AT-Angestellte haben Anspruch auf ein Gehalt, das deutlich höher ist als das Einkommen gemäß der höchsten Tarifgruppe. © Adobe Stock - Von Olga
AT-Angestellte haben Anspruch auf ein Gehalt, das deutlich höher ist als das Einkommen gemäß der höchsten Tarifgruppe. © Adobe Stock - Von Olga

Unser Büro in Braunschweig hat einen Beschäftigten vertreten, der Entgeltansprüche als AT-Angestellter geltend macht. Hintergrund ist das sogenannte „Abstandsgebot“ bzw. das Gebot, dass das Gehalt eines AT-Angestellten einen Mindestabstand zum höchsten tariflichen Entgelt haben muss.


Nach allgemeinem Begriffsverständnis zeichnen sich außertarifliche Arbeitnehmer dadurch aus, dass sie kraft ihrer Tätigkeitsmerkmale oder ihrer Vergütungshöhe nicht mehr unter den persönlichen Geltungsbereich des einschlägigen Tarifvertrags fallen. Das hat das BAG mehrfach entschieden. Außertarifliche Mitarbeiter*innen seien regelmäßig Arbeitnehmer*innen, deren Vergütung gerade nicht durch Tarifvertrag geregelt werde, weil ihre Tätigkeit höher zu bewerten sei als die Tätigkeit in der obersten Tarifgruppe.

Die Parteien streiten um die Höhe des arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsentgeltes für das Jahr 2020

Zudem ist noch streitig, ob etwaige Ansprüche des Klägers aufgrund einer arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist verfallen sind.
Die Parteien im Verfahren, das die Braunschweiger Kolleg*innen geführt haben, streiten um die Höhe des arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsentgeltes für das Jahr 2020. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Mai 2009 als „Vertriebsbeauftragter Bayern" beschäftigt. Er ist seit Dezember 2018 Mitglied der IG Metall und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender.


Die Beklagte war bis einschließlich März 2020 Vollmitglied im Arbeitgeberverband Niedersachsen Metall. Das gesamte Jahr 2020 befanden sich alle anwendbaren Tarifverträge in der tariflichen Nachbindung gemäß § 3 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG). Seit dem 1. Januar 2021 befindet sich der Entgelttarifvertrag und der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung in der tariflichen Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG.

Der Kläger geht davon aus, dass er als AT-Angestellter ein Gehalt von 17,5 Prozent über dem Gehalt der höchsten Entgeltgruppe beanspruchen kann

Insbesondere ist zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger außertariflicher (AT) Mitarbeiter ist. Der Kläger geht davon aus und fordert von der Beklagten die Differenz zwischen dem gezahlten Entgelt für 2022 und dem Anspruch, der sich aus dem einschlägigen Tarifvertrag für AT-Angestellte ergibt, nämlich ein Gehalt von 17,5 Prozent über dem Gehalt der höchsten Entgeltgruppe.


Im Arbeitsvertrag ist unter anderem ein Richteinkommen für das Kalenderjahr von 57.500 EUR brutto vereinbart. Diesen Betrag soll die Arbeitgeberin in Form eines festen Monatsgehaltes von 3.155 EUR brutto am Monatsende auszahlen.


Zusätzlich zum festen Monatseinkommen vereinbarten die Parteien eine Abschlussvergütung, deren Höhe jeweils am Jahresende anhand individueller Sollvorgaben ermittelt wird. Die Abschlussvergütung soll nach dem Vertrag so bemessen werden, dass der Kläger für jeden zusätzlichen Prozentpunkt, den er über der Sollvorgabe von 70 Prozent erreicht, eine Abschlussvergütung in Höhe von einem Prozent des vereinbarten Richteinkommens erhält. Das Richteinkommen soll indessen um nicht mehr als 30 % über- oder unterschritten werden. Die Beklagte erteilte dem Kläger bereits am 3. Juni 2014 eine Handlungsvollmacht.

Der Kläger erhielt regelmäßig Leistungsbeurteilungen, die mit ,,Leistungsbeurteilung AT-Mitarbeiter „überschrieben waren

Bei der Beklagten gibt es eine Betriebsvereinbarung, die regelt, wie Mitarbeitergespräche durchzuführen sind. In dieser Betriebsvereinbarung heißt es unter anderem wie folgt:


„Die Leistungsbeurteilung erfolgt auf der Grundlage des als Anlage beigefügten Bogens Leistungsbeurteilung AT-Mitarbeiter, Leistungsbeurteilung Tarif-Angestellte und Leistungsbeurteilung gewerbliche Mitarbeiter."


Der Kläger erhielt von der Beklagten diverse Leistungsbeurteilungen. Die letzte Leistungsbeurteilung erfolgte am 10. Februar 2021. In diesen Leistungsbeurteilungen heißt es jeweils unter anderem wie folgt: ,,Leistungsbeurteilung AT-Mitarbeiter"


Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger AT-Mitarbeiter sei. Er werde im Arbeitsvertrag keineswegs als außertariflicher Mitarbeiter bezeichnet, trägt die Beklagte vor. Im Arbeitsvertrag werde auch nicht auf einen Tarifvertrag Bezug genommen. Darüber hinaus sei dem Kläger nicht zugesagt worden, dass immer ein bestimmter Abstand zu den tariflichen Entgelten eingehalten werden würde.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger kein AT-Angestellter ist

Weder die Leistungsbeurteilungen noch das Informationsschreiben würden eine Stellung des Klägers als außertariflicher Mitarbeiter begründen, wendet die Beklagte ein. Bei den Vertriebsmitarbeitern handele es sich vielmehr um Mitarbeiter ohne klassische tarifvertragliche Eingruppierung. Die Bezeichnung OTV stehe für einen Mitarbeiter ohne eine Zuordnung in der Entgelttabelle und stattdessen mit einer Provision. Dieses bringe keineswegs zum Ausdruck, dass es sich dabei um einen klassischen außertariflichen Mitarbeiter handeln sollte, so die Beklagte. Darüber hinaus übe der Kläger keine Tätigkeit aus, die der höchsten tariflichen Entgeltgruppe 13 entsprechen würde.

Das Arbeitsgericht geht davon aus, dass der Kläger AT-Beschäftigter ist

Das Arbeitsgericht Braunschweig ist indessen zum Ergebnis gelangt, dass der Kläger AT-Beschäftigter sei. Zwar möge im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 8. April 2009 ein entsprechender Status nicht ausdrücklich vereinbart worden sein. Erkennbar seien jedoch die Vertragsparteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Kläger um einen außertariflichen Mitarbeiter handele. Denn die Beklagte habe dem Kläger zum einen bereits am 3. Juni 2014 eine Handlungsvollmacht erteilt.


Aus der oben zitierten Betriebsvereinbarung ergebe sich zudem, dass die Leistungsbeurteilung auf der Grundlage des als Anlage beigefügten Bogens „Leistungsbeurteilung“ erfolge. Der Kläger habe von der Beklagten diesbezüglich diverse Leistungsbeurteilungen erhalten. Die letzte Leistungsbeurteilung sei am 10. Februar 2021 erfolgt. In diesen Leistungsbeurteilungen habe es jeweils unter anderem wie folgt geheißen: „Leistungsbeurteilung AT-Mitarbeiter".

Das Verhalten der Parteien lässt insgesamt nur den Schluss zu, dass es sich beim Kläger um einen AT-Beschäftigten handelt

Die Beklagte habe dem Kläger zudem mit Schreiben vom 28. November 2018 mitgeteilt, dass die Tarifvertragsparteien für die Beklagte einen Sanierungstarifvertrag für die Jahre 2018 und 2019 abgeschlossen hätten. Dieser beinhalte für die tariflichen und außertariflichen Mitarbeiter der (Beklagten) einen adäquaten Lohnverzicht. Für die AT-Beschäftigten im Bereich DACH resultiere daraus für 2018 folgende Regelung: (. . .).


In einer E-Mail der Beklagten vom 27. April 2021 heiße es außerdem unter anderem, dass der Kläger am 11. April 2009 einen außertariflichen Arbeitsvertrag mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten abgeschlossen habe, der auch für die Beklagte eine Rechtsgültigkeit habe. Als Vertriebsmitarbeiter sei das Gehalt des Klägers als „AT-PROV" im Unternehmen geführt. Allein aufgrund dieser Gehaltskonstellation „AT-PROV" ergebe sich schon kein Rechtsanspruch aus dem MTV.


Das alles lasse nur den Schluss zu, dass die Parteien sich darüber einig gewesen seien, dass es sich bei dem Kläger um einen außertariflich beschäftigten Mitarbeiter der Beklagten handelt.

Als außertariflicher Mitarbeiter hat der Kläger einen Anspruch auf eine Vergütung, die den Tarifabstand sicherstellt

Außertarifliche Beschäftigte hätten gemäß dem persönlichen Geltungsbereich der Tarifverträge Anspruch auf ein Jahreseinkommen, das die Entgeltgruppe 13 C um mehr als 17,5 Prozent übersteige. Die Bezirksleitung der IG Metall erstelle jährlich eine Übersichtsrechnung über die Höhe des ATMindestentgelts. Im Hinblick auf die Berechnung des AT- Mindestentgelts für das Jahr 2020 sei die IG Metall zu einem Jahres-Mindestentgelt 2020 in Höhe von 96.132,78 € brutto bezogen auf eine 35-Stundenwoche gekommen. Als außertariflicher Mitarbeiter habe der Kläger daher einen Anspruch auf eine Vergütung, die den Tarifabstand sicherstelle. Der Anspruch sei daher in rechnerisch unstreitiger Höhe entstanden.

Die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag ist als überraschende Klausel unwirksam

Die arbeitsvertraglich geregelte Ausschlussfrist hielt das Arbeitsgericht für nicht wirksam, wie es sich um eine überraschende Klausel handelt. Die Ausschlussfrist befinde sich am Ende eines Arbeitsvertrags, der insgesamt 10 Paragrafen enthalte. Darin seien neben den üblichen nach den Nachweisgesetz geforderten Bestimmungen unter anderem die Verschwiegenheitspflichten, Nebentätigkeiten, Reisekosten und Privatnutzung von Handy bzw. Internet eigenständig unter gesonderten Überschriften geregelt. Die „weiteren Vertragsgrundlagen" in § 10 des Arbeitsvertrags enthielten eine salvatorische Klausel, eine Schriftformklausel und einen Verweis auf betriebliche Bestimmungen sowie einen Hinweis auf Datenspeicherung und Datenübermittlung. Dazwischen befindet sich im zweiten Absatz die Ausschlussfrist.Nach § 305c Abs. 1 BGB würden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich seien, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauche, nicht Vertragsbestandteil. Auch der ungewöhnliche äußere Zuschnitt der Klausel, ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle, könne die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen. Gemessen an diesen Anforderungen sei die in § 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags enthaltene Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht Vertragsbestandteil geworden.


Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Braunschweig: (PDF)

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Tarifvertragsgesetz (TVG)
Tarifgebundenheit
(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist.
(2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist.
(3) Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

§ 4 TVG
Wirkung der Rechtsnormen
(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.
(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.
(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.