Arbeitsverhältnis oder Praktikum

Ob Praktikanten Arbeitslohn zu zahlen ist, ist nicht davon abhängig, wie das Vertragsverhältnis bezeichnet wird. Die tatsächliche Gestaltung des Vertragsverhältnisses entscheidet vielmehr darüber, ob es sich tatsächlich um ein bloßes Praktikantenverhältnis oder doch um ein vergütungspflichtiges Arbeitsverhältnis handelt. Maßgeblich für die Unterscheidung ist, ob der Ausbildungszweck oder die Arbeitsleistung im Vordergrund steht. Die Praktikantin des REWE Marktes in Bochum hatte dort 8 Monate unbezahlt gearbeitet und während ihres Einsatzes alle typischen Tätigkeiten einer Verkäuferin in einem Einzelhandelsgeschäft ausgeübt. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Bochum hatte der beklagte Supermarkt nicht ausreichend dargelegt, welche Fähigkeiten oder Tätigkeiten die Klägerin zu erlernen hatte, und welche Qualifikationsdefizite auszugleichen waren und dass dies auch geschehen war. Auch angesichts des vollschichtigen Einsatzes und einer Gesamtdauer des Praktikums von 8 Monaten war das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass nicht mehr der Ausbildungszweck im Vordergrund stand. Es hatte deshalb den Einsatz der Praktikantin im REWE-Markt in Bochum als normales Arbeitsverhältnis bewertet und den Supermarkt zur Nachzahlung eines im Einzelhandel üblichen Lohns von mind. 10 EUR pro Stunde verpflichtet. Ganz anders urteilte nun die 1. Kammer des LAG Hamm. Nach ihrer Auffassung war der Ausbildungszweck und nicht die Arbeitsleistung vorrangig. Sie stützt ihre Bewertung im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit eine Berufsausbildungsbeihilfe von der Bundesagentur für Arbeit und Zuschüsse für eine Monatskarte im ÖPNV von einem Bildungsträger erhalten hat. Der Einsatz der Klägerin habe daher in erster. Linie ihrer Vorbereitung auf eine Beschäftigung auf dem regulären  Arbeitsmarkt gedient.

Missbräuchliche Praktikumsverhältnisse

Die 1. Kammer des LAG Hamm hat offensichtlich formale Gesichtspunkte genügen lassen, wonach der Ausbildungszweck eines Praktikums dann im Vordergrund steht, wenn es Teil einer Berufsvorbereitungsmaßnahme im Sinne der §§ 68-70 Berufsbildungsgesetz bzw. einer Einstiegsqualifizierung gemäß § 54a SGB III ist und deshalb an Arbeitgeber und Praktikanten Leistungen durch die Bundesagentur für Arbeit und andere Bildungsträger erbracht  werden. Ob und inwieweit die Praktikantin tatsächlich qualifiziert wird und begleitete Einblicke in die verschiedensten Tätigkeitsbereiche einer Verkäuferin erhalten hat, musste gerichtlich deshalb nicht weiter aufgeklärt werden. Damit ist dem Missbrauch von durch die Bundesagentur geförderten Praktikanten Tür und Tor geöffnet. Handelt es sich nämlich um Praktikantenverhältnisse auf der Grundlage von öffentlich  geförderten Praktika käme es auf die Art des tatsächlichen Einsatzes nicht mehr an. Ein Arbeitgeber, der eine Praktikantin im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung oder Berufsausbildungsvorbereitung übernimmt, sie aber tatsächlich als normale Arbeitskraft einsetzt, hätte eine Lohnnachzahlung nicht zu befürchten. Es bleibt abzuwarten, ob das noch nicht abgesetzte Urteil des LAG Hamm zumindest eine Begründung enthält, wie Praktikanten vor diesem zu befürchtenden Missbrauch geschützt werden können.

Regelung im Mindestlohngesetz

Das Mindestlohngesetz, das ab dem 1.1.2015 in Kraft tritt, sieht für Praktikanten grundsätzlich einen Mindestlohn von 8,50 EUR vor. Es enthält jedoch Ausnahmen für eine Reihe von Praktikumsverhältnissen, in denen der Mindestlohn nicht zu zahlen ist wie bspw. für Schul – und Studienbegleitende Praktika, Orientierungspraktika von bis zu 3 Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums. Auch für Praktikanten, die an einer Einstiegsqualifizierung gemäß § 54a SGB III oder einer Berufsausbildungsvorbereitung nach den §§ 68-70 BBiG teilnehmen, muss der Mindestlohn nicht gezahlt werden. Die Probleme, die der vom Arbeitsgericht Bochum und vom LAG Hamm entschiedene Fall aufweist, bleiben demnach auch unter der Geltung des Mindestlohngesetzes bestehen.

Dorothee Müller-Wenner, DGB Rechtsschutz GmbH, Dortmund