Auch wer sich sicher ist, ein Kündigungsschutzverfahren zu gewinnen, sollte nicht nur bequem machen+abwarten. Wer sich nicht arbeitslos meldet, riskiert Lohnverlust © Adobe Stock - Von Alena Ozerova
Auch wer sich sicher ist, ein Kündigungsschutzverfahren zu gewinnen, sollte nicht nur bequem machen+abwarten. Wer sich nicht arbeitslos meldet, riskiert Lohnverlust © Adobe Stock - Von Alena Ozerova

Robert Pfalz (Name von der Redaktion geändert) ist bei seiner Arbeitgeberin in leitender Position beschäftigt. Am 1. Oktober 2019 versetzte sie ihn auf eine andere Tätigkeit. Nachdem Herr Pfalz diese nicht aufnahm, kündigte seine Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.


Mit rechtskräftigem Urteil vom 18. November 2020 befand das Arbeitsgericht die Versetzung für unwirksam. In einem weiteren Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Auch dieses Urteil ist insoweit rechtskräftig geworden. Robert Pfalz hatte aber im Verfahren auch beantragt, seine Arbeitgeberin zu verurteilen, ihm das entgangene Arbeitsentgelt zu zahlen. Anspruch darauf hat er grundsätzlich, weil sich seine Arbeitgeberin im Annahmeverzug befand.

Robert Pfalz hatte sich bewusst nicht arbeitslos gemeldet

Arbeitnehmer*innen müssen sich allerdings auf das Arbeitsentgelt, das ihnen der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,

 

  • was sie durch anderweitige Arbeit verdient haben,
  • was sie hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen,
  • was ihnen an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist. 


Das regelt § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).


Herr Pfalz hatte sich zu keinem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet. Das hatte er bewusst nicht getan. Zum einen ist er ohnehin davon ausgegangen, dass seine Arbeitgeberin ihn ungerechtfertigt versetzt und gekündigt hatte. Zum anderen sei er bei seiner Arbeitgeberin in herausgehobenen Managementpositionen tätig gewesen. Solch wichtige Arbeitsstellen würden nicht seitens der Agentur für Arbeit, sondern ausschließlich über „Headhunter“ vermittelt. Bei einer Arbeitslosmeldung hätte ihm ein Imageschaden gedroht.

Die Arbeitgeberin lehnte es ab, Entgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu leisten

Er macht geltend, weder anderweitiges Einkommen noch Einkommensersatzleistungen bezogen zu haben. Ein von ihm betriebene Fahrzeughandel sei ein Hobby, aus dem er keinen Verdienst bezogen habe. Überdies sei er dieser Tätigkeit auch nicht während der Zeit nachgegangen, in der er Arbeitsleistung für die Beklagte hätte erbringen müssen.


Die Arbeitgeberin lehnte jedoch die Zahlung ab. Immerhin ging es um einen Betrag von über 170.000,00 €. Sie wandte insbesondere ein, dass Robert Pfalz keinen Verdienst aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit erzielt habe. Er habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Es sei davon auszugehen, dass die Agentur für Arbeit ihm im Fall der Arbeitslosmeldung Angebote unterbreitet hätte.


Das Arbeitsgericht hat dem Zahlungsantrag indessen entsprochen und dazu ausgeführt: Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung schulde die Beklagte dem Kläger die Vergütung aus Annahmeverzug. Der Kläger habe keinen Zwischenverdienst und keine Sozialleistungen bezogen und müsse sich auch keinen böswillig unterlassenen Zwischenverdienst anrechnen lassen. Er sei nicht verpflichtet gewesen, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden.

Wenn ein Arbeitnehmer es unterlasse, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden, stelle das ein „böswilligen Unterlassen“ dar

Gegen dieses Urteil ist die Arbeitgeberin in Berufung gegangen, und zwar mit Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.


Das LAG schloss sich insoweit der Rechtsauffassung des fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an. Wenn ein Arbeitnehmer es unterlasse, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden, stelle das ein „böswilligen Unterlassen“ im Sinne von § 11 KSchG dar.


Arbeitnehmer seien zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten, führte das Gericht mit Hinweis auf die Rechtsprechung des fünften Senats aus. Sie seien daneben verpflichtet, sich unverzüglich persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, sobald ihnen bekannt sei, wann das Arbeitsverhältnis ende.


Auch wenn es sich dabei zunächst um eine rein sozialversicherungsrechtliche Meldeobliegenheit handele, habe die Meldepflicht auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung zu finden. Arbeitsrechtlich sei das dem Arbeitnehmer zuzumuten, weil ihm das Gesetz ohnehin abverlange. Zudem könnten die sozialrechtlichen Handlungspflichten nicht außer Acht gelassen werden, wenn ein Gericht den Begriff „böswilliges Unterlassen“ am Maßstab der gemeinsamen Vertragsbeziehung unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auslege.

Es ist nicht ersichtlich, weshalb Robert Pfalz verpflichtet sein sollte, eine Arbeitslosmeldung in seinem Lebenslauf zu erwähnen, wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbesteht

Für den Streitfall folge daraus, dass Robert Pfalz sich in voller Höhe seiner Klageforderung böswillig unterlassenen Zwischenverdienst anrechnen lassen müsse, meint das LAG Niedersachsen.Auch sein Vorbringen, herausgehobene Managementpositionen wie die von ihm innegehabte würden nicht seitens der Agentur für Arbeit, sondern ausschließlich über „Headhunter“ vermittelt, sei kein hilfreiches Argument. Weder bestehe ein dahingehender Erfahrungssatz noch existiere sozialrechtlich eine Beschränkung der Vermittlungsaufgaben der Agentur für Arbeit auf solche Stellen, die weniger anspruchsvoll, bedeutend oder gut dotiert seien als diejenige des Herrn Pfalz.Nicht nachvollziehbar sei zudem das Argument, ihm hätte ein Imageschaden gedroht, hätte er sich arbeitslos gemeldet. Es sei schon nicht ersichtlich, weshalb Robert Pfalz verpflichtet sein sollte, eine Arbeitslosmeldung in seinem Lebenslauf zu erwähnen, wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbestehe. Erklärungsbedürftig wären allenfalls Lücken im Lebenslauf wie längere Zeiten der Arbeitslosigkeit.

 

Solche Lücken könnten durch die Arbeitslosmeldung und die dadurch ausgelöste Vermittlungstätigkeit der Agentur für Arbeit jedoch eher vermieden werden als durch deren Unterlassen.Robert Pfalz hatte noch vorgetragen, er sei selbst aktiv auf Stellensuche gewesen. Das war jedoch für das Gericht nicht maßgeblich. Ein solches eigenes Tätigwerden könne die Arbeitslosmeldung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen, so das LAG. Anhaltspunkte dafür, dass die Agentur für Arbeit ihm für den Fall, dass er sich rechtzeitig arbeitslos gemeldet hätte, nur Stellen mit einem geringeren Einkommen nachgewiesen hätte, lägen nicht vor. Daher sei vorliegend geltend gemachten Vergütung in voller Höhe anzurechnen.


Hier geht es zur Entscheidung des LAG Niedersachsen:

Rechtliche Grundlagen

Rechtsgrundlage:

§ 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Anrechnung auf entgangenen Zwischenverdienst
Besteht nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fort, so muss sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen,
1. was er durch anderweitige Arbeit verdient hat,
2. was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen,
3. was ihm an öffentlich-rechtlichen Leistungen infolge Arbeitslosigkeit aus der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder der Sozialhilfe für die Zwischenzeit gezahlt worden ist. Diese Beträge hat der Arbeitgeber der Stelle zu erstatten, die sie geleistet hat.