Mit der Entscheidung vom 19.03.2015 hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) klargestellt, dass Auszubildende, die Kolleg*innen Schaden zufügen ebenso für die hieraus entstehenden Folgen einzustehen haben wie andere Arbeitnehmer*innen.

Was war geschehen?

Der zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens 17- jährige Kläger und der seinerzeit 19- jährige Beklagte standen in Ausbildungsverhältnissen bei einem Kraftfahrzeughändler, der eine eigene Werkstatt betrieb. Im Frühjahr 2011 war der Beklagte mit dem Auswuchten von Reifen beschäftigt. Aus ca. zehn Meter Entfernung bewarf der Beklagte den Kläger, ohne diesen zuvor zu warnen, mit einem zehn Gramm schweren Wuchtgewicht. Dies geschah nicht in böser Absicht, sondern wurde von dem Beklagten als „Bubbelei“ verstanden.

Ein „Scherz“, der  ins Auge ging

Der scherzhaft gemeinte Wurf des Beklagten ging im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge. Das Gewicht traf den Kläger so unglücklich am linken Auge, dass ihm eine Kunstlinse eingesetzt werden musste und er einen Dauerschaden davontrug.

Der durch das Wurfgeschoss verletzte Kläger verklagte seinen Kollegen auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Unter Abänderung der Entscheidung der ersten  Instanz, die dem Kläger 10.000 € Schmerzensgeld zuerkannte, wurde diesem in der zweiten Instanz ein solches in Höhe von 25.000 € zuerkannt, was vom BAG bestätigt wurde. 

Fahrlässiges Handeln außerhalb der betrieblichen Tätigkeit kann zu Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen führen

Der Beklagte räumte ein, für den folgenschweren Vorfall verantwortlich zu sein. Er vertrat jedoch die Meinung, dass nicht er, sondern die Berufsgenossenschaft (BG) zur Leistung verpflichtet sei. Er begründete dies damit, dass diese bei Personenschäden innerhalb eines Betriebes die BG grundsätzlich eintreten müsse und lediglich bei vorsätzlichen Handlungen kein Versicherungsschutz bestehe. 

Vorsätzlich habe er jedoch nicht gehandelt, sondern allenfalls fahrlässig. Fahrlässig am Arbeitsplatz verursachte Verletzungen, so die Argumentation des Beklagten, seien als Arbeitsunfall anzuerkennen und somit Sache der Unfallversicherung. Diese Rechtsauffassung wurde auch den Richtern des 8. Senats geteilt. Gleichwohl wiesen sie die Revision des Beklagten gegen das für den Kläger positive Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) zurück.

Bereits die Richter des Hessischen LAG hielten dem Beklagten vor, dass ein Wurf mit einem Wuchtgewicht im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen kann. Hierdurch habe der Beklagte die Gesundheit des Klägers fahrlässig geschädigt. 

Der Argumentation des Beklagten, wonach die BG zur Leistung verpflichtet sei, vermochten weder das LAG, noch das BAG folgen. Denn das Herumwerfen mit Gegenständen ohne eine betriebliche Notwendigkeit sei dem persönlich-privaten Bereich und nicht der betrieblichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers zuzurechnen.

Keine Eintrittspflicht der Berufsgenossenschaft

Nach Auffassung der Richter kann sich der Beklagte also nicht darauf berufen, dass die BG zur Leistung verpflichtet ist. Denn das Herumwerfen mit Gegenständen ohne eine betriebliche Notwendigkeit ist nach Meinung sowohl des Hessischen Landesarbeits- als auch des Bundesarbeitsgerichts eindeutig dem persönlich-privaten Bereich und nicht der betrieblichen Tätigkeit eines Beschäftigten zuzurechnen. Eine Leistungspflicht der BG läge nur bei einer berufsbedingten Schädigung vor, von der beide Instanzen nicht ausgegangen sind. Denn bei einer Verletzung, hervorgerufen durch eine „Neckerei“, sind die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses im Sinne von § 105 Absatz 1 SGB VII beziehungsweise § 106 Absatz 1 SGB VII nicht gegeben. 

Ergebnis somit: Der Beklagte hat nicht nur das dem Kläger zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € zahlen. Darüber hinaus hat er dem Kläger auch künftig jeden aus dem Ereignis herrührenden Schaden zu ersetzen.

Anmerkung:

Durch die Entscheidung des BAG wird klargestellt, dass es für junge Mitarbeiter*innen keinen „Welpenschutz“ gibt, der im Berufsleben oftmals für junge Berufseinsteiger angewendet wird, denen Fehler unterlaufen. 

Ein solcher Schutz kann sich aber nur auf die vertraglichen Pflichten beziehen, jungen Berufsanfängern wird zugestanden, dass sie sich erst bei der Arbeit zurechtfinden müssen. Deshalb kann sich die rechtliche Nachsicht nicht auf das Verhalten erstrecken, das mit der Arbeit in keinem Zusammenhang steht. Der Beklagte war volljährig und musste wissen, was er tut.

Da der Beklagte den Kläger, wenn auch sicherlich nicht in böser Absicht, aus ca. zehn Metern Entfernung, ohne diesen zuvor zu warnen, mit einem zehn Gramm schweren Wuchtgewicht bewarf, musste ihm klar sein, dass dieser Wurf Verletzungen nach sich ziehen kann. Da es sich hierbei um eine Aktion handelte, die der Beklagte selbst als fahrlässig einordnete, ist die Entscheidung des 8. Senats sachgerecht.  

Wie sich aus der Pressemitteilung des BAG ergibt, zahlt die zuständige Berufsgenossenschaft dem Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 204,40 €. Die BG dürfte versuchen, unter Berufung auf die höchstrichterliche Entscheidung, die für den Kläger erbrachten und zukünftig zu erbringenden Verletztenrentenleistungen von dem Beklagten zurückzuholen. Da kaum anzunehmen ist, dass bei dem Kläger eine wesentliche Besserung der Unfallfolgen eintritt, werden die an die BG zu erbringenden Leistungen den Beklagten über viele Jahre hinaus finanziell belasten.


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Hier zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr 16/15


Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII

§ 105 Beschränkung der Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen
§ 106 Beschränkung der Haftung anderer Personen

Link zur vollständigen Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichtes