Nicht jede Sonderzahlung kann automatisch verschwinden, wenn Arbeitgeber versuchen, sie mit dem Mindestlohn gegenzurechnen. Einen entsprechenden Fall eines ver.di-Mitglieds hat jetzt das Bundesarbeitsgericht entschieden.

Arbeitgeber kürzt Prämie

Die geringfügig beschäftigte Klägerin hatte zunächst einen Stundenlohn von 6,36 Euro pro Stunde. Ab Januar 2015 erhöhte sich ihr Stundenlohn durch eine Vertragsänderung auf 8,50 Euro. Außerdem gab es eine Betriebsvereinbarung, nach der sie eine Anwesenheitsprämie erhält.

Je nach Anzahl der Krankheitstage sollte sie zwischen 100 und 0 Euro zusätzlich erhalten. Ab Januar 2015 verrechnete der Arbeitgeber diese Prämie mit dem Mindestlohn. Er ermittelte, welcher Zahlungsanspruch auf Grundlage des Mindestlohns besteht, rechnete den Lohn auf Basis des früher vereinbarten Lohns von 6,36 Euro gegen und zog den Differenzbetrag von der Anwesenheitsprämie ab.

Der Differenzbetrag wurde in den jeweiligen Lohnabrechnungen unter „davon Anw.prämie“ ausgewiesen. Diese Beträge klagte die Beschäftigte mit Hilfe ihrer Gewerkschaft und des DGB Rechtsschutzes ein.

Bundesarbeitsgericht: Mindestlohn ist vertraglich vereinbart

Das Bundesarbeitsgericht sprach ihr die Differenzbeträge zu. Dabei legte der 5. Senat - basierend auf seiner bisherigen Rechtsprechung - zu Grunde, dass auch eine Anwesenheitsprämie grundsätzlich auf den Mindestlohn angerechnet werden könne.

Eine Anrechnung sei aber dann nicht möglich, wenn bereits die Grundvergütung den gesetzlichen Mindestlohn erreiche. Für eine Anrechnung von Sonderzahlungen bestehe dann kein Raum. Da der Arbeitgeber den Stundenlohn von 6,36 Euro auf 8,50 Euro erhöht habe, komme eine Anrechnung der Anwesenheitsprämie nicht in Betracht.

Auch die arbeitsvertragliche Regelung ergebe nichts Anderes. Der Nachtrag zum Arbeitsvertrag, den die Parteien im Hinblick auf den gesetzlichen Mindestlohn geschlossen haben, sehe zwar eine Erhöhung des Stundenlohns, aber keine Anrechnung der Prämie vor.

Der Formulierung im Änderungsvertrag lasse sich nicht entnehmen, dass die Prämie durch die Lohnerhöhung betroffen wäre. Daher dürfe ein durchschnittlicher Beschäftigter davon ausgehen, dass die Prämie unverändert weiter gezahlt werde.

Auf die Formulierung kommt es an

Angelika Kapeller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht, die die Klägerin vor dem Bundesarbeitsgericht vertreten hat, rät Betroffenen, sich die Formulierungen in ihren Verträgen genau anzuschauen. Kapeller: „ Zwar hat der 5. Senat seine Linie bestätigt, dass Sonderzahlungen unter Umständen verrechnet werden dürfen. Aber dann muss der Arbeitgeber das eben auch wirksam tun“. Wenn er, wie in diesem Fall, zunächst den Lohn erhöhe, so gebe es schlichtweg keinen Raum für Anrechnung.Auch wenn die Rechtsprechung für Beschäftigte nicht günstig sei, so Kapeller, könne eine Klage im Einzelfall durchaus erfolgreich sein, wenn die Verrechnung nicht rechtlich wirksam erfolge. „Es reicht eben nicht, die Prämie nur als Abzugsposten auf dem Lohnzettel aufzuführen!"

Das Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 11.10.2017 – 5 AZR 621/16 hier im Volltext


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Rechtliche Grundlagen

§ 1 Mindestlohngesetz

§ 1 Mindestlohn

(1) Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber.

(2) Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.

(3) Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet. Der Vorrang nach Satz 1 gilt entsprechend für einen auf der Grundlage von § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag im Sinne von § 4 Absatz 1 Nummer 1 sowie §§ 5 und 6 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.