Sonderzahlungen zusätzlich zum Mindestlohn?
Sonderzahlungen zusätzlich zum Mindestlohn?


Mit dieser Frage beschäftigt sich das Bundesarbeitsgericht unter anderem in seinem Urteil vom 8. November 2017.

Der Sachverhalt

Der Kläger arbeitete bei der Beklagten als Kraftfahrer. Er leistete in den Monaten Januar, März, April, Mai, Juni, August und September 2015 unterschiedlich viele Arbeitsstunden. Der Mindestlohn (damals 8,50 € brutto x geleistete Arbeitsstunde) betrug deshalb zwischen 1.1713,60 € brutto und 1.876,80 € brutto.

Die Beklagte bezahlte dem Kläger eine gleichbleibende Monatsvergütung in Höhe von 1.905,00 € brutto.

Außerdem hatte der Kläger Anspruch auf eine monatliche

  • „Immer-da-Prämie“, wenn er durchgehend arbeitsfähig war und nicht unentschuldigt gefehlt hat,
  • „Prämie für Ordnung und Sauberkeit“, wenn das zum Transport von Frischfleisch benutzte Fahrzeug sauber gehalten wird


und

  • „Leergutprämie“ für den korrekten Umgang mit Leergut, das die Kunden zurückgaben.


Addiert man den Mindestlohn und die Prämien, ergibt sich ein höherer Betrag als die von der Beklagten tatsächlich bezahlte Vergütung. Diese Differenz klagte der Arbeitnehmer ein.

Die Rechtsauffassung der Beklagten

Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass er die Prämien auf den Mindestlohn anrechnen dürfe. Inclusive der Prämien habe er sogar mehr als den Mindestlohn bezahlt.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben, als sie noch Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgerichts war.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Im Hinblick auf die Frage den Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn unterscheidet das Landesarbeitsgericht zwischen Prämien, die Arbeitnehmer*innen für die „Normalleistung“ erhalten und denjenigen, die eine „ … Gegenleistung für ein Mehr an Arbeitsleistung bzw. für eine Arbeit unter besonderen oder erschwerten Bedingungen...“ darstellen.

Nach Ansicht des zweitinstanzlichen Gerichts vergüten sowohl die „Leergutprämie“ als auch die „Prämie für Ordnung und Sauberkeit“ die Normalleistung des Klägers. Sowohl der korrekte Umgang mit dem Leergut als auch das Sauberhalten des Fahrzeugs sei integraler Teil der klägerischen Tätigkeit.

Anders sehe es jedoch bei der „Immer-da-Prämie“ aus. Sie vergüte - auch - die Bereitschaft von Arbeitnehmer*innen, selbst dann zur Arbeit zu kommen, wenn sie objektiv arbeitsunfähig seien. Ein solches Verhalten gehöre aber gerade nicht zur Normalleistung. Die dafür bezahlte Vergütung könne der Arbeitgeber nicht auf den Mindestlohn anrechnen. 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Bundesarbeitsgericht der Meinung, dass der Arbeitgeber auch die „Immer-da-Prämie“ auf den Mindestlohn anrechnen darf, weil k:k „ … der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Mindestlohngesetz ‚je Zeitstunde` festgesetzt ist und das Gesetz den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig macht …“ 

Anrechnungsfähig seinen also grundsätzlich „ … alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen …“

Etwas anderes gelte lediglich bei Zahlungen, die „ … der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt.“ 

Mit der Zahlung der „Immer-da-Prämie“ honoriere die Beklagte nicht nur die bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern gerade die Erbringung der Arbeitsleistung. 

Die Unterscheidung des Landesarbeitsgerichts in Normaltätigkeit und besondere Leistung lässt das Bundesarbeitsgericht nicht gelten. Denn der Begriff „Normaltätigkeit“ habe „ … keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohn-gesetzes gefunden.“

Auch die beiden anderen Prämien hält das Bundesarbeitsgericht für anrechenbar. Die Prämie für Ordnung und Sauberkeit sei die Gegenleistung für eine Arbeitsleistung des Klägers. Und die Leergutprämie stelle die Gegenleistung dar für die ordnungsgemäße Abwicklung des Leerguts, das die Kunden an den Kläger zurückgeben.

Hier finden Sie die vollständigen Urteile:

Das sagen wir dazu:

Im Ergebnis spricht sich das Bundesarbeitsgericht dafür aus, dass Arbeitgeber faktisch alle Sonderzahlungen auf den Mindestlohn anrechnen dürfen. Denn Sonderzahlungen, die er „ … ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt …“ dürften die absolute Ausnahme sein, wenn man „Arbeitsleistung“ so weit fasst, wie das Bundesarbeitsgericht es tut.

Richtig wäre dagegen, sich genau in die andere Richtung zu bewegen. Sonderzahlungen sind - wie der Name schon sagt - immer damit verbunden, dass Arbeitnehmer*innen etwas Besonderes leisten. Etwas, das dementsprechend besonders, also über den Mindestlohnanspruch hinaus zu vergüten und deshalb gerade nicht anrechnungsfähig ist.

Wenn Arbeitgeber auch Vergütungen für solche besonderen Leistungen auf den Mindestlohn anrechnen dürften, würden Arbeitnehmer*innen allein für ihre Normalleistung letztlich „ … ein Arbeitsentgelt unterhalb des Mindestlohnes erhalten …“.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus dem Mindestlohngesetz

Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG)
§ 1 Mindestlohn
(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.

(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.

(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet. Der Vorrang nach Satz 1 gilt entsprechend für einen auf der Grundlage von § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag im Sinne von § 4 Absatz 1 Nummer 1 sowie §§ 5 und 6 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.



Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG)
§ 3 Unabdingbarkeit des Mindestlohns
Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen.




Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MiLoG)
§ 22 Persönlicher Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes gelten als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, es sei denn, dass sie
1.
ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
2.
ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3.
ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
4.
an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen.
Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt.

(2) Personen im Sinne von § 2 Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes.

(3) Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sowie ehrenamtlich Tätigen.

(4) Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht. Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung