Wer bei einer Schlägerei die größeren Verletzungen erleidet, kann durchaus der Angreifer sein. © Adobe Stock: koldunova
Wer bei einer Schlägerei die größeren Verletzungen erleidet, kann durchaus der Angreifer sein. © Adobe Stock: koldunova

Der Kläger, den Klaus Baier vom DGB Rechtsschutzbüro Heilbronn vor dem Arbeitsgericht Heilbronn im Kündigungsschutzprozess vertrat, hatte sich einiges gefallen lassen müssen. Eines war klar: er war an einem tätlichen Angriff während der Arbeitszeit im Unternehmen beteiligt. Bekannt war auch, dass sein Mandant mit wenigstens einer 600 g schweren und 40 cm langen Eisenstange auf den Kopf des Arbeitskollegen, der sich selbst als Opfer bezeichnete, eingeschlagen hatte. An verschiedenen Stellen des Kopfes - vorne, hinten und seitlich - mussten drei Wunden genäht werden. Der Kläger selbst erlitt eine Verletzung an der Lippe.

 

Dem ging eine Beschwerde des Klägers gegenüber seinem Vorgesetzten voraus, wonach sein Arbeitskollege einen Transportwagen so abgestellt haben sollte, dass ihn das in seiner Arbeit behinderte. Der Vorgesetzte forderte den Kollegen auf, den Wagen zu beseitigen, was schließlich auch geschah.

 

Viele blieb offen

 

Nicht einigen konnte man sich auf den weiteren Tathergang. Das vermeintliche Opfer behauptete, der Kläger sei auf ihn zugekommen, habe ihn mit drei Eisenstangen in der Hand angegriffen und damit auf seinen Kopf eingeschlagen.

 

Dem hielt der Kläger entgegen, schon in der Vergangenheit sei es zwischen ihm und dem anderen Mitarbeiter zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen. Außerbetrieblich habe ihm der Kollege vor ca. sechs Jahren schon einmal mit der Faust mit voller Wucht ins Gesicht und auf die Zähne geschlagen, sodass er längere Zeit erkrankt gewesen sei und darüber hinaus aufgrund der gelockerten Zähne mehrere Jahre lang eine Gebissschiene habe tragen müssen. Nun habe der Mann ihn wieder angegriffen.

 

Der Kläger erhielt eine fristlose Kündigung

 

Die fristlose Kündigung sprach der Arbeitgeber jedoch gegenüber dem Kläger aus. Er nahm dem Arbeitskollegen ab, Opfer des tätlichen Angriffs des Klägers gewesen zu sein. Schließlich zeigte der ja die größeren Wunden und musste sogar genäht werden.

 

Das Arbeitsgericht musste nun entscheiden, ob diese Kündigung rechtswirksam war. Im Zivilprozess gelten rechtlich festgelegte Beweisregeln. Die Aussagen des Klägers, des Arbeitgebers und auch der im Verfahren gehörten Zeugen waren danach zu beurteilen.

 

Der Kläger selbst hatte im Prozess den Unfallhergang in der Weise geschildert, dass der Kollege auf ihn zugekommen sei. Während der ihm noch zugerufen habe, dass dies dafür sei, dass er zunächst zum Vorgesetzten gegangen sei, habe der Kläger dessen Faust schon im Gesicht verspürt. Er habe das Gleichgewicht verloren und sei in die Knie gegangen. Der Angreifer habe ihn sodann in der knienden Position von hinten mit den Armen gewürgt und gleichzeitig massiv mit den Händen am linken Oberarm und rechten Unterarm festgehalten. Deutlich sichtbare Hämatomen seien dadurch aufgetreten. Er, der Kläger habe in dieser Position Todesangst verspürt. Die einzige ihm verbliebene Möglichkeit, sei ein Schlag über seine Schulter nach hinten mit dem Flacheisen gewesen, welches er ohnehin gerade in der Hand gehabt habe.

 

Erst nach mehreren Schlägen habe der Arbeitskollege den Griff gelockert, sodass der Kläger den Raum verlassen und sich in Sicherheit bringen konnte.

 

All das bestritt der am Kopf verletzte Kollege im Prozess. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Kläger eine hinter ihm stehende Person mit dem Flacheisen auf den Hinterkopf geschlagen haben sollte. Beide seien ungefähr gleich groß. Die kniende Verteidigungshandlung, die der Kläger behauptet habe, erscheine wenig glaubhaft. Schließlich sei er es, der die Wunden am Hinterkopf erlitten habe und damit das Opfer.

 

Trotz hoher Emotionen bei den Beteiligten musste das Gericht sachlich prüfen

 

Zwar berechtige eine schuldhaft begangene Körperverletzung im Betrieb grundsätzlich zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung, so das Arbeitsgericht. Weil jedoch der Zweck der Kündigung nicht die Sanktion einer begangenen Vertragspflichtverletzung sei, sondern dadurch weitere erhebliche Pflichtverletzungen vermieden werden sollten, müsse eine Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in ergeben, dass die begangene Pflichtverletzung das Arbeitsverhältnis auch in der Zukunft belaste.

 

Der Arbeitgeber müsse also annehmen, der*die Arbeitnehmer*in werde auch in Zukunft seinen Arbeitsvertrag in ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setze eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Die habe es hier nicht gegeben.

 

Tätlichkeiten im Betrieb müsse der Arbeitgeber nicht hinnehmen. Im Fall einer Schlägerei liege jedoch nicht in jeder auch nur unfreiwilligen Verwicklung eines*einer Arbeitnehmer*in eine Pflichtverletzung. Wegen des beträchtlichen Gefährdungspotenzials könne jedoch die erhebliche, aktive Beteiligung an der tätlichen Auseinandersetzung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen. Nicht entscheidend sei, wer die Schlägerei angezettelt habe. Es sei unerheblich, wer den ersten Schlag ausführe und welche Handlung gegebenenfalls zu einer Körperverletzung führe.

 

 

Die Beteiligung an einer Schlägerei reicht für die Kündigung nicht aus

 

Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten zur Verschärfung eines verbalen Konfliktes beigetragen habe, der in Tätlichkeiten münde, rechtfertige eine fristlose Kündigung noch nicht. Hinzu kommen müsse eine erhebliche Pflichtverletzung. Arbeitnehmer*innen hätten die Pflicht, sich im Interesse des Arbeitgebers am Arbeitsplatz Auseinandersetzungen mit Arbeitskollegen so weit wie möglich zu enthalten.

 

Soweit die Theorie.

 

Für die Entscheidung komme es auf die Darlegungs- und Beweislast im Prozess an, so das Arbeitsgericht. Lägen gewichtige, objektive Anhaltspunkte für eine erhebliche aktive Beteiligung eines Arbeitnehmers an einer tätlichen Auseinandersetzung vor, dürfe sich der Arbeitgeber, der keine eigene Kenntnis vom Sachverhalt habe, zunächst hierauf stützen.

 

Dem Betroffenen sei es zumutbar, sich dazu im Kündigungsrechtstreit so weit wie möglich zu erklären. Das betreffe den Anlass und den Verlauf der Handlungen. Dabei müsse er seine Behauptung, er sei lediglich das Opfer der Auseinandersetzung geworden bzw. habe sich in Notwehr verteidigt, genauer erklären.

 

Die Beweislast bleibt primär beim Arbeitgeber

 

An diese Erklärungspflicht dürften jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dienten lediglich dazu, es dem Arbeitgeber, der primär zum Beweis verpflichtet sei, zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und seinerseits eingehend zum Kündigungsgrund im Prozess vorzutragen bzw. Beweis anzutreten. Der Arbeitgeber könne hierfür Zeugen benennen.

 

Bestünden am Ende noch Zweifel, ob ein kündigungsrechtlich erhebliches Fehlverhalten vorliege, müsse es schlussendlich dabei bleiben, dass eine mangelnde Aufklärbarkeit eines Sachverhaltes zu Lasten des primär Darlegungspflichtigen gehe. Das ist im Kündigungsschutzprozess der Arbeitgeber.

 

Das Gerichte wertete die Beweislage aus

 

Das Gericht war hier nicht davon überzeugt, dass der Klägerin in vorwerfbar Art und Weise in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen sei bzw. diese gar initiiert und aktiv gefördert habe.

 

Zwar habe der Arbeitgeber einen Sachverhalt geschildert, bei welchem eine aktive Rolle des Klägers nahe liege. Der Arbeitskollege habe blutende Verletzungen am Kopf gehabt und auch das Eisen, welches der Kläger in den Händen gehalten habe, sei blutverschmiert gewesen.

 

Der Kläger habe sich auch ausweislich seiner eigenen Aussagen erheblich an der Auseinandersetzung beteiligt. Der Arbeitgeber bliebe jedoch beweispflichtig dafür, dass der Kläger eine aktive Rolle innegehabt habe, die über eine Verteidigungshandlung hinausgegangen sei.

 

Dazu habe der Arbeitgeber als Zeugen den verletzten Arbeitskollegen benannt. Das Arbeitsgericht würdigte diese Zeugenaussage hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit und Richtigkeit. Daran hatte es erhebliche Zweifel.

 

Die Zeugenaussage blieb zweifelhaft

 

Der Zeuge habe seine Aussage auch völlig emotionslos gemacht. Das passe nicht zu den unstreitigen Tatsachen. Der Kläger sei ebenfalls verletzt worden. Dafür habe die Schilderung des Zeugen keinen Raum gelassen. Der Zeuge wolle den Kläger weder geschlagen noch sonst wie berührt haben.

 

Das vermeintliche Opfer habe drei Verletzungen an verschiedenen Stellen vorne, hinten und seitlich vom Kopf gehabt und behauptet, der Kläger habe drei Flacheisen mit einem Gewicht von jeweils 600 g und einer Länge von 40 cm gleichzeitig in der Hand gehalten und damit auf seinen Kopf geschlagen. Das hielt das Arbeitsgericht für kaum möglich

 

Dass ein Schlag von vorne, wie es der Geschädigte in seiner Aussage behautet hatte, Verletzungen an derart voneinander abweichenden Stellen des Kopfes hervorrufen kann, ließ sich für das Gericht ebenfalls nicht erklären.

 

Der Zeuge habe außerdem behauptet, dass er den Schlag mit den Händen abwehren wollte. Verletzungen an Armen oder Händen habe er jedoch nicht gehabt.

 

Der Zeuge hatte ein Eigeninteresse

 

Die Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage sah das Gericht darin gestützt, dass es auch für den Zeugen darum ging, seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Er habe deshalb ein erhebliches Eigeninteresse mit seiner Aussage gehabt, nicht selbst eine Kündigung zu erhalten. An seiner Objektivität bestünden deshalb erhebliche Zweifel.

 

Das Gericht glaubte ihm nicht. Der Kläger habe im Prozess zwar keineswegs durchweg gleiche Angaben gemacht, in seinen Schilderungen sei der wesentliche Handlungsablauf jedoch gleich geblieben. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme hielt das Gericht es aufgrund daher für möglich, dass der Kläger sich nur verteidigt habe.

 

Der Arbeitgeber sei seiner Beweispflicht im Prozess nicht ausreichend nachgekommen. Er habe eine aktive Beteiligung des Klägers an einer tätlichen Auseinandersetzung, die eine Kündigung rechtfertige, nicht nachweisen können. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liege deshalb nicht vor.

 

Die Kündigung war rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber muss den Kläger nun weiter beschäftigen.

 

Hier geht's zum Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn im Volltext