Arbeitnehmer*innen müssen für gezielte Würfe eines Vorgesetzten nicht herhalten. © Adobe Stock: Ralf Geithe
Arbeitnehmer*innen müssen für gezielte Würfe eines Vorgesetzten nicht herhalten. © Adobe Stock: Ralf Geithe

Ganz unbeteiligt an seiner Kündigung war die Führungskraft eines Unternehmens der chemischen Industrie nicht. Mehrere Beschäftigte hatten sich im Vorfeld über sein Führungsverhalten beschwert.

 

Es mag sich wie ein Scherz anhören, war es aber nicht. Der Kläger soll etwa zwei Jahre vor Ausspruch der Kündigung einen Mitarbeiter, der in ein Gespräch mit einem Kollegen vertieft war, gerufen haben. Der Mann habe nicht gehört, deshalb zielte der Kläger mit einem Textmarker auf den Kopf des Mitarbeiters, um diesen damit zu treffen. Den Kopf selbst soll er dabei nur knapp verfehlt haben, gefolgt von lautstarken Beschwerden.

 

Etwa ein Jahr später erfuhr der Arbeitgeber von einer Meinungsverschiedenheit des Klägers mit einem weiteren Mitarbeiter. Diesem gegenüber soll der Kläger die Stimme erhoben und gesagt haben, er solle mal zum Arzt gehen und sein Gehirn prüfen lassen - ganz sicher keine passende Äußerungsweise einer Führungsperson.

 

Auf das Verhalten folgte die Kündigung

 

Der Chef hielt deshalb die Kündigung für unumgänglich. Eine solche Äußerung sei ehrverletzend und stelle eine Beleidigung des dem Kläger untergebenen Mitarbeiters dar. Der Kläger bringe damit nichts anderes zum Ausdruck, als dass sein Mitarbeiter dumm und nicht ganz richtig im Kopf sei. Eine solche ehrverletzende Äußerung gegenüber Arbeitskolleg*innen oder untergebenen Mitarbeiter*innen stelle eine Verletzung der nebenvertraglichen Rücksichtnahmepflichten im Arbeitsverhältnis dar, so der Arbeitgeber.

 

Dennoch ließ das Arbeitsgericht Wesel die Kündigung nicht gelten.

 

Der Wurf mit dem Textmarker sei erfolgt, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ein derartiges Verhalten stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Diese liege allerdings schon zwei Jahre zurück. Inzwischen habe deshalb ein Personalgespräch mit dem Vorgesetzten des Klägers stattgefunden. Dort habe der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, sein Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern grundlegend zu ändern.

 

Die Beklagte habe sich damals nicht veranlasst gesehen, dem Kläger zu kündigen, ihn abzumahnen oder auch nur zu ermahnen. Ihm sei lediglich eindringlich aufgezeigt worden, dass er sein Verhalten grundlegend ändern müsse. Aus Sicht des Vorgesetzten sei die Sache damit geklärt gewesen. Infolgedessen habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass es deshalb keine weiteren arbeitsrechtlichen Sanktionen mehr geben würde. Als Kündigungsgrund sei dieser Sachverhalt verbraucht.

 

Beleidigungen eines Vorgesetzten sind nicht hinnehmbar

 

Auch die ehrverletzenden Äußerungen gegenüber einem weiteren Arbeitskollegen ein Jahr später mit den Worten, dieser soll mal zum Arzt gehen und sein Gehirn prüfen lassen, Stelle als Beleidigung eine grobe Pflichtverletzung dar. Sie sei unangemessen und auch nicht hinnehmbar. Dieses Verhalten berechtige nach vorheriger Abmahnung auch zu einer verhaltensbedingten Kündigung.

 

Eine Abmahnung habe der Chef vor der Kündigung jedoch nicht ausgesprochen. Im Fall des Klägers sei nicht davon auszugehen, dass dieser nach einer vorherigen Abmahnung nicht zu einer Verhaltensänderung bereit gewesen wäre und weiterhin ihm unterstellte Mitarbeiter herabwürdige bzw. bloßstelle.

 

Das Arbeitsgericht hielt die Kündigung deshalb für unverhältnismäßig und unwirksam. Dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers gab es statt.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Wesel im Volltext

Das sagen wir dazu:

Das Verfahren führte Petra Tekath vom DGB Rechtsschutzbüro Wesel. Sie hat allen Grund zur Freude und meint, das Gute an dem Verfahren sei nicht nur das positive Gerichtsurteil gewesen.

 

Nach dem Urteil, das den Arbeitgeber schier erstaunte, habe dieser sich mit dem Kläger zu einem Gespräch zusammen gesetzt. Im Anschluss daran hätten sich beide geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis fortgesetzt und keine Berufung eingelegt werden sollte. Es sei wichtig, respektvoll miteinander umzugehen. Beide wollten nun daran arbeiten, dass ein respektvoller Umgang im Unternehmen auch künftig eingehalten werde.

 

Ohne ein Berufungsverfahren durchlaufen zu müssen, kann der Mann wieder an seinen alten Arbeitspatz zurück. Seine Lektion sollte er verstanden haben.

 

Der gewerkschaftliche Rechtsschutz hat auch die Befriedung der Situation zum Ziel

 

Die Besonderheit des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes besteht unter anderem darin, dass die DGB Rechtsschutz GmbH nicht um Gebühren streiten muss und daher nicht von immer weiter eskalierenden Verfahren abhängig ist. Unsere Prozessbevollmächtigten haben ein Interesse daran, auch schwierige Situationen zu befrieden, was manchmal bedeuten kann, dem*der eigenen Mandant*in ein Fehlverhalten klar zu erläutern und dadurch mögliche Verhaltensänderungen zu erwirken.

 

Schön, wenn das wie in dem Fall von Petra Tekath einvernehmlich klappt und ein über Jahre hinweg gestörtes Arbeitsverhältnis belastungsfrei sowie dauerhaft fortgesetzt werden kann.