Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Kein Mindestlohn für Zeitungszusteller die auch Werbeprospekte austragen!
Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Kein Mindestlohn für Zeitungszusteller die auch Werbeprospekte austragen!

§ 24 Abs. 2 Mindestlohngesetz (MiLoG), wonach Zeitungszusteller übergangsweise noch keinen Anspruch auf den vollen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro haben, ist mit Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar. Die Sonderregelung, so die Richter*innen der 13. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen, gilt auch für Arbeitnehmer*innen, die in unregelmäßigen Abständen einzelne Werbeanzeigen in die auszutragenden Zeitungen einlegen müssen.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Zeitungszusteller beschäftigt. Er trägt werktags morgens Tageszeitungen und einmal in der Woche nachmittags ein Anzeigenblatt aus. Aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Arbeitsvertrag ergibt sich, dass er verpflichtet ist, "zusätzlich gelieferte Beilagen in das Anzeigenblatt einzulegen“. Hierzu kommt es jedoch nur selten. In dem Zeitraum von Januar bis Mai 2015 musste der Kläger einmal Beilagen einlegen. Hierzu kam es deshalb, da die maschinelle Einfügung eines Werbekatalogs in die Zeitungen technisch nicht möglich war.

Kläger begehrt Mindestlohn für Zeiten während derer er auch Werbematerial ausgetragen hat

Mit seiner Klage begehrte der Kläger von der Beklagten die Differenz zwischen dem ausgezahlten Lohn von 6,38 Euro brutto pro Stunde und dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde. Begründet wurde die Klage damit, dass die Ausnahmevorschrift für Zeitungszusteller, wonach diese erst ab dem 1.1.2017 die Zahlung des vollen gesetzlichen Mindestlohns verlangen könnten, wegen Verstoßes gegen Artikel 3 GG unwirksam sei. Im Übrigen greife die Ausnahmevorschrift schon deshalb nicht, wenn - wie in seinem Fall - nicht ausschließlich Zeitungen ausgetragen, sondern auch Werbeprospekte verteilt würden.

Erstinstanzlich erfolgreich – zweitinstanzlich Klage abgewiesen – Revision zugelassen

Erstinstanzlich obsiegte der Kläger. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ die Berufungskammer die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu.
Das Landesarbeitsgericht begründete die für den Kläger negative Entscheidung damit, dass der Kläger ab dem 1.1.2015 keinen Anspruch auf den vollen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Stunde habe. Denn die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG sei durch § 24 Abs. 2 Satz 1 MiLoG wirksam übergangsweise beschränkt worden.

Staffelung des Mindestlohns „aus Gründen der Praktikabilität hinnehmbar“

Den gesetzgeberischen Eingriff in des Schutzbereich Artikel 3 Abs. 1 GG, wonach „alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind“, hielt das Landesarbeitsgericht für gerechtfertigt. Denn, so die niedersächsischen Zweitinstanzler: „Die Einschätzung des Gesetzgebers, branchenspezifische Besonderheiten machten im Bereich der Zustellung von Presseerzeugnissen den Weg über § 24 Abs. 1 MiLoG nicht gangbar und erforderten wegen erheblicher Mehrkosten sowie unter dem Aspekt des Schutzes der Pressefreiheit die besondere Übergangsregelung in § 24 Abs. 2 MiLoG hält sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungs- und Prognosespielraums“ Die damit verbundene Belastung für die Gruppe der Zeitungzusteller wahrt nach Auffassung der Berufungskammer die Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Die vorgenommene Staffelung mit der damit verbundenen Pauschalierung erscheint dem Gericht „aus Gründen der Praktikabilität hinnehmbar“.

Das Einstecken der Werbung von Hand im Verhältnis zu dem Transport und der Übergabe der einzelnen Zeitung prägt nicht die Tätigkeit des Klägers

Zu guter Letzt lassen die Richter*innen der 13. Kammer des niedersächsischen Landesarbeitsgerichts  noch wissen, dass der Kläger auch trotz der gelegentlichen Pflicht, Werbekataloge in die Zeitungen einzulegen, Zeitungszusteller i.S.v. § 24 Abs. 2 MiLoG ist. Maßgeblich sei insoweit die tatsächliche Handhabung. Im Streitfall sei zu berücksichtigen gewesen, dass das Einstecken der Werbung von Hand im Verhältnis zu dem Transport und der Übergabe der einzelnen Zeitung von zeitlich untergeordneter Bedeutung geblieben ist und die Tätigkeit des Klägers keineswegs geprägt hat.


Anmerkung:
Die Entscheidung des Landesarbeitsgericht Niedersachsen mutet befremdend an: Dies insbesondere auch im Lichte der Entscheidungen anderer Gerichte der arbeitsgerichtlichen Tatsacheninstanz, die sehr wohl unterscheiden konnten zwischen einer Tätigkeit als ausschließlicher Zeitungszusteller oder eines Zeitungszustellers, der auch noch Werbeprospekte zu verteilen hat und die hierfür die Vergütung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro brutto als gerechtfertigt ansahen.

Da das Landesarbeitsgericht die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hat, wird abzuwarten sein, ob die Erfurter Richter*innen die Entscheidung bestätigen, was sich der Autor schlechthin nicht vorstellen mag.

 

Das vollständige des LAG Niedersachsen Urteil vom 27.04.2016 finden Sie hier.

Siehe zum Thema „Mindestlohn für Zeitungszusteller“ unseren HP-Beitrag: „Trickserei beim Mindestlohn - nicht mit uns“

Lesen Sie zum Thema auch „DGB Rechtsschutz erstreitet Mindestlohn für Zeitungszusteller“