Noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 18. Februar 2009 hatte der in Konkurs geratene Arbeitgeber für die Monate November 2008 bis Januar 2009 das Gehalt an seinen Buchhalter ausgezahlt.

Wie üblich erfolgte diese Zahlung über ein Konto, das der Sohn des Arbeitgebers eröffnet hatte. Dieser nutzte das Konto selbst nicht. 

Gehaltszahlung ist möglicherweise anfechtbar

Der Insolvenzverwalter erklärte die Anfechtung dieser Gehaltszahlungen nach § 131 Insolvenzordnung (InsO). Nach § 131 InsO ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag vornimmt, anfechtbar. Voraussetzung: die Forderung konnte der Insolvenzgläubiger in der Art nicht beanspruchen.

Dann liegt eine inkongruente Deckung vor. Zahlungen, die Arbeitnehmer über das Konto eines Dritten und nicht über das Konto ihres Arbeitgebers erhalten, sind nach der Rechtsprechung im Allgemeinen inkongruent

Ob Inkongruenz vorliegt, bestimmt sich laut Bundesarbeitsgericht - BAG - allerdings nicht zwingend nach dem im Arbeitsleben üblichen Zahlungsweg. Auch wenn es üblich ist, dass der Arbeitgeber Zahlungen von einem auf seinen Namen eingetragenen Konto vornimmt, sind andere Vorgehensweisen denkbar. Deshalb sei auf das konkrete Arbeitsverhältnis abzustellen. 

Zahlung ausnahmsweise zulässig

Das BAG hat daher im konkreten Fall entschieden, dass eine Entgeltzahlung, die über das Konto des Sohnes des späteren Schuldners erfolgt, ausnahmsweise kongruent und nicht nach § 131 InsO anfechtbar sei, wenn es sich bei diesem Konto um das Geschäftskonto des Arbeitgebers handelt.

Außerdem müsse das Entgelt während des gesamten Arbeitsverhältnisses über dieses Konto gezahlt worden ist – das war hier der Fall: Die Entgeltzahlungen waren durch den Schuldner selbst als Arbeitgeber in der für das Arbeitsverhältnis üblichen Weise erfolgt. Der Sohn war an diesen Zahlungen über die Einrichtung des Kontos hinaus nicht beteiligt.

Anmerkung

Im Fall der Insolvenz eines Unternehmens hat der Insolvenzverwalter unter anderem die Aufgabe sicherzustellen, dass kein Gläubiger im Verhältnis zu anderen benachteiligt oder bevorzugt wird. Hat das insolvente Unternehmen noch kurz vor Insolvenzeröffnung Zahlungen geleistet, hat der Insolvenzverwalter daher unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Rechtshandlung anzufechten und das Geld zurück zu fordern. Die Schmälerung der Insolvenzmasse soll so korrigiert werden.

Ein Arbeitnehmer, der bis zur Insolvenzeröffnung sein Gehalt bekommen hat, hat eine solche Insolvenzanfechtung in der Regel und glücklicherweise nicht zu fürchten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) nimmt zugunsten des Arbeitnehmers an, dass er von der drohenden Insolvenz in den meisten Fällen nichts weiß. Zudem privilegiert das BAG Lohnzahlung als Bargeschäfte im Sinne des § 142 InsO. Diese sind nur unter engen Voraussetzungen anfechtbar.

Zahlungen über Konten Dritter gelten als verdächtig

Etwas anderes gilt aber dann, bei einer sogenannten inkongruenten Deckung. Wenn die Lohnzahlung nicht vom insolventen Arbeitgeber direkt erfolgt, sondern über dritte Personen oder Unternehmen läuft, ist das im Hinblick auf die drohende Insolvenz besonders verdächtig. 


Der Gläubiger, also der Arbeitnehmer, ist in diesen Fällen nach Ansicht des BAG weniger schutzbedürftig. So hat das BAG 2013 entschieden (BAG v. 21.11.2013 - 6 AZR 159/12), dass Lohnzahlungen von einem Schwesterunternehmen in den letzten Monaten vor der Insolvenz des Arbeitgebers inkongruent und daher anfechtbar seien.

Zwingend nachvollziehbar ist dies allerdings nicht. Der Arbeitnehmer hat keinen Einfluss darauf, wie seine Gehaltszahlung erfolgt und wird in diesen Fällen vom BAG weitgehend schutzlos gestellt.

Verdacht lässt sich widerlegen

Im hiesigen Fall nun hat das BAG trotz Abwicklung der Lohnzahlung über ein Drittkonto anders entschieden. Die Umstände dieses Falles deuteten nicht auf eine Benachteiligung anderer Gläubiger hin. Die Lohnzahlungen wurden schon seit geraumer Zeit über das Drittkonto abgewickelt und nicht erst zeitnah zum Insolvenzereignis. Der Zahlungsweg war somit unverdächtig.

Die Entscheidung des BAG ist richtig. Aber es wäre erstrebenswert, dass Arbeitsentgelt, für das der Arbeitnehmer schließlich eine Gegenleistung erbracht hat und auf das er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen ist, grundsätzlich keiner Anfechtung durch den Insolvenzverwalter unterliegt. 

Betriebsräten empfiehlt es sich, bei drohenden Unternehmenskrisen gewerkschaftlichen oder anderen rechtlichen Rat einzuholen, um ggf. den Beschäftigten bei der Absicherung ihrer Lohnansprüche behilflich sein zu können.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 20 vom 13. November 2015 

Hier zur Pressemitteilung Nr. 48/15 des Bundesarbeitsgericht vom 22.10.2015 zum Urteil


Im Praxistipp: Insolvenzordnung (InsO) § 133 Vorsätzliche Benachteiligung

Rechtliche Grundlagen

Insolvenzordnung (InsO) § 133 Vorsätzliche Benachteiligung

Insolvenzordnung (InsO)
§ 133 Vorsätzliche Benachteiligung

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.