Drohung der Arbeitsniederlegung begründet keine Druckkündigung
Drohung der Arbeitsniederlegung begründet keine Druckkündigung



Der Kläger war seit November 2007 als Hafenarbeiter bei der Beklagten tätig. Die Beklagte betreibt ein Containerterminal und beschäftigt etwa 1.000 Arbeitnehmer.
 

Erste und zweite Kündigung erfolglos

 
Im September 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis. Sie begründete diese wegen des Verdachts einer vom Kläger außerdienstlich begangenen Straftat (Missbrauch eines Kindes).
 
Wegen dieser Straftat wurde der Kläger strafrechtlich verurteilt. Die gegen diese Kündigung gerichtete Klage war erstinstanzlich erfolgreich. Nachdem seine Kündigungsschutzklage in erster Instanz erfolgreich war, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis im April 2012 erneut. Begründet wurde diese Kündigung damit, dass Mitarbeiter eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger abgelehnt hätten. Die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigungen steht rechtskräftig fest.
 

Mitarbeiter verweigern Arbeit

 
Als der Kläger im Juni und Juli 2013 an zwei Tagen zum Arbeitsantritt wieder im Betrieb erschien, weigerten sich Mitarbeiter der Beklagten sowie Arbeitnehmer von auf dem Gelände tätigen Drittfirmen, die Tätigkeit aufzunehmen, solange sich der Kläger auf dem Terminalgelände aufhält.
 
Dies veranlasste die Beklagte, dem Kläger ein drittes Mal zu kündigen. Nach Anhörung des Betriebsrats erhielt der Kläger sodann mit Schreiben vom 23. Juli 2013 eine außerordentliche fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung.
 
Gegen diese Kündigung hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er begründete diese damit, dass weder ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung gegeben, noch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei.
 

Arbeits- und Landesarbeitsgericht erklären ordentliche Kündigung für wirksam

 
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche jedoch für wirksam gehalten.
 
Mit seiner Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren hinsichtlich der ordentlichen Kündigung weiter, während die Beklagte mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Klageabweisung begehrt. Die Richter*innen des 2. BAG-Senats kamen, unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts, zu dem Ergebnis,
 
dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23. Juli 2013 aufgelöst worden ist und die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
 

BAG: Strenge Voraussetzungen für Druckkündigung

 
Das ernstliche Verlangen eines Dritten, der unter Androhung von Nachteilen vom Arbeitgeber die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers fordert, so der 2. Senat, kann auch dann einen Grund zur Kündigung bilden, wenn es an einer objektiven Rechtfertigung der Drohung fehlt.
 
Allerdings unterliege eine solche „echte“ Druckkündigung strengen Anforderungen. Insbesondere dürfe der Arbeitgeber einem Kündigungsverlangen seitens der Belegschaft oder eines Teils seiner Mitarbeiter nicht ohne Weiteres nachgeben.
 
Er habe sich vielmehr schützend vor den Betroffenen zu stellen und alles Zumutbare zu versuchen, um die Belegschaft von ihrer Drohung abzubringen Diese Pflicht verlange vom Arbeitgeber ein aktives Handeln, das darauf gerichtet sei, den Druck abzuwehren.
 

Beklagte unternahm keinen Versuch, den auf sie ausgeübten Druck abzuwehren

 
Nur wenn trotz solcher Bemühungen die Verwirklichung der Drohung in Aussicht gestellt werde und dem Arbeitgeber dadurch schwere wirtschaftliche Nachteile drohen, könne eine Kündigung gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sei, um die Schäden abzuwenden.
 
Unter Anwendung dieser Grundsätze lägen in dem zu entscheidenden Fall die Voraussetzungen einer „echten“ Druckkündigung nicht vor. Die Beklagte habe bereits nach ihrem eigenen Vorbringen nicht in ausreichender Weise versucht, den auf sie ausgeübten Druck anders als durch die streitgegenständliche Kündigung abzuwehren.
 
Denn diese sei daher durch die Drucksituation nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) „bedingt“ gewesen.
 

Drohung der Arbeitsniederlegung begründet keine Druckkündigung

 
Überdies habe sich die Beklagte nicht darauf berufen können, dass Arbeitnehmer mit einer Eigenkündigung oder Kunden mit Auftragskündigungen gedroht hätten. Die Drohung von großen Teilen ihrer Belegschaft habe vielmehr darin bestanden, bei einer Arbeitsaufnahme des Klägers (erneut) die Arbeit niederzulegen.
 
Auch eine solche Druckausübung könne zwar, wenn durch sie schwere wirtschaftliche Schäden drohen, grundsätzlich geeignet sein, eine „echte“ Druckkündigung zu rechtfertigen. Voraussetzung dafür sei aber auch in einer solchen Konstellation, dass der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare getan hat, um den Druck anderweitig als durch die Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers abzuwenden.
 
Dafür würden ihm bei einer Drohung mit Arbeitsniederlegungen andere Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen als bei einer Drohung mit Eigen- oder Auftragskündigungen.
 

Arbeitgeber hätte Abmahnungen aussprechen können

 
Arbeitnehmer, die die Arbeit verweigern, weil der Arbeitgeber einem - unberechtigten - Kündigungsverlangen nicht nachkomme, verletzten ihre arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten. Es sei dem Arbeitgeber stets zumutbar, sie darauf hinzuweisen, dass ihr Verhalten einen schwer wiegenden, nach Abmahnung gegebenenfalls zur Kündigung berechtigenden Vertragsbruch darstellt und dass ihnen für die ausfallende Arbeit kein Entgelt zusteht.
 
Ein solcher Hinweis sei zur Abwendung des Drucks geeignet. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass die Arbeitnehmer schon dadurch veranlasst würden, ihre Weigerungshaltung zu überdenken. Ohne eine entsprechende Klarstellung des Arbeitgebers könne nicht davon ausgegangen werden, die Mitarbeiter seien zu weiteren Arbeitsniederlegungen selbst um den Preis finanzieller Einbußen und rechtlicher Nachteile für den Bestand ihrer eigenen Arbeitsverhältnisse bereit.
 
Besondere Anforderungen an das dem Arbeitgeber zumutbare Verhalten bestehe zudem dann, wenn der Arbeitgeber bereits unwirksam gekündigt hat und der Arbeitnehmer nach erfolgreichem Kündigungsschutzprozess wieder beschäftigt werden soll.
 

Arbeitgeber hat  Eindruck entgegen zu wirken, ihm komme eine „Druckausübung“ gelegen

 
In einem solchen Fall sei der Arbeitgeber gehalten, dem aufgrund der vorausgegangenen Kündigung möglichen subjektiven Eindruck der weiter eine Entlassung fordernden Mitarbeiter entgegenzuwirken, eine Druckausübung komme ihm „gerade recht“, um doch noch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen.
 
Anderenfalls könnten sich die Mitarbeiter in ihrem Entlassungsverlangen und in ihrer Bereitschaft, diesem durch den Einsatz von Druck zum Erfolg zu verhelfen, noch bestärkt fühlen. Der Arbeitgeber müsse deshalb auch dem Kündigungsverlangen als solchem entgegengetreten. Er habe  deutlich zu machen, dass es für eine Entlassung keinen Grund gibt und dass aus seiner Sicht eine Entlassung ohne das Vorliegen objektiv geeigneter Kündigungsgründe ausgeschlossen sei.
 
Diese Obliegenheiten entfielen nach Auffassung des 2. Senats auch dann nicht, wenn Anlass für die Druckausübung eine als moralisch besonders verwerflich empfundene Straftat des Arbeitnehmers sei, die jedoch keinerlei Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit habe. Der Arbeitgeber sei auch in einem solchen Fall gehalten, dem möglichen Eindruck entgegen zu wirken, er habe für das Entlassungsverlangen Verständnis.
 
Nicht nur die Beklagte, sondern auch die betriebsangehörigen Arbeitnehmer hätten die gerichtlichen Entscheidungen zu respektieren, wonach eine arbeitsrechtliche Sanktion der vom Kläger begangenen Straftat ausgeschlossen sei. Ein darauf gestütztes Entlassungsverlangen sei daher weder „legitim“ noch gar „objektiv gerechtfertigt“.
 

Weigerung der Arbeitnehmer war rechtswidrig

 
Die Weigerung der Arbeitnehmer, die Arbeit aufzunehmen, solange der Kläger das Gelände des Containerterminals nicht verlassen habe, sei rechtswidrig gewesen. Nach dem Vortrag der Beklagten haben ihre Repräsentanten die Arbeitnehmer zwar wiederholt gebeten und aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie haben es jedoch unterlassen, sie auf die Rechtswidrigkeit der Arbeitsniederlegungen hinzuweisen und ihnen für weitere Zuwiderhandlungen arbeitsrechtliche Maßnahmen in Aussicht zu stellen.
 
Die Beklagte habe insbesondere nicht in der gebotenen Weise dem möglichen Eindruck entgegengewirkt, sie lasse es selbst Mitarbeitern mit Vorbildfunktion „durchgehen“, sich offen vertragsbrüchig zu verhalten.
 

Arbeitgeber hätte klar machen müssen, Arbeitsverweigerung nicht zu billigen

 
Gegenüber den die Arbeit ebenfalls verweigernden und ihr gegenüber zu besonderer Loyalität verpflichteten Führungskräften hätte sie eindeutig klarstellen müssen, dass sie gerade auch deren Verhalten nicht billige und sich vorbehalte, darauf zumindest mit einer Entgeltkürzung arbeitsrechtlich zu reagieren.
 
Die allein mit dem Hinweis auf die gerichtlichen Entscheidungen begründete Arbeitsaufforderung konnte sowohl die Führungskräfte als auch die übrige Belegschaft in ihrem Glauben bestätigen, es handele sich letztlich um eine „legitime“ Druckausübung, der die Beklagte nicht ernsthaft entgegentreten werde.
 
Die Beklagte hätte überdies klarstellen müssen, dass eine Kündigung mangels objektiv geeigneter Kündigungsgründe ausgeschlossen sei und sie nicht bereit sei, der rechtswidrigen Druckausübung der die Arbeit verweigernden Belegschaft nachzugeben. Alledem sei sie schon nach ihrem eigenen Vorbringen nicht nachgekommen.
 
Da die Beklagte sich nicht konkret darauf berufen habe, inwiefern ihr wirtschaftliche Schäden gerade auch infolge der Arbeitsniederlegung von Mitarbeitern anderer auf dem Gelände tätiger Firmen entstanden sind bzw. künftig zu erwarten gewesen seien, komme es nicht darauf an, welche anderen zumutbaren Reaktionsmöglichkeiten als eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers ihr diesbezüglich zur Verfügung gestanden hätten. In Betracht käme etwa, bei den für den Arbeitseinsatz verantwortlichen Repräsentanten der Drittfirmen eine Einwirkung auf ihre Arbeitnehmer anzumahnen.
 
Nachdem die Beklagte sich nicht schützend vor den Kläger stellte, wurde der Klage des Kläger, unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung stattgegeben.

Hier finden Sie das vollständige Urteil:

Das sagen wir dazu:

Für eine wirksam Druckkündigung stellt das BAG zurecht hohe Anforderungen. In dem hier zur Diskussion stehenden Fall zeigte das Verhalten der Arbeitnehmer*innen, die sich weigerten die Arbeit aufzunehmen solange der Kläger beschäftigt wird, deutliche Anzeichen von Selbstjustiz. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber mit den vom BAG in der Entscheidung vom 15.12.2016 deutlich gemachten Mitteln entgegen zu wirken.
 
Die Ausübung von Druck auf den Arbeitgeber, um bestimmte Ziele zu erreichen, sollte gut überlegt sein. Denn wer in rechtswidriger Weise Druck ausübt und deshalb abgemahnt wird, muss, bei Nichtbeachtung dieser Warnfunktion, nach der Rechtsprechung mit nicht unerheblichen arbeitsrechtlichen Nachteilen rechnen.

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

§ 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Auszug aus § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Sozial ungerechtfertigte Kündigungen
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn