Eine Sonderzahlung mit Mischcharakter, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums der Sonderzahlung abhängig gemacht werden.

Welcher Sachverhalt lag der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Die Parteien streiten über Zahlungen i. H. v. insgesamt 91.300,00 Euro, die von der Arbeitgeberin (Beklagte) als »Gratifikationen» bezeichnet und von dem künftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht worden sind. Der Kläger trat aufgrund Arbeitsvertrags vom 17. Dezember 2002 am 1. Januar 2003 als Wertpapierhändler in die Dienste der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung des Klägers vom 28. März 2008 am 30. Juni 2008. Zuletzt erhielt der Kläger ein monatliches Gehalt iHv. 4.500,00 Euro brutto.

Mit Schreiben vom 9. März 2005 teilte die Beklagte dem Kläger Folgendes mit:

»Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Ihnen auf Grund Ihres Beitrages zum Erfolg unseres Unternehmens im Geschäftsjahr 2004 eine freiwillige einmalige Sonderzahlung in Höhe von EUR 15.300,00 brutto zahlen werden. Wir weisen darauf hin, dass die Sonderzahlung stets unter dem Widerspruchsvorbehalt steht und eine etwaige wiederholte Zahlung keinen Rechtsanspruch auf zukünftige Zahlung begründet.
     
Neben der vorgenannten Sonderzahlung möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir für den Fall, dass das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis am 15. April 2008 ungekündigt fortbesteht, Ihnen eine Gratifikation in Höhe von EUR 15.300,00 brutto zur Honorierung der Betriebszugehörigkeit zahlen werden.

Um die Auskehrung der einmaligen freiwilligen Sonderzahlung veranlassen zu können, bitten wir Sie der guten Ordnung halber und zum Zeichen Ihres Einverständnisses, die Zweitschrift dieses Briefes unterschrieben zurückzugeben.«

Der Kläger unterzeichnete das Schreiben. Mit im Wesentlichen gleichlautenden Schreiben von März 2006 und März 2007 erklärte die Beklagte, dem Kläger für die vorangegangenen Geschäftsjahre jeweils eine Erfolgsbeteiligung (29.000,00 Euro brutto für 2005 und 50.000,00 Euro brutto für 2006) sowie einen weiteren Betrag für den Fall des ungekündigten Bestands des Arbeitsverhältnisses am 15. April 2009 (29.0000,00 Euro brutto) bzw. 15. April 2010 (47.000,00 Euro brutto) zahlen zu wollen. Auch diese Schreiben unterzeichnete der Kläger.

Der Kläger ist der Ansicht, tatsächlich handle es sich bei den in den drei Schreiben genannten »Sonderzahlungen« und »Gratifikationen« um Bonusansprüche. Bei seiner Einstellung sei ihm erklärt worden, er erhalte einen Bonus iHv. 20 % des von ihm erwirtschafteten Gewinns, und zwar in zwei gleich hohen Beträgen, wobei die erste Hälfte zum 15. April des Folgejahres und die zweite Hälfte drei Jahre später gezahlt werde, sofern bis dahin das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Der Kläger machte daher die zugesicherten Zahlungen in einer Gesamthöhe von 91.300,00 Euro brutto nebst Zinsen gerichtlich geltend.

Die beklagte Arbeitgeberin ist der Ansicht, sie habe dem Kläger keine Bonuszusage erteilt.Sie entscheide für jedes Geschäftsjahr erneut, ob in Anbetracht der persönlichen Leistung des Arbeitnehmers eine einmalige leistungsabhängige Prämie gezahlt werde. Die Entscheidung werde nach Gutdünken getroffen und nicht nach festen Berechnungsgrundlagen. Aus den drei Schreiben ergebe sich, dass es sich bei den zugesagten Beträgen einerseits um freiwillige einmalige Sonderzahlungen, andererseits um Treueprämien gehandelt habe, deren Auszahlung zulässigerweise an die - hier nicht eingetretene - Bedingung geknüpft worden sei, dass das Arbeitsverhältnis nach Ablauf von drei Jahren noch ungekündigt fortbestehe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?


Das BAG entschied zugunsten des Klägers und sah die Klage ist in dem noch anhängigen Umfang als begründet an. Dem Kläger stehen die erhobenen Vergütungsansprüche aufgrund der Vereinbarungen vom 9. März 2005, 16. März 2006 und 29. März 2007 zu. Die betreffenden Vereinbarungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie regeln Zahlungsansprüche, die an den jeweils im vorausgegangenen Jahr vom Kläger erbrachten Beitrag zum Unternehmenserfolg anknüpfen und gleichzeitig die künftige Betriebstreue honorieren sollen. Der Anspruch besteht, obwohl die jeweils genannte Voraussetzung, nämlich der ungekündigte Bestand des Arbeitsverhältnisses jeweils zum 15. April der Jahre 2008, 2009 und 2010 nicht erfüllt ist. Das BAG sieht die Vereinbarung dieser Anspruchsvoraussetzung als unwirksam nach § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB an, weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt.

Die jeweils vom Kläger unterzeichneten Schreiben an den Kläger enthalten Vertragsbedingungen, die von der Beklagten zur Verwendung für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und dem Kläger bei Vertragsabschluss gestellt wurden. Sie unterliegen mithin den Vorschriften für allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Im Streitfall soll die Zahlung die erwartete Betriebstreue belohnen und knüpft dabei an die Leistung des Klägers im Bezugszeitraum (im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr) an, indem sie sich der Höhe nach am Beitrag des Klägers zum Unternehmenserfolg ausrichtet.

Es handelt sich damit um eine Sonderzahlung mit Mischcharakter. Wenn die Beklagte demgegenüber geltend macht, sie habe die Höhe der Zahlung rein nach Gutdünken bestimmt, so mag das zutreffen. Es ändert aber nichts daran, dass sie ihr Gutdünken hinsichtlich der Höhe der zugesagten Leistung, soweit nach außen erkennbar, nicht willkürlich wahrnahm und auch nicht an Treuegesichtspunkten ausrichtete, sondern an der Arbeitsleistung des Klägers im vorausgegangenen Jahr anknüpfte. Andernfalls wäre nicht erklärbar, dass sie die Zahlung in allen drei Jahren auf genau oder doch in etwa denselben Betrag festsetzte, der - nach dem ersten Absatz der jeweiligen Vereinbarung - aus ihrer Sicht dem Beitrag des Klägers zum Erfolg des Unternehmens in dem der Vereinbarung vorausgegangenen Jahr entsprach.

Dass Leistungen in dieser Höhe allein das zukünftige langjährige - gegebenenfalls auch weniger erfolgreiche - Verharren im Vertragsverhältnis sicherstellen und nicht wenigstens auch in einem Verhältnis zur vom Arbeitnehmer im Bezugsjahr erbrachten Arbeitsleistung stehen sollen, kann gerade in einer auf kurzfristige Erfolge orientierten Branche wie dem Wertpapierhandel nicht angenommen werden.

Der Anspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger jeweils am 15. April der Jahre 2008, 2009 und 2010 nicht mehr in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zur Beklagten stand. Die entsprechende Einschränkung des Anspruchs in der jeweiligen Vereinbarung der Parteien ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Kläger unangemessen benachteiligt.

Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, abhängig gemacht werden.

Die Stichtagsklausel steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, indem sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entzieht. Sie verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert (vgl. für Bonuszahlungen: BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 25 ff., BAGE 124, 259). Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit gegebenenfalls vorenthalten zu können, ist nicht ersichtlich.

Weiter muss bedacht werden, dass der Arbeitgeber mit der hier maßgeblichen Klausel seinem Vertragspartner ein nahezu inhaltsleeres Leistungsversprechen gibt, wenn er sich der Verpflichtung durch den bloßen Ausspruch einer in seinem Belieben stehenden Kündigung, die nach dem Wortlaut der hier maßgeblichen Klausel nicht einmal sozial gerechtfertigt sein muss, entziehen kann. Selbst demjenigen Arbeitnehmer, der sowohl die entsprechenden Arbeitsleistungen und damit den Beitrag zum Erfolg des Unternehmens erbracht hat als auch von seiner Seite betriebstreu war, könnte der Anspruch entzogen werden. Das läuft auf die nur scheinbare Gewährung eines Rechtsanspruchs hinaus. Wesentliche Rechte des Arbeitnehmers, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, wären so eingeschränkt, dass eine Gefährdung des Vertragszwecks nicht fernliegt.

Dass die Sonderzahlung im Streitfall auch die Betriebstreue honorieren sollte, ändert an dem Ergebnis nichts. Soweit der Senat die Auffassung vertreten hat, Bestandsklauseln seien bei Sonderzahlungen bereits dann zulässig, wenn sie sowohl der Vergütung bereits erbrachter Arbeitsleistung als auch der Honorierung von Betriebstreue dienen (BAG 28. März 2007 - 10 AZR 261/06 - Rn. 18, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 265 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 21), gibt der Senat diese auf. Der zusätzliche Zweck ändert nichts daran, dass dem Arbeitnehmer entgegen der in § 611 BGB zum Ausdruck kommenden Vorstellung des Gesetzgebers durch eine Bestandsklausel bereits verdiente Arbeitsvergütung entzogen würde. Ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nachträglich zu verändern, kann nicht anerkannt werden.

Dem Arbeitgeber ist es dadurch nicht verwehrt, Betriebstreue zu honorieren und einen finanziellen Anreiz für das Verbleiben des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis zu schaffen. Er hat die Möglichkeit, durch die Vereinbarung von Sonderzahlungen, die ausschließlich der Honorierung von Betriebstreue dienen, dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, welchen Wert für ihn das Verbleiben im Arbeitsverhältnis darstellt (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 667/10).

Der Arbeitnehmer seinerseits kann darüber entscheiden, ob er die Verdienstchancen bei einem Arbeitsplatzwechsel vorzieht oder die Treueprämie in Anspruch nehmen will. Werden dagegen, wie im Streitfall, die Zwecke der Vergütung für erbrachte Leistung und Honorierung der Betriebstreue miteinander verbunden, kann der Arbeitnehmer von seinem Kündigungsrecht nur um den Preis des Verzichts auf Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit Gebrauch machen.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist schwierig, die entsprechenden §§ 305 bis 310 BGB sind schwer zu lesen und noch schwerer zu verstehen. Und trotzdem lohnt es sich für Beschäftigte und insbesondere Betriebsräte der Blick hierher. Denn zum einen gehört es zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats, die im Betrieb formularmäßig verwandten Arbeitsverträge zu überprüfen, ob diese geltendem Recht entsprechen. Zum anderen  können immer wieder einzelne Beschäftigte auf mögliche Ungerechtigkeiten hingewiesen werden.
Allgemeinen Geschäftsbedingungen – also das „Kleingedruckte“ eines Vertrags – müssen vom Arbeitgeber klar und verständlich formuliert sein. Sie dürfen nichts Unerwartetes enthalten und den Arbeitnehmer nicht benachteiligen. Ansonsten sind sie unwirksam, während der Rest des Vertrages weiterhin gilt. Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist deshalb ein gutes Mittel, allzu raffiniert agierenden Arbeitgebern einen Riegel vorzuschieben.
Dabei sind viele, auch komplizierte Regelungen durchaus gestattet. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet auch nicht immer so arbeitnehmerfreundlich wie es zu wünschen wäre.
So hat der 10. Senat des BAG in zwei Entscheidungen vom selben Tag Arbeitgebern Gestaltungsspielraum eingeräumt. So hat es das BAG für zulässig erklärt, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag als Anspruchsvoraussetzung für eine Gratifikation bestimmt  wird (10 AZR 667/10). Und ebenfalls am selben Tag entschied der 10. Senat (10 AZR 670/10), dass Gratifikationen von ungewissen Erfolgsfaktoren wie der Zahlung einer Dividende an die Aktionäre abhängig gemacht werden dürfen.
Die Vermischung beider Kriterien – gute Leistungen in der Vergangenheit und Betriebstreue in der Zukunft – ist jedoch unzulässig. Die Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen, müsste der Beschäftigte mit Einkommensverlusten in der Vergangenheit büßen. Eine solche  Benachteiligung mochte das BAG nicht akzeptieren und gab dem Arbeitnehmer Recht. Und wegen solcher Fälle lohnt sich immer wieder ein Blick in die §§ 305 - 310 BGB.

 

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.01.2012, 10 AZR 612/10