BAG legt Frage zur Übermittlungspflicht bei Massenentlassungen dem EuGH vor.
BAG legt Frage zur Übermittlungspflicht bei Massenentlassungen dem EuGH vor.

Das Arbeitsgericht Osnabrück vermochte keine Fehler im Massenentlassungsverfahren erkennen und hat die Klage im Juni 2020 abgewiesen.

 

Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen im Februar 2021 zurück.

 

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde durch das LAG zugelassen.

 

Kläger: Übermittlungspflicht hat arbeitnehmerschützendem Charakter 

In dem Revisionsverfahren hielt der Kläger an seiner Argumentation fest. Die unterlassene Übermittlung an den Betriebsrat sei ein Verstoß gegen die sich aus dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ergebende Anzeigepflicht und die Massenentlassungsrichtlinie (MERL). Denn die unterlassene Übermittlung der an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG an die Agentur für Arbeit verstoße gegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL.

 

Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Vorinstanzen erhalte diese nicht nur eine sanktionslose Nebenpflicht, sondern stelle eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung dar. Die Übermittlungspflicht solle sicherstellen, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhalte, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Sie habe von daher arbeitnehmerschützendem Charakter

 

BAG legt Frage zur Übermittlungspflicht bei Massenentlassungen dem EuGH vor

Das BAG sollte nun letztinstanzlich über die Wirksamkeit der Kündigung und die aufgeworfenen Fragen zum Massenentlassungsverfahren entscheiden. Zu einer Entscheidung kam es aber am 27. Januar 2022 nicht, wohl aber zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

 

Durch den EuGH beantwortet wissen wollen die Richter*innen des 6. BAG-Senats die Frage,

welche Sanktionen ein Verstoß gegen die Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber der  Agentur für Arbeit im Rahmen von anzeigepflichtigen Massenentlassungen nach sich zieht? 

 

Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unionsrechtskonform in gleicher Weise wie Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL auszulegen ist, eine den Arbeitnehmerschutz bezweckende Vorschrift im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist, dann dürfte sich die streitgegenständliche Kündigung als unwirksam erweisen.

Man darf gespannt auf die Beantwortung der Frage des BAG durch den EuGH sein. Über den weiteren Verlauf des Verfahren werden wird berichten.

 

Hier geht es zur Pressemitteilung des BAG vom 27.01.2022. 

Rechtliche Grundlagen


§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG
Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten.


Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der MERL
Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Unterabsatz 1 Buchstabe b) Ziffern i) bis v) genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln.

§ 134 BGB
Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.