Formfehler bei Massenentlassungsanzeige = Nichtigkeit der Kündigung
Formfehler bei Massenentlassungsanzeige = Nichtigkeit der Kündigung

Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem dem Kläger mit Schreiben vom 21.05.2012 eine betriebsbedingte Kündigung zum 31.12.2012 ausgesprochen worden war. Neben dem Kläger war eine Reihe anderer Mitarbeiter*innen gekündigt worden. Der Kläger rügte in der von ihm erhobenen Kündigungsschutzklage insbesondere die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates.

Massenentlassungsanzeige nach Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht fehlerfrei


Die Frage der ordnungsgemäßen Durchführung eines Konsultationsverfahrens nach § 17 II Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und der ordnungsgemäßen Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 III KSchG wurde von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz jedoch bejahend beantwortet.

Denn Fehler, so das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, im Hinblick auf das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG die Massenentlassungsanzeige im Sinne von § 17 Abs. 3 KSchG, wie vom Kläger gerügt, konnten durch die Richter der beiden Tatsacheninstanzen nicht festgestellt werden.

Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf vom 18.09.013 Az.: 4 Sa 495/13 legte der Kläger Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.

BAG erklärt Kündigung für unwirksam


Mit Urteil vom 26.02.2015 kam der II. Senat des BAG zu dem Ergebnis, dass auf die Revision des Klägers das Urteil des LAG Düsseldorf vom 18.09.2013 aufgehoben wird und dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten durch die Kündigung vom 21. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.
In seiner Entscheidung führt der II. Senat aus, dass es dahinstehen könne, ob die Beklagte das gemäß § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchgeführt hat. Denn, so das BAG, die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich schon daraus, dass ein Verstoß gegen § 17 Abs.3 KSchG vorliegt Die Beklagte habe keine den Anforderungen dieser Bestimmung notwendige Massenentlassungsanzeige erstattet, was zur Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB führe.

Massenentlassungsanzeige genügte den Anforderungen nicht


Die von der Beklagten beabsichtigten Entlassungen waren nach Überzeugung der Richter*innen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtig. Denn die Beklagte hatte beabsichtigt, die Arbeitsverhältnisse aller 155 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen betriebsbedingt zu kündigen.

Nach § 17 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber, der anzeigepflichtige Entlassungen beabsichtigt, den Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG, über den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgesehen sind, schriftlich zu unterrichten.

Unter "Entlassung" im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses  zu verstehen. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH, besteht auch bei Betriebsstilllegungen die Pflicht zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige und zur Durchführung des Konsultationsverfahrens.

Betriebsrat muss umfassend informiert werden


Dem Betriebsrat sind zudem die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel Beschäftigten mitzuteilen. Eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Betriebsrat besteht auch im Hinblick auf die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer und für die Berechnung etwaiger Abfindungen.

Des Weiteren hat der Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen abzumildern.

Die Pflicht zur Beratung im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG, so der II. Senat, geht dabei über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung ernstlich zu verhandeln, ihm dies zumindest anzubieten.

Interessenausgleich ersetzt Konsultationsverfahren nicht


Aus dem Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans ergibt sich nicht, dass Verhandlungen mit dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG stattgefunden haben.

Die Konsultationspflicht ist regelmäßig erst dann als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG, soweit damit  ein anzeigepflichtiger Personalabbau verbunden ist oder allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich abschließt und dann erst kündigt.

Soweit die dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen auch der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen.

Hiervon konnte in dem vom II. Senat entschiedenen Fall jedoch nicht ausgegangen werden, denn bei Abschluss des Interessenausgleichs war die Zahl der zu kündigenden Arbeitsverhältnisse noch vollkommen ungewiss. Es stand nicht einmal fest, ob es überhaupt zu Kündigungen, oder gar zu einer Massenentlassung im Sinne von § 17 Abs. 1 KSchG kommen würde.

Bei Abschluss des Interessenausgleichs noch keine Kündigungen geplant


Nach der übereinstimmenden Vorstellung der Betriebsparteien sollten die Arbeitnehmer*innen aufgrund der dem Interessenausgleich und dem Sozialplan als Anlagen beigefügten Beschäftigungszusagen vor der geplanten Stilllegung andernorts "unterkommen" bzw. einen Altersteilzeitvertrag oder einen Vertrag für das Ausscheiden rentennaher Beschäftigter abschließen.

Grundlegende Voraussetzung für die Einleitung eines Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG sei indes die erkennbare Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse in einem anzeigepflichtigen Ausmaß zu beenden. Ohne Kenntnis von einer solchen Absicht des Arbeitgebers habe der Betriebsrat keine Veranlassung gehabt, von einer Initiative zur Beratung im Sinne der Vorschrift auszugehen.

Am 19. März 2012 habe die Beklagte den Betriebsrat vollständig im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet. An diesem Tag ging ihm das Unterrichtungsschreiben vom 16. März 2012 zu. Darin habe sie ihm keine weiteren Beratungen gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG angeboten. Der Senat ging  davon aus, dass in der Zeit danach und vor der Einreichung der Massenentlassungsanzeige am 22. März 2012 keine Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien mehr geführt wurden.

Keine Umgehung der Konsultation durch andere Gespräche


Bei den von der Beklagten ins Feld geführten Gesprächen mit dem Wirtschaftsausschuss, konnte es sich nach Einschätzung des Gerichts schon deshalb nicht um Beratungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG handeln, da diese mit dem Betriebsrat zu erfolgen haben.

Auch die Berufung der Beklagten darauf, dass sie auf der Basis von "bei Gelegenheit" erteilten Informationen „Gespräche" unmittelbar mit dem Betriebsratsvorsitzenden geführt haben will, könne nicht die notwendigen Verhandlungen mit dem Betriebsrat ersetzen. Der Betriebsrat habe seinem Vorsitzenden keine „Blankovollmacht“ für die Führung der gesamten Beratungen erteilt. Deren Wirksamkeit wäre im Übrigen mehr als fraglich.

Auch soweit es andere „Gespräche“ mit dem Betriebsratsgremium gegeben habe, könne es sich hierbei im Beratungen i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG gehandelt haben kann. Dies sei aber unerheblich ,da die Beklagte meinte, die nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG notwendigen Beratungen mit dem Betriebsrat als Gremium durch „Gespräche“ mit Mitgliedern des unzuständigen Wirtschaftsausschusses, sonstiger nicht näher beschriebener „Gesprächsrunden“ und dem Betriebsratsvorsitzenden umgehen zu können.


Keine Heilung durch Bescheid der Agentur für Arbeit


Da die Beklagte keine den Anforderungen des § 17 Abs. 3 KSchG genügende Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit gestellt habe, führt dies zur Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB.

Die Beklagte habe den „Stand der Beratungen“ nicht dargelegt. Ein von der Beklagten der Agentur für Arbeit vorgelegtes „Widerspruchsschreiben des Betriebsrats“ vom 03. April 2012 enthalte keine Ausführungen zu bereits erfolgten Beratungen und Ergebnissen. Im Übrigen können die Ausführungen des Betriebsrats schlechthin auch nicht als Darlegung der Beklagten angesehen werden.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG stellt der II. Senat zu guter Letzt fest, dass der Mangel der Massenentlassungsanzeige durch den Bescheid der Agentur für Arbeit gemäß § 20 KSchG nicht geheilt worden ist.

Auch in einer  Parallelsache vom 26.02.2015, 2 AZR 371/14, wurde die dem Kläger ausgesprochene Kündigung, aufgrund einer nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden, aber von der Agentur für Arbeit „abgesegneten“, Massenentlassungsanzeige für nichtig erklärt.



Anmerkung:

Begeht der Arbeitgeber bei der Erstattung einer nach § 17 KSchG erforderlichen Massenentlassungsanzeige Fehler, so können diese nicht durch einen bestandskräftigen Bescheid der Agentur für Arbeit geheilt werden. Die Arbeitsgerichte sind in einem solchen Fall nicht gehindert, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen. Damit hat der Verstoß gegen die Mussvorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 2, 3 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Unerheblich ist dabei, dass die Agentur für Arbeit die ihr nicht ordnungsgemäß angezeigte Massenentlassung nicht beanstandet hat.

Da die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht an die Entscheidung der Agentur für Arbeit gebunden ist, empfiehlt der Autor aufgrund langjähriger Erfahrungen im Rahmen von Massenentlassungen und den hiermit verbundenen Bescheiden der Agentur für Arbeit, bei Kündigungsschutzverfahren, die ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige dann zu bestreiten, wenn es für die Fehlerhaftigkeit der Anzeige Anzeichen gibt.

Hier das vollständige Urteil des LAG Düsseldorf  vom 18.09.2013, Az.: 4 Sa 495/13

Hier geht’s zu § 17 KSchG: