Elternzeit heißt, das Kind im gemeinsamen Haushalt aktiv zu betreuen Copyright: @Adobe Stock - Vitalinka
Elternzeit heißt, das Kind im gemeinsamen Haushalt aktiv zu betreuen Copyright: @Adobe Stock - Vitalinka

Arbeitnehmer*innen haben in Deutschland nach der Geburt ihres Kindes Anspruch auf Elternzeit. Das regelt in Deutschland das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Beide Elternteile können nacheinander oder auch gemeinsam anteilig Elternzeit nehmen. Das geht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes.

 

Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, und während der Elternzeit nicht kündigen. Das gilt entsprechend auch für Arbeitnehmer*innen, die zum Zeitpunkt der Kündigung während der Elternzeit bei demselben Arbeitgeber Teilzeitarbeit leisten.

In besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden. Das erfolgt durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle. Geregelt ist das in § 18 BEEG.

 

Tanja Müller verlangte von ihrer Arbeitgeberin, ihr bis zum vollendeten dritten Lebensjahr der Zwillinge Elternzeit zu gewähren

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) hatte kürzlich einen Fall entschieden, in dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis einer Beschäftigten in Elternzeit gekündigt hat, ohne zuvor die Zustimmung der Behörde einzuholen.

 

Tanja Müller (Name von der Redaktion geändert) hat zusammen mit ihrem Ehemann drei Kinder. Für sie ist eine Betreuung in Angelegenheiten der Vermögenssorge, der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung angeordnet. Sie bedarf zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis der Vermögenssorge betreffen, der Einwilligung des Betreuers.

Am 30. April 2019 gebar Frau Müller Zwillinge. Sie verlangte form- und fristgerecht von ihrer Arbeitgeberin, ihr bis zum vollendeten dritten Lebensjahr der Zwillinge Elternzeit zu gewähren. Sie befand sich nach Ablauf der Mutterschutzfrist in Elternzeit, die bis zum 29. April 2022 vorgesehen war. 

 

Die Arbeitgeberin hatte Zweifel an der vollständigen Arbeitsfähigkeit

Am 04. November 2019 vereinbarten die Parteien eine Teilzeittätigkeit während der Elternzeit für den Zeitraum 30. April 2020 bis 29. April 2021. Tanja Müller sollte mit einem Zeitanteil von 60 Prozent einer vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterin arbeiten, wobei sie vom 30. April 2020 bis 04. Juni 2020 ihren Jahresurlaub in Anspruch nehmen sollte.

Im April 2020 teilte das Amtsgericht der Arbeitgeberin mit, dass für Frau Müller eine Betreuung angeordnet war. Daraufhin lehnte die Arbeitgeberin es ab, Tanja Müller zu beschäftigen. Sie sollte zunächst ein ärztliches Attest einreichen, welches ihre vollständige Arbeitsfähigkeit bestätigt.

 

In der ersten Jahreshälfte 2020 verließ der Ehemann der Frau Müller mit den drei Kindern auf Anweisung des Jugendamts das Haus der Familie. Sie kamen bei Freunden unter. Zumindest in den Monaten Januar, März und Mai lebten die Kinder nicht bei Frau Müller. Sie war aber durchgehend für ihre Kinder sorgeberechtigt und hatte auch regelmäßig Kontakt zu ihnen. Am 24. Juli hat dann Tanja Müller die gemeinsame Wohnung verlassen und eine eigene Wohnung bezogen.

 

Frau Müller veröffentlichte auf Facebook herablassende Posts gegen ihre Arbeitgeberin

Im Juli 2020 erschienen auf dem Facebook-Account der Frau Müller zahlreiche Posts zu Beschäftigten ihrer Arbeitgeberin, einem Vorstandsmitglied, der Personalleiterin und einem Partner der Arbeitgeberin. Die Posts enthielten die Namen und Fotografien der betroffenen Personen. Jeder Facebook-Nutzer konnte die Posts einsehen. Mit den Posts äußerte sich Frau Müller zum Teil abfällig über Kolleg*innen und Vorgesetzte. Sie bezeichnete sie etwa als „Loser“ oder „Versager“ oder sie behauptete, ein Abteilungsleiter habe seine Abteilung herabgewirtschaftet.

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Juli 2020 außerordentlich und vorsorglich ordentlich zum 31. Dezember 2020. Das Kündigungsschreiben ging dem Betreuer am 25. Juli 2020 zu.

 

Angesichts der öffentlichen zum Teil herabwürdigenden Äußerungen ist kaum daran zu zweifeln, dass Frau Müller hier die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten hatte und ein Kündigungsgrund an sich vorlag. Auch die Interessensabwägung würde zugunsten der Arbeitgeberin ausfallen. Die Arbeitgeberin wäre also durchaus zur außerordentlichen Kündigung berechtigt gewesen.

 

Zur Vertiefung der Problematik empfehlen wir diese Artikel:

Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis 

Die Würde des Menschen ist unantastbar 

Die Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis 

 

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis ohne Zustimmung der Behörde

Im vorliegenden Fall kam es aber zunächst darauf an, ob die Kündigung nicht bereits deshalb unwirksam war, weil sie während der Elternzeit erfolgte und die zuständige Behörde nicht zugestimmt hatte.

Das Arbeitsgericht hat deshalb der von Frau Müller erhobenen Kündigungsschutzklage auch stattgegeben. Dieses Urteil hob das LAG auf die Berufung der Arbeitgeberin indessen auf. Die Kündigung ist nach Auffassung des Gerichts nämlich wirksam, wie Frau Müller sich faktisch nicht mehr in Elternzeit befand. Frau Müller habe sich bei Zugang der außerordentlichen Kündigung am 25. Juli 2020 nicht mehr in der Elternzeit befunden. Sie sei am Vortag aus dem Haus der Familie ausgezogen und betreue ihre Kinder nicht mehr. Damit wären die Voraussetzungen des Anspruchs auf Elternzeit entfallen.

 

Der Zweck der Elternzeit besteht darin, dass sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes widmen kann

Die/der Beschäftigte habe ein alleiniges Gestaltungsrecht hinsichtlich der Elternzeit. Sie/er müsse lediglich die entsprechenden Form- und Fristvorschriften einhalten. Dann werde sie/er entsprechend von der Arbeit freigestellt, ohne dass es einer Erklärung des Arbeitgebers bedürfe. Die Rechtswirkungen der Erklärung der/des Beschäftigten könnten aber grundsätzlich nur so lange fortdauern wie seine Voraussetzungen bestünden. Der Zweck der Elternzeit bestehe darin, dass sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes widmen kann. Das habe faktisch keine Grundlage mehr, wenn die Betreuung des Kindes auf eine andere Person übergehe.

Das Ende der Elternzeit hänge auch dann nicht von der Zustimmung der Arbeitgeberin ab, wenn eine der Anspruchsvoraussetzungen nachträglich entfiele. Die Elternzeit ende somit auch ohne Zustimmung der Arbeitgeberin vorzeitig, wenn die Voraussetzungen der Elternzeit nach § 15 Abs. 1 BEEG, das Zusammenleben mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt und die Betreuung des Kindes, nachträglich entfielen.

Da die materiellen Voraussetzungen der Elternzeit nach § 15 Abs. 1 BEEG weggefallen wären, gelte das Kündigungsverbot des § 18 BEEG für sie nicht mehr.

 

Hier geht es zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. 

Rechtliche Grundlagen

§§ 15, 18 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG)

§ 15 BEEG Anspruch auf Elternzeit
(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Elternzeit, wenn sie
1.
a)
mit ihrem Kind,
b)
mit einem Kind, für das sie die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Absatz 3 oder 4 erfüllen, oder
c)
mit einem Kind, das sie in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch aufgenommen haben,
in einem Haushalt leben und
2.
dieses Kind selbst betreuen und erziehen.
(2)-(6)...

§ 18 BEEG Kündigungsschutz
(1) Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, nicht kündigen. Der Kündigungsschutz nach Satz 1 beginnt
1. frühestens acht Wochen vor Beginn einer Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes und
2. frühestens 14 Wochen vor Beginn einer Elternzeit zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes.
Während der Elternzeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen. In besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung für zulässig erklärt werden. Die Zulässigkeitserklärung erfolgt durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle. Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Satzes 4 erlassen.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen
1. während der Elternzeit bei demselben Arbeitgeber Teilzeitarbeit leisten oder
2. ohne Elternzeit in Anspruch zu nehmen, Teilzeitarbeit leisten und Anspruch auf Elterngeld nach § 1 während des Zeitraums nach § 4 Abs. 1