Michael Mey, Hagen
Michael Mey, Hagen

Nur "wirkliche" Kleinbetriebe benötigen den Schutz des § 111 Betriebsverfassungsgesetz. Ein Unternehmen, das derart aufgestellt ist, dass es zur Verfolgung des unternehmerischen Zwecks auf mehr als 20 Arbeitnehmer angewiesen ist, bedarf des Schutzes der Kleinbetriebsklausel nicht – und zwar auch dann nicht, wenn es hierzu teilweise Leiharbeitnehmer einsetzt. Obwohl diese nicht zur Stammbelegschaft gehören, erhöhen sie die wirtschaftliche Mächtigkeit des Unternehmens. Damit begründete das Bundesarbeitsgericht am 18. Oktober 2011 seine richtungsweisende Entscheidung, mit der es die Rechtsposition von Leiharbeitnehmern im Entleihbetrieb gestärkt und sie näher an die Stammbelegschaft gerückt hat.

„Die Nuss, die vor dem Bundesarbeitsgericht geknackt werden musste, war der Schwellenwert, der für einen Interessenausgleich und somit für einen Abfindungsanspruch entscheidend ist“, erklärt Michael Mey. Der Teamleiter aus Hagen vertrat drei Mandanten, deren Fall mit Hilfe des Gewerkschaftlichen Centrums für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH in dritter Instanz entschieden wurde. Es ging um die Frage, ob den Mandanten nach ihrer Kündigung zumindest eine Abfindung zusteht oder nicht. Schließlich wurden elf Boden- und Parkettleger aufgrund einer Betriebsänderung entlassen – die Unternehmensleitung hatte entschieden,alle anfallenden Montageleistungen zukünftig nicht mehr durch eigenes Personal durchführen zu lassen.

 

Betriebsratsanhörung – ja oder nein?

 

Denn für den Fall, dass der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung die gebotene Beratung mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich unterlässt, haben Arbeitnehmer laut § 113 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz, die durch diese Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren, einen Anspruch auf eine Abfindung als Nachteilsausgleich – und laut Gesetz muss bei Betriebsänderungen ein Interessenausgleich in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern stattfinden. Mey: „Fraglich vor dem Bundesarbeitsgericht war, ob auch die im Unternehmen beschäftigte 21. Beschäftigte – eine Leiharbeitnehmerin – zu diesem Schwellenwert hinzuzählt.“ Regulär waren in der Firma nur 20 Mitarbeiter beschäftigt, aber seit sechs Monaten zum Kündigungszeitpunkt auch eine Leiharbeitnehmerin. Nachdem das Landesarbeitsgericht Hamm die Klage abgewiesen hatte, sahen die Erfurter Arbeitsrichter den Sachverhalt anders: Sind Leiharbeitnehmer länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt, sind sie bei der Ermittlung des Schwellenwertes zu berücksichtigen, obwohl sie nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher stehen. Damit war klar: Die 21. Beschäftigte der Parkett- und Bodenverlegerfirma zählt mit und der Arbeitgeber hätte vor Ausspruch der Kündigung Gespräche mit dem Betriebsrat zu Interessenausgleich und Sozialplan aufnehmen müssen.

 

In Rechtsprechung angekommen

 

Den Gekündigten stehen also Abfindungen in Höhe eines halben Monatslohns pro Beschäftigungsjahr zu. Damit ging das Bundesarbeitsgericht sogar noch über die erstinstanzlich vom Arbeitsgericht Hagen ausgeurteilte Abfindung hinaus. „Mit dieser Entscheidung legen die Richter ein größeres Augenmerk auf die Leiharbeitnehmer“, so die Einschätzung von Jurist Mey, „somit ist deren Bedeutung auch in der deutschen Rechtsprechung angekommen.“ Denn kaum ein Unternehmen kommt noch ohne Leiharbeitnehmer aus; deren Anteil wächst stetig. „Betriebsräte haben nun die Chance, sich bei der Errechnung des Schwellenwerts auf dieses Urteil zu berufen.“