Nachtwache in Obdachlosenunterkunft hat Anspruch auf Mindestlohn und Nachtzuschläge. Copyright by britta60 / Fotolia
Nachtwache in Obdachlosenunterkunft hat Anspruch auf Mindestlohn und Nachtzuschläge. Copyright by britta60 / Fotolia

Der Streit darum, wer „Arbeitnehmer“ ist, ist so alt wie das Arbeitsrecht selbst. Wenig Abhilfe hat die mangelhafte Definition verschafft, die der Gesetzgeber mittlerweile in § 611a BGB normiert hat. Umso erfreulicher, dass das Arbeitsgericht Berlin in seinem Urteil souverän Stellung bezieht.
 

Die Nachtwache sucht Verstärkung

Die Parteien des Verfahrens stritten um Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns und Nachtzuschläge. Beides gibt es nur, wenn ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Der Kläger wurde vom Berliner Büro der DGB Rechtschutz GmbH vertreten.
 
Die beklagte Partei ist eine Kirchengemeinde. In Berlin unterhält sie eine Unterkunft, in der alkoholkranke Obdachlose untergebracht und betreut werden. In einem Berliner Stadtmagazin hatte die Beklagte eine Stellenanzeige inseriert, die wie folgt lautete:
 
„Nachtwachen. Wir suchen ab sofort für das Beheimatungsprojekt von obdachlosen Männern drei Nachtwachen für 3 mal im Monat (keine Pflegeaufgaben) und eine/n Sozialarbeiter/in stundenweise für den Tagdienst“
 
Der Kläger ist selbstständiger Künstler. Er ist kein Kirchenmitglied und hat auch sonst keinerlei persönlichen Bezug zu den Belangen von Obdachlosen oder Suchtkranken.
 

Kläger macht Mindestlohn und Zuschläge geltend

Die Parteien einigten sich mündlich darauf, dass der Kläger ab Dezember 2014 für die Beklagte monatlich drei Schichten als Nachtwache wahrnimmt, jeweils von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr des nachfolgenden Tages. Wenn Pflegepersonal nicht anwesend war, war der Kläger Ansprechpartner für die Bewohner, er sollte im Notfall medizinische Hilfe verständigen und bei Bedarf die Gemeinschaftsräume aufräumen.
 
Als Gegenleistung zahlte die Beklagte dem Kläger monatlich zunächst 165 Euro, später von 195 Euro. Die Zahlungen quittierte der Kläger stets auf einem mit Formular mit der Überschrift „Erklärung über den Erhalt einer Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit“.
 
Im Januar 2018 schrieb der Kläger die Beklagte an und machte Vergütung in Höhe des Mindestlohns und Nachzuschläge geltend. Die Beklagte lehnte dies ab und verwies auf den „ehrenamtlichen Charakter“ der Tätigkeit. Anfang Februar erklärte die Beklagte zudem das Vertragsverhältnis mit dem Kläger als „per sofort“ für beendet.
 

Streitpunkt Arbeitnehmer-Begriff

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage mit der Begründung, es habe ein Arbeitsverhältnis vorgelegen. Er sei weisungsgebunden in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingebunden gewesen  - Merkmale, die einem Dienstverhältnis das Gepräge eines Arbeitsverhältnis geben. Die Kündigung sei nicht berechtigt, sondern stelle eine Maßregelung dafür dar, dass er seinen Mindestlohn gefordert habe.
 
Die Beklagte betonte dagegen den ehrenamtlichen Charakter der Tätigkeit. Darauf habe man im Vorstellungsgespräch deutlich hingewiesen. Dem Kläger seien keine arbeitsvertraglichen Weisungen erteilt worden. Es habe sich lediglich um notwendige fachliche Informationen gehandelt, nicht um Weisungen im Sinne des Arbeitsrechts.
 
Außerdem habe man die Einsätze des Klägers nicht angeordnet, diese seien vielmehr einvernehmlich vereinbart worden.
 

Voller Erfolg vor Gericht

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt und erklärte die fristloste Kündigung für unwirksam. Nach richtiger Auffassung des Arbeitsgerichts liegt ein Arbeitsverhältnis vor.
 
Der Arbeitsvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Arbeitnehmer in Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Weisungsgebunden ist, wer über seine Tätigkeit und Arbeitszeit nicht selbst bestimmen kann.
 
Nach Auffassung des Gerichts war der Kläger in die betriebliche Organisation der Beklagten eingegliedert und übte seine Tätigkeit nach ihren Weisung aus. So erhielt der Kläger von der Einrichtungsleitung beziehungsweise vom seiner Schicht vorausgehenden Tagesdienst konkrete Anweisungen, was von ihm in seiner Schicht zu erledigen und zu beachten war. Auch aus dem Gesichtspunkten der Fürsorge für die betreuten Menschen habe es sich verboten, die Ausübung der Nachtwache in das Belieben des Klägers zu stellen.
 

Nachtwache ist keine ehrenamtliche Tätigkeit

Eine Absage erteilt das Gericht dem Argument der Beklagten, der Kläger sei ehrenamtlich tätig gewesen. In ehrenamtlichen Rechtsbeziehungen könnten die Parteien zwar durchaus Rechte und Pflichten begründen, die bei einer Eingliederung in eine vorhandene Organisationsstruktur der Konkretisierung bedürfen. Das Recht zu Konkretisierung im Ehrenamt sei daher äußerlich nicht trennscharf vom arbeitsrechtlichen Direktionsrecht zu unterscheiden.
 
Das Arbeitsgericht grenzt deshalb anhand der Entgeltlichkeit ab. Ein Arbeitnehmer verfolge mit seiner Arbeit das Ziel, für die ausgeübte Tätigkeit ein Entgelt zu erhalten. Auch wenn die Erwerbsabsicht keine notwendige Bedingung für die Eigenschaft einer Person als „Arbeitnehmer“ ist  - manche Menschen sind auf Verdienst nicht angewiesen  - so deute ihr Fehlen nach der Rechtsprechung des BAG darauf hin, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt.
 
Bei ehrenamtlicher Tätigkeit bestehe demgegenüber keine Vergütungserwartung. An ihre Stelle träten rein ideelle Motive. Das Ehrenamt diene nicht der Sicherung des Lebensunterhalts. Vielmehr folge die Motivation zur ehrenamtlichen Tätigkeit aus einer inneren Haltung gegenüber Belangen der Allgemeinheit.
 

Keine idealistische Tätigkeit

Dieser Idealismus habe im für die Entscheidung des Rechtstreits maßgeblichen Zusammenhang nicht vorgelegen. Der Kläger habe als Künstler zu der Kirchengemeinde zuvor keinen Kontakt gehabt. Sein Wohnsitz befinde sich auch nicht im Einzugsgebiet der Gemeinde. Auch sei kein persönlicher Bezug zu den Belangen von Obdachlosen erkennbar gewesen.
 
Das Stellenangebot der Beklagten bezieht sich auch nicht auf „ehrenamtlicher“ Tätigkeit. In derselben Anzeige sucht die Beklagte auch nach Sozialarbeitern  - diese werden bei der Beklagten aber als Arbeitnehmer beschäftigt.
 
Die Beklagte sei zwar von einer lediglich ehrenamtlichen Tätigkeit ausgegangen  - diese Vorstellung war aber einseitig. Der Kläger teilte diese Auffassung nicht. Diese einseitige Einschätzung der Beklagten kann die für eine ehrenamtliche Tätigkeit notwendige ideelle Motivlage beim Kläger nicht ersetzen.
 

Mindestlohn und(!) Zuschläge

Die Ehrenamtspauschale liegt unter dem Mindestlohn. Daher hat die Beklagte die Differenz zwischen zum Mindestlohn zu zahlen.
 
Wichtig ist noch: Das Arbeitsgericht spricht dem Kläger auch einen Anspruch auf Zuschläge für Nachtarbeit zu. Anders als bei Zuschlägen für Mehr- oder Wochenendarbeit, die im Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbart werden müssen, folgt der Anspruch unmittelbar aus dem Arbeitszeitgesetz. Wer nachts arbeitet, hat Anspruch auf eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder „einen angemessenen Zuschlag auf das (für die Nachtarbeit) zustehende Bruttoarbeitsentgelt“.
 
Das Bruttoarbeitsentgelt im Sinne dieser Norm kann der gesetzliche Mindestlohn sein. Das Arbeitsgericht betrachtet, entsprechend der Rechtsprechung des BAG, einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent auf den jeweiligen Bruttostundenlohn als angemessen.
 
Hier finden Sie das Urteil des ArbG Berlin
 
Lesen Sie auch
 
Nachtzuschläge und Urlaubsentgelt sind auf Basis des Mindestlohns zu berechnen
Arbeiten, wenn andere schlafen
Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge nicht pfändbar

Das sagen wir dazu:

Kunst kann mitunter brotlos sein – Arbeit darf es nicht sein. Ehrenamtliche Tätigkeit ist gut und sehr wichtig. Kirchen und andere Institutionen erbringen mit der Hilfe  ehrenamtlicher Helfer viel Gutes. Die Gesellschaft wäre ohne diese Dienste um einiges ärmer.

Allerdings darf ehrenamtliche Tätigkeit keine Arbeitsplätze verdrängen. Das Arbeitsgericht nimmt eine richtige, trennscharfe Unterscheidung vor.

Interessant ist das Urteil auch wegen den Zuschlägen für Nachtarbeit. Arbeitnehmer sollten sich also merken: Zuschläge müssen grundsätzlich im Arbeitsvertrag oder anwendbaren Tarifvertrag vereinbart sein. Anders ist dies bei Nachtarbeit. Hier folgt in Anspruch bereits aus dem Gesetz.

Rechtliche Grundlagen

§ 6 Absatz 5 ArbZG

Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.