Der Kläger hatte mehr erwartet und forderte den Arbeitgeber zur Zahlung auf. © Adobe Stock: pathdoc
Der Kläger hatte mehr erwartet und forderte den Arbeitgeber zur Zahlung auf. © Adobe Stock: pathdoc

Ferdinand Harreuter vom Rechtsschutzbüro Wolfsburg vertrat den Prüfstandmechaniker einer kleinen Firma vor dem Arbeitsgericht Braunschweig. Sein Mandant leistete in den Monaten Juli bis November 2021 Kurzarbeit.

 

Das Kurzarbeitergeld zahlte der Arbeitgeber als Vorschuss

 

Im April 2021 hatte der Mann mit seinem Arbeitgeber eine Vereinbarung geschlossen, mit welcher man ihm zusicherte, die Kurzarbeit werde ordnungsgemäß bei der zuständigen Agentur für Arbeit angemeldet. Für die Dauer der Kurzarbeit sollte die Vergütung dem Verhältnis der verkürzten zur regelmäßigen Arbeitszeit entsprechend reduziert ausgezahlt werden.

 

Der Arbeitgeber erklärte, er werde dem Arbeitnehmer das zu erwartende Kurzarbeitergeld vorschüssig überweisen. Es war weiter vereinbart, dass der Arbeitgeber dem Betroffene die Vergütung in voller Höhe für die Dauer der Kurzarbeit zahlen würde, sollte die Agentur für Arbeit ihrerseits eine Zahlung ablehnen.

 

Der Arbeitgeber zahlte zu viel

 

Für die Dauer der Kurzarbeit erhielt der Mitarbeiter neben dem Entgelt für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden das Kurzarbeitergeld nach dem erhöhten Satz von 70 %. Zutreffend wäre ein Leistungssatz von 60 % gewesen. Die falsche Berechnung war auf ein fehlendes Update bei der Lohnabrechnungssoftware der Beklagten zurückzuführen.

 

Die Agentur für Arbeit meinte, der Arbeitgeber müsse das berichtigen. Dieser errechnete daraufhin eine Überzahlung von 950 € für die Monate Juli bis November 2012 und verminderte daraufhin den Lohn des Klägers für Dezember 2021 auf 525 €.

 

In seiner Mitteilung an den Kläger gab der Arbeitgeber die gesetzlichen Vorschriften an, auf die er seine Rückzahlungsansprüche stützte. Er erstellte darüber hinaus eine Auflistung einzelner Monate mit der Höhe der jeweils von ihm errechneten Überzahlung. Eine konkrete Berechnung oder Gegenüberstellung der Rückforderungsbeträge mit den tatsächlichen Zahlungen der betreffenden Monate enthielt die Aufstellung nicht.

 

Die Beklagte rechnete mit den Lohnansprüchen auf

 

Den Einbehalt des Lohnes begründete der Arbeitgeber damit, er habe das "zu erwartende" Kurzarbeitergeld vorschüssig gezahlt. Soweit Kurzarbeit angeordnet sei, entfalle der Vergütungsanspruch des Klägers. Stattdessen erwerbe dieser einen Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit auf Kurzarbeitergeld in der gesetzlich festgelegten Höhe. Mehr könne der Kläger nicht erwarten. Ein Berechnungsfehler in der Verdienstabrechnung habe darauf keinen Einfluss. Den Fehler habe der Arbeitgeber korrigieren müssen.

 

Im Gerichtsverfahren berief sich die Beklagte ausdrücklich darauf, dass eine Aufrechnung mit Zahlungen, die der Arbeitgeber vorgeschossen habe, zulässig sei. Pfändungsfreigrenzen seien hierbei nicht zu beachten.

 

Das Arbeitsgericht entschied zu Gunsten des Klägers

 

Diese Auffassung hielt das Arbeitsgericht Braunschweig für rechtswidrig. Es gab der Klage des Betroffenen auf Auszahlung des einbehaltenen Lohnes statt. Der vom Arbeitgeber vorgenommenen Aufrechnung stehe das gesetzliche Aufrechnungsverbot aus § 394 BGB entgegen.

 

Die Beklagte habe mit der Auszahlung eines Betrages von 525 € die Pfändungsfreigrenzen nicht eingehalten. Für den Kläger bestehe ein Anspruch auf ein pfändbares Arbeitseinkommen in Höhe von 1178,59 € monatlich.

 

Zwar lasse die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu, Lohnvorschüsse auf den unpfändbaren Teil des später fällig werdenden Lohnes anzurechnen. Im vorliegenden Fall handele es sich aber nicht um Vorschüsse auf das Arbeitsentgelt. Der Arbeitgeber habe das Kurzarbeitergeld vorgeschossen. Es handele sich dabei um eine Lohnersatzleistung.

 

Die abgeschlossene Vereinbarung regelte die Verteilung des Risikos

 

Die mit dem Kläger abgeschlossene Vereinbarung lasse klar erkennen, dass der Kläger vom Risiko der Ablehnung von Kurzarbeitergeld seitens der Agentur für Arbeit befreit werden sollte. In dem Fall wäre der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, die Vergütung in voller Höhe für die Dauer der Kurzarbeit zu zahlen.

 

Die Beklagte trage das Risiko, Kurzarbeitergeld aufgrund eines unterlassenen Software-Updates fehlerhaft beantragt zu haben. Dieser von der Beklagten zu vertretende Fehler könne nicht dazu führen, dass die Situation derjenigen eines klassischen Vorschusses vergleichbar sei.

 

Bei einem Vorschuss auf den Lohn könne sich der*die Arbeitnehmer*in auf das Risiko einer Aufrechnung einstellen.

 

Das Vertrauen des Klägers ist geschützt

 

Der Fall des Klägers liege jedoch anders. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte das Kurzarbeitergeld fehlerfrei beantragt und in entsprechender Höhe vereinbarungsgemäß auch vorschüssig an ihn auszahlt. Hier greife das Aufrechnungsverbot. Die Beklagte habe nur innerhalb der Pfändungsfreigrenzen die Aufrechnung erklären dürfen.

 

Das führe jedoch nicht dazu, dass die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung bis zur Pfändungsfreigrenze tatsächlich greife. Die Aufrechnung seitens der Beklagten sei nämlich zu unbestimmt.

 

Im Hinblick auf die Pfändungsfreigrenzen einzelner Kalendermonate habe der Kläger nicht erkennen können, mit welcher konkreten Gegenforderung die Aufrechnung erklärt werde. Die Beklagte habe die Gegenforderungen auch nicht in einem Rangverhältnis zueinander gesetzt. Die Aufrechnung sei daher zu unbestimmt.

 

Damit könne offenbleiben, ob überhaupt eine Aufrechnungslage bestanden habe. Die Beklagte müsse den gesamten, einbehaltenen Lohn an den Kläger auszahlen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 394 BGB

Keine Aufrechnung gegen unpfändbare Forderung
Soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, findet die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt. (…)