Stellt die Arbeitgeberin einen Tag nach Abschluss eines Prozessvergleichs, in dem sie eine Abfindung zugesagt hat, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so führt das nicht zwangsläufig zur Anfechtbarkeit des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung. Insbesondere dann nicht, wenn die Medien ausführlich über die Liquiditätsprobleme berichtet haben.

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Die Abteilungsleiterin eines Warenhauses teilte ihrer Arbeitgeberin mit, dass sie aus ihrem Arbeitsverhältnis ausscheiden wolle, um ihrem Mann bei seiner beruflichen Selbstständigkeit zu helfen. Man kam überein, dass die Arbeitgeberin kündigen solle und beide Parteien einen gerichtlichen Vergleich protokollieren lassen würden.

Im Juni 2009 schlossen die Abteilungsleiterin und die Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich. Der Klägerin wurde für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 55.000 € zugesagt. Am folgenden Tag beantragte die Arbeitgeberin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach dem Insolvenzplan konnte sie lediglich mit einer Quote von drei Prozent der Abfindung zu rechnen.

Daraufhin erklärte die Klägerin gegenüber dem Insolvenzverwalter die Anfechtung des gerichtlichen Vergleichs wegen arglistiger Täuschung. Sie ist der Ansicht, der Vergleich sei unwirksam, sie habe ihn im Vertrauen darauf geschlossen, der vereinbarte Abfindungsbetrag werde tatsächlich gezahlt. Die rechtlichen Folgen einer Insolvenz seien ihr nicht geläufig gewesen. Sie warf der Beklagten vor, die Zahlungsunfähigkeit bewusst verheimlicht zu haben.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?


Das BAG hat die Revision zurückgewiesen. Der Prozessvergleich hat den Rechtsstreit wirksam beendet. Der Vergleich verstößt nach Auffassung des BAG weder gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) noch gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB). Er stellt auch keine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.

Es entspräche den zugrunde liegenden Interessen, wenn der Arbeitnehmer die Abfindung erst erhält, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Bei der fristgemäßen Kündigung musste die Klägerin noch bis Ende Dezember 2009 arbeiten.

Die Klägerin ist durch die Beklagte auch nicht arglistig getäuscht worden. Auch wenn der Personalleiter von der drohenden Insolvenz gewusst hätte, läge kein arglistiges Verschweigen im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB vor. Die Klägerin konnte der Berichterstattung der Medien entnehmen, dass ihre Arbeitgeberin Zahlungsschwierigkeiten hatte. Für den Prozessvergleich war es daher auch ohne Bedeutung, ob der Insolvenzantrag schon vorbereitet worden war.

Die Abteilungsleiterin konnte auch nicht wegen einer Änderung der Geschäftsgrundlage vom Prozessvergleich zurücktreten. Weil die Zahlungsprobleme allgemein bekannt waren, hat sich mit dem Eintritt der Insolvenz lediglich ein bekanntes, bei Abschluss des Vergleichs existierendes Risiko verwirklicht.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Dieser Fall dreht sich um das sogenannte Insolvenzrisiko. Es ist zentraler Bestandteil des deutschen Zivilrechtes. Wer sich durch einen Vertrag an einen anderen bindet, trägt stets das Risiko der Insolvenz seines Vertragspartners (darum soll man prüfen, an wen man sich bindet).
Hier hatte die Arbeitnehmerin ihren Arbeitsplatz gegen Zahlung einer Abfindung aufgegeben. Dieser Vertrag wurde im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens protokolliert. Auch in einem solchen Fall tragen die Vertragspartner das Insolvenzrisiko des jeweils anderen. Als sich dieses Risiko auf Seiten des Arbeitgebers realisierte, wollte die Arbeitnehmerin von dem Vertrag nichts mehr wissen und stattdessen ihren Arbeitsplatz zurück.
Das BAG hat jedoch keine Veranlassung gesehen, von der üblichen Verteilung des Insolvenzrisikos abzuweichen. Das BAG hat insbesondere mit dem Umstand argumentiert, dass die Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers durch Berichterstattung der Medien bereits allgemein bekannt waren. Dort hieß es sogar, die Insolvenz könne nur bei staatlichen Hilfen abgewendet werden. Auf eine arglistige Täuschung zu ihren Lasten konnte die Arbeitnehmerin sich daher nicht berufen. Die Umstände waren ihr bekannt.

Nach Einschätzung des Unterzeichners wären schon besondere Umstände erforderlich, um ein Abweichen von der Verteilung des Insolvenzrisikos zu rechtfertigen. Verschleiert ein Arbeitgeber bewusst durch Falschangaben das Risiko der Zahlungsunfähigkeit und wird ein Vertrag eingegangen, der nachweislich bei wahrheitsgemäßen Angaben nicht eingegangen worden wäre, mag eine Anfechtung möglichen sein. Dann wäre weiter aber auch entscheidend, dass der Vertreter des Arbeitgebers, der den Vertrag schließt, Kenntnis von diesen Umständen hat.

Bei Vergleichen in Kündigungsschutzklagen ist im Übrigen stets zu bedenken, dass die Abfindung erst zum Beendigungszeitpunkt fällig wird. Das ist insbesondere bei langen Arbeitsverhältnissen mit entsprechend langen Kündigungsfristen mit bis zu 6 Monaten und mehr zu berücksichtigen.

 

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.07.2012, 2 AZR 42/11