Beklagte blieb während des gesamten Verfahrens der Meinung, daraus ergebe sich, dass beim T-Geld etwas anderes als ein Stichtag gemeint sei und sich deshalb der Fristablauf am 1. März ergebe. So hätten es die Tarifvertragsparteien gemeint.

 

Dem folgte das Gericht nicht

 

Tarifverträge seien nach den von der Rechtsprechung entwickelten Vorgaben auszulegen. Abzustellen sei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang. Dieser liefere Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien. Nur so könnten Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden.

 

Lasse dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse sei gegebenenfalls zu berücksichtigen. Im Zweifel gebühre derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führe.

 

Der Wille der Tarifvertragsparteien sei nur insoweit von rechtlicher Bedeutung,

als er in der Tarifnorm seinen erkennbaren Ausdruck gefunden habe. Erst wenn der Tarifwortlaut nicht eindeutig sei, müsse der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende Wille der Tarifvertragsparteien mit berücksichtigt werden.

 

Das Auslegungsergebnis ist klar

 

Unter Anwendung dieser Grundsätze sei davon auszugehen, dass der Kläger am

28.02.2022 sechs Monate dem Betrieb angehört habe. Der Tarifwortlaut sei insoweit eindeutig. Die Tarifvertragsparteien wären von der Anwendung der §§ 186 ff BGB ausgegangen. Das habe auch die Beklagte im Verfahren vorgetragen. Andere Regelungen fänden im Tarifvertrag keinen Niederschlag.

 

Die Frist der sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit habe im Fall des Klägers gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 28. Februar 2022 geendet. Das Transformationsgeld stehe ihm wie beantragt zu.

 

Es geht wohl weiter

 

Thomas Backes rechnet damit, dass sein Verfahren in die Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz geht. Das Saarbrücker Verfahren ging in erster Instanz leider mit einer weit weniger ausführlichen Begründung verloren. Auch hier wird der Prozess in der Berufung fortgeführt. Das dort zuständige Landesarbeitsgericht Saarland hat noch nicht entschieden.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens

 

Das sagen wir dazu:

Gesetze müssen regelmäßig eine Vielzahl möglicher Fallgestaltungen regeln. Ihre Formulierung ist daher meist so, dass sie all diese denkbaren Alternativen im Blick haben. Gesetze müssen darüber hinaus auch unserer Verfassung entsprechen, Europarecht im Blick haben und dürfen anderen Gesetzen nicht widersprechen. Daraus ergibt sich, dass deren Formulierung nicht immer einfach und Ergebnis eines langen Überlegungsprozesses ist. Da kommt oft Unbegreifbares heraus.

 

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat deshalb Vorgaben für die Auslegung von Gesetzen gemacht. Der Gesetzgeber selbst veröffentlicht in den dazu bestimmten Mitteilungsblättern seine Motive. Die Diskussionen im Bundestag im Rahmen der verschiedenen Lesungen der Gesetze lassen sich ebenfalls finden.

 

Das ändert jedoch nichts daran, dass der Gesetzeswortlaut vielfach völlig unverständlich bleibt. Manch eine*r legt sich die Vorschrift dann je nach Gusto aus. Legt man jedoch – wie hier bei der Fristenberechnung – den Gesetzestext einfach mal zur Seite und überlegt nach einfachem, vernünftigen Menschenverstand, gelangt man auch zum richtigen Ergebnis. Und das ohne den Text verstanden zu haben.

 

Selbst Jurist*innen sei diese Handhabung empfohlen. Viele Rechtsstreite ließen sich durch Anwendung vernünftigen Menschenverstandes vermeiden.