BAG stärkt Tarifvertragsparteien
BAG stärkt Tarifvertragsparteien

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Entscheidung am 15.04.2015 festgestellt, dass eine Regelung wirksam ist, nach der Ansprüche aus einem Tarifvertrag davon abhängig gemacht werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft besteht.

Der Münchener Fall


In München sollte ein Unternehmensstandort mit ca. 3.600 Beschäftigten geschlossen werden. In Verhandlungen der IG Metall und dem Betriebsrat mit dem Unternehmen konnte erreicht werden, dass 2000 Arbeitsplätze erhalten blieben und 1600 Beschäftigte in eine Transfergesellschaft wechseln konnten. Diese sollten nach einem zwischen der IG Metall und dem Unternehmen am 4.4.2012 geschlossenen Transfer- und Sozialtarifvertrag (im Folgenden: TV) für eine Mindestlaufzeit von 2 Jahren u.a. 70% ihrer bisherigen Vergütung und darüber hinaus eine Abfindung von ca. einem Jahresgehalt (max. 110.000 EUR) erhalten.

Ein Ergänzungstarifvertrag (im Folgenden: ETV) vom gleichen Tag sah vor, dass Gewerkschaftsmitglieder, deren Mitgliedschaft bis zu einem bestimmten Stichtag vor der Bekanntgabe der Regelung (23.3.2012, 12.00 Uhr) bestand, Anspruch auf 80% des bisherigen Arbeitsentgelts hatten und neben dem Jahresgehalt eine zusätzliche Abfindung von 10.000 € erhielten. Ebenfalls am 4.4.2012 schlossen das Unternehmen und der Betriebsrat einen Interessenausgleich/Sozialplan, nach dem die Regelungen des TV für alle betroffenen Beschäftigten übernommen wurden. Eine Übernahme des ETV erfolgte dagegen nicht.

Die Klägerin wechselte in die Transfergesellschaft und unterschrieb zu diesem Zweck eine entsprechende Vereinbarung, in der für den Abfindungsanspruch und die Monatsvergütung auf beide Tarifverträge Bezug genommen wurde. Ihr wurden jedoch vom Unternehmen und auch von der Transfergesellschaft nicht die Zusatzleistungen nach dem ETV gewährt, weil sie nur in der Zeit von Juli 2012 bis Januar 2013, also nicht bis zum Stichtag 23.3.2012 Gewerkschaftsmitglied war. Mit ihrer Klage verlangte sie auch diese Leistungen auf eine zusätzliche Abfindung und das höhere Monatsgehalt. Ihre Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.

Stichtagsregelung ist wirksam


Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht (LAG) München, hatte die Stichtagsregelung im ETV als zulässige einfache Differenzierungsklausel gewertet. Derartige Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen sehen vor, dass bestimmte Vergünstigungen nur Gewerkschaftsmitgliedern und nicht Nicht-Organisierten oder Anders-Organisierten zugutekommen sollen. Sie lassen es aber zu, dass der Arbeitgeber durch Zusatzvereinbarungen die tariflichen Vergünstigungen allen seinen Mitarbeitern gewährt. Sie werden von der Rechtsprechung in der Regel für wirksam erachtet.

Anders als das LAG ist das BAG der Auffassung, dass es sich bei der Stichtagsklausel im ETV nicht um eine Differenzierungsklausel handelt und daher die Zulässigkeit einer solchen Klausel im vorliegenden Fall gar nicht zu beurteilen war. Es begründet das damit, dass die Stichtagsregelung nicht zwischen Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsmitgliedern unterscheidet sondern zwischen den verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern, je nachdem, wann ihre Mitgliedschaft bestanden hat. Dazu sind Tarifvertragsparteien befugt. Sie dürfen – nach Auffassung der obersten Arbeitsrichter – innerhalb der Gruppen der grundsätzlich tarifgebundenen Gewerkschaftsmitglieder differenzieren und die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine tarifliche Leistung bestimmen, da ein Tarifvertrag ohnehin nur Ansprüche für die tarifgebundenen Arbeitnehmer begründet.

Die Tarifvertragsparteien überschreiten dadurch ihre Tarifmacht nicht, zumal – so das BAG – bei Ausgleichszahlungen anlässlich von Teilbetriebsstilllegungen auch ein weiter Gestaltungsspielraum besteht.

Kein Eingriff in die sog. negative Koalitionsfreiheit


Negative Koalitionsfreiheit ist das Recht, einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband nicht beizutreten oder wieder auszutreten. Die Rechtsprechung prüft in diesem Zusammenhang, ob durch die nur Gewerkschaftsmitgliedern erteilten Vergünstigungen ein unzulässiger Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ausgeübt wird. Aber nicht jeder Druck, einer Gewerkschaft beizutreten, ist unzulässig.

Nicht-Gewerkschaftsmitglieder müssen es grundsätzlich hinnehmen, dass ihnen keine tariflichen Ansprüche zustehen. Das sieht auch das BAG in der vorliegenden Entscheidung so. Der ETV übt keinen höheren Druck aus, als jeder Tarifvertrag, der Leistungen gewährt, die hinter den Leistungen in Arbeitsverträgen zurückbleiben Die Regelungen des ETV schließen außerdem nicht aus, dass diejenigen, für die tarifliche Leistungen nicht automatisch gelten, vertragliche Abmachungen über die gleichen Leistungen abschließen.

Kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung


Nach Auffassung des BAG kommt ein Verstoß der Stichtagsklausel gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz von vorneherein nicht in Betracht, da die zwischen der Klägerin und dem Unternehmen sowie der Transfergesellschaft getroffene Vereinbarung lediglich auf die Tarifverträge verweist und keine eigenen Regelungen trifft.

Anders als vom Arbeitgeber selbst festgesetzte Regeln und Kriterien, nach denen Leistungen an Mitarbeiter gewährt werden sollen, sind tarifliche Leistungskriterien nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht an Hand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überprüfen.

Das BAG verneint auch eine Verletzung des sog. betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Klägerin argumentierte, dass Betriebsrat und Unternehmen verpflichtet gewesen seien, sämtliche tarifliche Regelungen in den Interessenausgleich/Sozialplan aufzunehmen. Von der Teilstilllegung seien Gewerkschaftsmitglieder wie Nicht-Organisierte bzw. nach dem Stichtag Organisierte in gleicher Weise betroffen, so dass insoweit kein sachlicher Grund für die Gewährung unterschiedlicher Leistungen bestanden habe. Das BAG weist das Argument mit der Begründung zurück, dass die Betriebsparteien in den Sozialplan nur den TV und nicht den ETV übernommen haben. Der TV sieht aber keine Differenzierung nach dem Stichtag der Gewerkschaftsmitgliedschaft vor. Er behandelt daher alle Beschäftigten des Betriebes gleich.

Anmerkung der Redaktion:


Im Arbeitsleben ist es üblich geworden, dass alle Arbeitnehmer - auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder - in den Genuss tariflicher Leistungen kommen. Das beruht darauf, dass viele Tarifverträge allgemeinverbindlich sind, also unabhängig von der Mitgliedschaft gelten, oder Arbeitsverträge auf bestimmte Tarifverträge verweisen. Deshalb ist es zunehmend aus dem Blick geraten, dass gute arbeitsrechtliche Regelungen und Leistungen erst mit Hilfe von Gewerkschaften und deren Mitgliedern erstritten und ausgehandelt werden müssen.

Der vorliegende Fall macht dies sehr deutlich. Erst mit Unterstützung der zuständigen Gewerkschaft konnte ein Großteil von Arbeitsplätzen gerettet und für die übrigen Beschäftigten gute soziale Ausgleichsregelungen für den Verlust ihrer Arbeitsplätze durchgesetzt werden. Die Stichtagsregelung im ETV greift genau diesen Aspekt auf, wenn durch sie nur solche Arbeitnehmer von tariflichen Leistungen profitieren sollen, die bis zum erfolgreichen Tarifabschluss Gewerkschaftsmitglieder waren.

Das BAG hat im vorliegenden Urteil diese als „Binnendifferenzierung“ bezeichnete Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern je nach dem Zeitpunkt ihrer Mitgliedschaft gebilligt und „Trittbrettfahrern“ den höchstrichterlichen Schutz versagt. Die Rechtsprechung stärkt damit die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien. Diese dürfen die persönlichen Leistungsvoraussetzungen - zu denen auch ein Gewerkschaftsbeitritt nach Stichtagen gehören kann - autonom festlegen. Die Gewährung von tariflichen Leistungen an Mitglieder bedeutet keinen unzulässigen Druck, der die negative Koalitionsfreiheit verletzt. Denn die Befugnis, verbindliche Regelungen in Tarifverträgen abzuschließen, ist durch Art. 9 Abs.3 GG ohnehin nur auf die Mitglieder der die Tarifverträge abschließenden Tarifparteien beschränkt.

Indem das BAG die streitige Stichtagsregelung nicht als Differenzierungsklausel bewertet, entzieht es sich der grundsätzlichen Diskussion über die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln. Die Richtigkeit dieser Bewertung mag zweifelhaft sein, da der Leistungsausschluss zu bestimmten Stichtagen letztlich auch auf der fehlenden Mitgliedschaft in der zuständigen Gewerkschaft beruht, wenn auch nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Entscheidend ist, dass das oberste Arbeitsgericht die vorliegende Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Gewerkschaftsmitgliedschaft gebilligt hat.

Dieses Ergebnis war im Übrigen schon durch eine frühere Entscheidung des BAG vom 21.8.2013 vorgezeichnet. In dieser Entscheidung hatte ein Nicht-Mitglied auf eine (höhere) Sonderzahlung geklagt, die in einem Tarifvertrag Gewerkschaftsmitgliedern garantiert wurde, wenn sie im jeweiligen Jahr zu einem bestimmten Datum bereits Gewerkschaftsmitglied waren und nicht wieder ausgetreten waren. Hier schon hatte das BAG die Auffassung vertreten, dass im Hinblick auf die Gewährung der Leistungen nicht zwischen Organisierten und Unorganisierten unterschieden werde sondern zwischen verschiedenen Gruppen von Gewerkschaftsmitgliedern. Mit der arbeitsvertraglichen Verweisung auf den Tarifvertrag erhalte das Nicht-Gewerkschaftsmitglied außerdem die gleichen Leistungen wie die Gewerkschaftsmitglieder auch, die nur nicht die weiteren Voraussetzungen des Tarifvertrages erfüllten. Es fehle daher schon an der ggf. zu überprüfenden Unterscheidung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenstehenden.

Auf den ersten Blick überrascht, dass sich das BAG im Münchener Fall mit dem Einwand der Klägerin nicht näher befasst hat, es handele sich doch eigentlich um eine Sozialplanregelung, bei der alle Beschäftigten entsprechend ihrer durch die Betriebsänderung erlittenen Nachteile gleichbehandelt werden müssten. Auf den zweiten Blick überzeugt jedoch die Entscheidung auch insoweit. Zu Recht muss nämlich zwischen betrieblicher Sozialplanregelung und den tariflichen Regelungen getrennt werden. Nur da, wo die Betriebsparteien statt einer eigenen Regelung eine tarifliche Regelung als Nachteilsausgleich in den Interessenausgleich/Sozialplan übernehmen, sind die einbezogenen Regelungen am betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. In die betriebliche Regelung einbezogen war aber nur der TV und ausdrücklich nicht der ETV, der allein die streitige Differenzierung enthielt. Die Klägerin konnte sich daher in Bezug auf die Leistungen aus dem ETV zu Recht nicht auf den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen.

Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 15.04.2015, Az: 4 AZR 796/13