Handgreiflichkeiten am Arbeitsplatz können zur fristlosen Kündigung führen.
Handgreiflichkeiten am Arbeitsplatz können zur fristlosen Kündigung führen.

Eskalierende Auseinandersetzungen unter Kollegen rechtfertigen grundsätzlich eine fristlose Kündigung. Dabei ist es gleich, ob »die Fäuste fliegen« und/oder verbale Kraftausdrücke verwendet werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen klar herausgestellt.

Tätlichkeiten unter Kollegen sind inakzeptabel

Dies ist auch richtig so. Auch während der beruflichen Tätigkeit kann ein gewisses Mindestmaß an Umgangsformen verlangt werden. Aber der Übergriff muss auch eine gewisse Erheblichkeit aufweisen; das Arbeitsleben findet nicht »im Mädchenpensionat« statt. Nicht jede kleine Attacke rechtfertigt bereits eine Kündigung. Es muss im Einzelfall auf die Schwere des Pflichtverstoßes also die Intensität und die Folgen des tätlichen Angriffs abgestellt werden.

Im Betrieb bestand die Anweisung, ab 22:00 Uhr das Rolltor zu verschließen. Ein Mitarbeiter stellte fest, dass diese Anweisung nicht beachtet wurde und stellte daher den verantwortlichen Kollegen zur Rede. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in welcher der eine Beteiligte seinen Kollegen am Kragen fasste. Auf entsprechende Aufforderung ließ dieser aber sofort wieder von ihm ab. 

Beide gingen dann auseinander. Erst eine Woche später hat der angegriffene Arbeitnehmer den Vorfall dem Arbeitgeber gemeldet. Der Angreifer hatte zuvor mehrere Abmahnungen erhalten, darunter auch eine Abmahnung wegen eines ähnlichen Vorfalles. Der Arbeitgeber sprach eine außerordentliche Kündigung aus.

Mitarbeiter war zudem Ersatzmitglied im Betriebsrat

Eine Besonderheit des Falls bestand darin, dass der beschuldigte Mitarbeiter Ersatzmitglied des im Betrieb bestehenden Betriebsrats war. In dieser Eigenschaft hatte er am Vortag der Auseinandersetzung an einer Betriebsratssitzung teilgenommen.

Das LAG Hamm sah die außerordentliche Kündigung als nicht gerechtfertigt an. Der Angriff war nach seinen Erkenntnissen wenig intensiv. Die Tätlichkeit wurde sofort nach Aufforderung eingestellt. Der Angriff hatte für den Arbeitnehmer keine ersichtlichen Folgen. Zudem ließ er eine Woche verstreichen, bis er sich veranlasst sah, den Vorfall zu melden, wie das Gericht betont. Auch wurde zugunsten des Arbeitnehmers die 3,5 jährige Betriebszugehörigkeit, sowie die Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau und zwei Kindern berücksichtigt.

Auch die Mitgliedschaft im Betriebsrat ändert an dem Ergebnis nichts. Selbst wenn eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre, ist diese wegen der fehlenden Möglichkeit, einem Betriebsratsmitglied ordentlich zu kündigen, rechtlich nicht möglich. Das Mandat darf einem Betriebsratsmitglied und damit auch dem Ersatzmitglied nicht zum Nachteil gereichen.

Anmerkung: Kündigungsschutz des Ersatzmitglieds

Das Betriebsratsmandat ist kein Freifahrtschein. Auch ein Betriebsratsmitglied kann nicht schalten und walten wie es will, nach dem Motto »Mir kann nichts passieren«. Aber das Mandat darf auch nicht nachteilig für ihn sein.

Vielfach wird die Auffassung vertreten, dass der Sonderkündigungsschutz erst ab dem tatsächlichen Einsatz als Betriebsratsmitglied erfolgt. Dies ist falsch, der Sonderkündigungsschutz beginnt bereits mit der Abwesenheit des ordentlichen Betriebsratsmitglieds.  Denn ab diesem Zeitpunkt besteht schon die Möglichkeit, dass das Ersatzmitglied im Betriebsrat in Anspruch genommen wird. Dies genügt für den Kündigungsschutz. 

Die Reihenfolge der Ersatzmitglieder steht fest. Es ist aber Vorsicht davor geboten: Diese Regel kann nicht genutzt werden, so vielen Ersatzmitgliedern wie möglich den Kündigungsschutz zu verschaffen. Bei der Vertretung und beim Nachrücken muss genau die bei der Wahl festgelegte Reihenfolge der Ersatzkandidaten beachtet werden. Zudem sollte der Betriebsrat vor jeder Kündigung mit den Betroffenen sprechen. Insbesondere bei fehlendem Schriftverkehr gibt meist zwei Versionen der Wahrheit. (Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 1/2016 vom 13. Januar 2016)

Das Urteil des Landesarbeitsgericht Hamm vom 14.8.2015 - Az.:13 Sa 576/15: können sie hier nachlesen


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