Trotz Ausschlussfrist konnte der DGB Rechtsschutz Schwerin den Lohn für eine Gebäudereinigerin durchsetzen.
Trotz Ausschlussfrist konnte der DGB Rechtsschutz Schwerin den Lohn für eine Gebäudereinigerin durchsetzen.

Nach der Rechtsprechung haben Arbeitnehmer*innen bei sittenwidrig niedrigem Lohn einen Anspruch auf die übliche Vergütung für die jeweilige Tätigkeit. Oft berufen sich Arbeitgeber dann jedoch auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen - ohne Grund! Denn Ausschlussfristen sind bei Sittenwidrigkeit des Lohnes nicht ohne weiteres anwendbar.

„Sozialer“ Träger zahlt Reinigungskraft Stundenlohn von 3,10 €

Bei der Prüfung der Arbeitsbedingungen eines großen Betreibers von Kindertagesstätten fiel ver.di in Schwerin ein besonderes Fundstück in die Hände: Der Arbeitsvertrag einer fest angestellten Reinigungskraft, die bei einer Wochenarbeitszeit von 14,9 Stunden zuletzt 200 € im Monat erhielt. Das entsprach einer Stundenvergütung von 3,10 €.

Dass dieser Lohn sittenwidrig ist, muss auch dem Arbeitgeber bewusst gewesen sein, denn als die Beschäftigte die Vergütung beanstandete, wurde ihr Lohn umgehend auf ca. 8,50 pro Stunde angehoben.

Da der Arbeitgeber sich aber weigerte, die Lohndifferenz für die Vergangenheit nachzuzahlen, musste die Arbeitnehmerin, vertreten durch Toralf Schuetze von der DGB Rechtsschutz GmbH in Schwerin, vor dem Arbeitsgericht klagen.

Auch Lohnwucher ist Wucher

Der Stundenlohn war auch nach Auffassung des Arbeitsgerichtes sittenwidrig und damit handelte es sich um ein wucherähnliches Rechtsgeschäft.

Das ist im Arbeitsverhältnis immer dann anzunehmen, wenn der vereinbarte Lohn die „übliche Vergütung“ um mehr als 1/3 unterschreitet und dem Arbeitgeber eine verwerfliche Gesinnung vorzuwerfen ist. Diese verwerfliche Gesinnung kann z.B. im Ausnutzen einer Zwangslage bestehen. Bei einem Lohn, der sogar weniger als 50 % der üblichen Vergütung beträgt, geht die Rechtsprechung automatisch von Verwerflichkeit und damit Lohnwucher aus.

Die übliche Vergütung bestimmt sich dabei in erster Linie nach den Tarifverträgen der jeweiligen Branche und jeweiligen Region, wenn die Tariflöhne üblicherweise gezahlt werden. Ansonsten ist vom allgemeinen Lohnniveau im entsprechenden Wirtschaftszweig auszugehen.

Hier konnte die Klägerin sich auf den Mindestlohn für Gebäudereiniger berufen, der im entsprechenden Zeitraum 7,56 € betrug. Damit lag der vereinbarte Stundenlohn deutlich unter der Hälfte dieser maßgeblichen Vergütung.

Ausschlussfrist half da auch nicht mehr

Im Arbeitsvertrag war wie üblich eine Ausschlussfrist vereinbart, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden müssen. Ausgenommen davon waren Ansprüche, die „auf vorsätzlichen Handlungen“ beruhen.

Der Arbeitgeber meinte deshalb, die Klägerin könne die Differenz allenfalls für die letzten drei Monate fordern. Dieser Auffassung war auch das Arbeitsgericht gefolgt, so dass die Klägerin nur einen kleinen Teil ihrer Ansprüche erhalten hätte.

Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern wurde das Urteil jedoch kassiert. Bei einer sittenwidrigen Vergütung sei grundsätzlich davon auszugehen, dass der Arbeitgeber nicht versehentlich oder unbeabsichtigt, sondern vorsätzlich Lohnwucher betreibt.

Nachzahlung von fast 12.000 €

Eine Ausschlussklausel, die Ansprüche wegen vorsätzlichen Handelns ausnimmt, sei auch in einem solchen Fall nicht anwendbar.

Außerdem könne sich ein Arbeitgeber bei sittenwidrigem Lohn schon grundsätzlich nicht auf Ausschlussfristen berufen, da dies dem Rechtsgrundsatz von „Treu und Glauben“ wiederspreche.

Das Landesarbeitsgericht hat den Arbeitgeber daher verurteilt, für den gesamten eingeklagten Zeitraum von über drei Jahren die Differenz zur geltend gemachten üblichen Vergütung nachzuzahlen. Die Klägerin hat eine Nachzahlung von fast 12.000 € erhalten.

Anmerkung der Redaktion:

Durch das Mindestlohngesetz ist das Problem von Ausschlussfristen bei sittenwidriger Vergütung seit 2015 zumindest deutlich entschärft worden. Denn zur Durchsetzung des Anspruchs auf den Mindestlohn gelten grundsätzlich keine Ausschlussfristen.

Innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren kann deshalb der Anspruch auf den Mindestlohn immer eingefordert bzw. eingeklagt werden.

Das gilt aber nach der oben dargestellten Rechtsprechung auch darüber hinaus bei sittenwidriger Vergütung bzw. dem Anspruch auf die übliche Vergütung. Dazu hat z.B. das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg deutliche Worte gefunden:  „Der Rechtserwerb der Beklagten kraft unredlichen Verhaltens, der Wuchervorteil, ist sittenwidrig. Es widerspricht Treu und Glauben, diesen Vorteil bei der Beklagten zu belassen, da ansonsten die Sittenwidrigkeit der Lohnvereinbarung im Wesentlichen aufrecht erhalten bliebe“.


LAG Hamm, Urteil v. 18.03.2009, 6 Sa 1284/08

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 09.01.2015, 6 Sa 1343/14


BAG, Urteil v. 18.11.2015, 5 AZR 814/14

Rechtliche Grundlagen

§ 138 BGB

Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.