Datenschutzrechtlich bedenklich ist die allgemeine Pflicht zum Fiebermessen am Arbeitsplatz © Adobe Stock: Robert Kneschke
Datenschutzrechtlich bedenklich ist die allgemeine Pflicht zum Fiebermessen am Arbeitsplatz © Adobe Stock: Robert Kneschke

Bis zum Landesarbeitsgericht kämpfte der 50-jährige Mann. Er arbeitet in einem Callcenter. Sein Arbeitsplatz befindet sich in einem Großraumbüro. Mit Beginn der Corona-Pandemie forderte sein Arbeitgeber sämtliche Beschäftigte dazu auf, beim Betreten des Betriebes Körpertemperaturmessungen vorzunehmen.

 

Die Weigerung führte zur Kündigung

 

Der Kläger weigerte sich. Der Arbeitgeber kündigte ihm daraufhin und behielt den Lohn für einen Monat zurück. Unterstützt durch das Rechtsschutzbüro Braunschweig erhob er Kündigungsschutzklage. Schon in der ersten Instanz gewann er den Prozess. Nun entschied auch das Landesarbeitsgericht zu seinen Gunsten. Seinen Arbeitsplatz behält er und den rückständigen Lohn muss der Arbeitgeber auch zahlen.

 

Die Weisung der Beklagten, vor Betreten der Betriebsräume eine Körpertemperaturmessung durchzuführen, sei unwirksam - heißt es im Urteil des Landesarbeitsgerichts. Sie sei nicht vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt.

 

Der Arbeitgeber berief sich auf den Arbeitsschutz

 

Die Beklagte berief sich auf die Zulässigkeit einer betrieblichen Maßnahme des Arbeitsschutzes nach datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Das gelte in Beschäftigungsverhältnissen, wenn die Datenverarbeitung zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis erforderlich sei. Auch Rechte der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes berechtigten zur Verarbeitung personenbezogener Daten, wenn das schutzwürdige Interesse der Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiege.

 

Bei der Messung der Körpertemperatur handele es sich jedoch um keine Verarbeitung personenbezogener Daten, so das Landesarbeitsgericht. Die Temperaturmessung richte sich darauf, festzustellen, ob bestimmte Personen mit Covid-19 infiziert sind. Damit würden Gesundheitsdaten verarbeitet.

 

Das Ergebnis der Temperaturmessung wurde abgefragt

 

Die Temperaturmessung selbst lasse zwar noch keine Identifikation einer bestimmten Person zu. Allerdings würden die gewonnenen Daten durch das Vorzeigen der Messergebnisse abgefragt und von den Führungskräften der Beklagten verwendet. Diese beurteilten anschließend, ob Betroffene ihre Arbeit aufnehmen dürften oder nicht.

 

Die Verarbeitung von personenbezogenen Gesundheitsdaten verbiete der Datenschutz. Etwas anderes gelte nur, wenn eine der gesetzlich geregelten Ausnahmen vorlägen. Eine Ausnahme sei beispielsweise anzunehmen, soweit Verantwortliche einer aus dem Arbeitsrecht folgenden Pflicht nachkommen müssten.

 

Die Beklagte müsse zwar Maßnahmen des Arbeitsschutzes ergreifen und dadurch Leben und Gesundheit ihrer Beschäftigten schützen. Zulässig seien dafür jedoch nur erforderliche Maßnahmen.

 

Fiebermessen kann durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden

 

Das Fieber messen sei nicht erforderlich. Die Beklagte habe nicht darlegen können, dass es vor dem Ausspruch der Kündigung des Klägers zu Corona-Fällen im Betrieb gekommen war. Eine bloße Chance, tatsächlich erkrankte Mitarbeiter*innen identifizieren zu können, reiche nicht aus. Die Anordnung zum Temperaturmessen sei anlasslos erfolgt.

 

Eine erhöhte Körpertemperatur weise auch nicht zwangsläufig auf eine Covid-19-Infektion hin. Auch Erkältungen, Stoffwechsel- und Gefäßerkrankungen, Rheuma oder andere entzündliche Prozesse führten zu erhöhten Körpertemperaturen. Körperliche Betätigungen wie Sport und Eile führten zu Messunterschieden und Abweichungen.

 

Die Körpertemperatur schwanke auch tagesabhängig. In der bis zu 14 Tagen umfassenden Inkubationszeit wiesen im Übrigen die mit Covid-19 infizierten Personen teilweise noch keinerlei Symptome auf und blieben häufig auch über den gesamten Infektionsverlauf hinweg vollständig symptomfrei. Je nach Art des genutzten Thermometers sei auch mit unterschiedlichen Messergebnissen und der Gefahr einer Verfälschung zu rechnen.

 

Die Ergebnisse sind nicht aussagekräftig

 

Es könne somit zu „falsch-positiven“ sowie auch „falsch-negativen“ Messwerten kommen. Die Beklagte erreiche durch ihre anlasslose, verpflichtende Körpertemperaturmessung nur eine Scheinsicherheit.

 

Anlassloses Fiebermessen greife zudem unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte des Klägers ein. Der Ort der Temperaturmessung sei für jedermann zugänglich. Jeder könne den Kläger dabei beobachten. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme ergebe sich auch daraus, dass nur 41 % der Infizierten in der Frühphase der Erkrankung Fieber aufwiesen, aber schon ansteckend seien. Das führe zur Rechtswidrigkeit der Anweisung, beim Betreten des Betriebes eine Temperaturmessung durchzuführen.

 

Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Anweisung und weil darüber hinaus auch der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß eingebunden gewesen war, erklärte das Gericht die Kündigung des Klägers für unwirksam. Den einbehaltenen Lohn muss der Arbeitgeber nachzahlen.

 

Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen

 

 

Rechtliche Grundlagen

Art. 9 DSGVO

Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten

(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, es sei denn, nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten kann das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der betroffenen Person nicht aufgehoben werden,

b) die Verarbeitung ist erforderlich, damit der Verantwortliche oder die betroffene Person die ihm bzw. ihr aus dem Arbeitsrecht und dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erwachsenden Rechte ausüben und seinen bzw. ihren diesbezüglichen Pflichten nachkommen kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten oder einer Kollektivvereinbarung nach dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist,

c) die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person erforderlich und die betroffene Person ist aus körperlichen oder rechtlichen Gründen außerstande, ihre Einwilligung zu geben,

d) die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage geeigneter Garantien durch eine politisch, weltanschaulich, religiös oder gewerkschaftlich ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der Voraussetzung, dass sich die Verarbeitung ausschließlich auf die Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Organisation oder auf Personen, die im Zusammenhang mit deren Tätigkeitszweck regelmäßige Kontakte mit ihr unterhalten, bezieht und die personenbezogenen Daten nicht ohne Einwilligung der betroffenen Personen nach außen offengelegt werden,

e) die Verarbeitung bezieht sich auf personenbezogene Daten, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat,

f) die Verarbeitung ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich,

g) die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich,

h) die Verarbeitung ist für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs und vorbehaltlich der in Absatz 3 genannten Bedingungen und Garantien erforderlich,

i) die Verarbeitung ist aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren oder zur Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Gesundheitsversorgung und bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person, insbesondere des Berufsgeheimnisses, vorsieht, erforderlich, oder

j) die Verarbeitung ist auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1 erforderlich.

(3) Die in Absatz 1 genannten personenbezogenen Daten dürfen zu den in Absatz 2 Buchstabe h genannten Zwecken verarbeitet werden, wenn diese Daten von Fachpersonal oder unter dessen Verantwortung verarbeitet werden und dieses Fachpersonal nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen dem Berufsgeheimnis unterliegt, oder wenn die Verarbeitung durch eine andere Person erfolgt, die ebenfalls nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen einer Geheimhaltungspflicht unterliegt.

(4) Die Mitgliedstaaten können zusätzliche Bedingungen, einschließlich Beschränkungen, einführen oder aufrechterhalten, soweit die Verarbeitung von genetischen, biometrischen oder Gesundheitsdaten betroffen ist.