Wer als Sündenbock gekündigt wird, kann sich selbst in der Probezeit dagegen wehren. Copyright by Adobe Stock/pusteflower9024
Wer als Sündenbock gekündigt wird, kann sich selbst in der Probezeit dagegen wehren. Copyright by Adobe Stock/pusteflower9024

Neben dem Kündigungsschutzgesetz, das im ersten halben Jahr nicht greift, haben Beschäftigte weitere rechtliche Mittel, sich gegen die Willkür eines Arbeitgebers zu stellen. Eine Bauhofmitarbeiterin, die enge Verbindungen zum Betriebsrat hatte, konnte davon profitieren und wehrte sich mit Hilfe des DGB Rechtsschutz Büros Hamburg erfolgreich vor Gericht.
 

Betriebsrat wirbt Mitarbeiterin

Hinter dem Fall steht eine handfeste Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber: Nachdem im April 2020 der allgemeine Lockdown auch die Baubranche traf, wollte der Arbeitgeber Kurzarbeit einführen. Da sich der Betriebsrat jedoch dagegenstellte, kam keine Betriebsvereinbarung hierüber zustande.
 
Ein nicht unwichtiges Detail, das seinen Beitrag zu dem Umgang mit der neuen Kollegin leistete. Denn die Frau hatte ein Betriebsratsmitglied im Dezember 2019 für den Betrieb geworben. Aufgrund eines Mitarbeiterempfehlungsprogramms hätte der Betriebsrat dafür eine Prämie erhalten, wenn die neue Mitarbeiterin länger als sechs Monate im Unternehmen verweilen würde.
 
Die damals 41-Jährige war dem Arbeitgeber offensichtlich bereits negativ aufgefallen. Sie brachte im Februar beim Betriebsrat eine Beschwerde ein, dass einzelne Beschäftigte Einsicht in die Urlaubslisten anderer Kolleg*innen erhalten hatten. Im Mai beschwerte sie sich darüber, dass sie nicht sachgerecht eingearbeitet worden sei. Die neue Mitarbeiterin stand in enger Verbindung zum Betriebsrat. Und dennoch ging der Arbeitgeber mit seiner im Mai ausgesprochenen Kündigung zu weit.
 

„Eine Kugel auf Unschuldige“

Im Krieg treffe die ein oder andere Kugel auch Unschuldige, soll der Vorgesetzte während eines Telefonats mit dem Betriebsrat gesagt haben, und damit explizit die neue Mitarbeiterin gemeint haben.
 
Mit dem Wort „Krieg“ war der Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in Bezug auf die Kurzarbeit gemeint. Vor dem Arbeitsgericht Hamburg brachte die Bauhofmitarbeiterin als weiteren Grund für die Kündigung vor, dass mit dieser die Werbungsprämie für den Betriebsrat verhindert werden sollte. Damit liege ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot vor.
 
Sie sah sich als Sündenbock in einer Auseinandersetzung, die mit ihrem Arbeitsverhältnis nichts zu tun hat. Aufgrund dieser sachfremden Motive sei die Kündigung treuwidrig.
 

Das Gebot von Treu und Glauben

Das Bauunternehmen berief sich auf sein Recht, der Kollegin während ihrer Wartezeit zu kündigen, weil sie „nach der allgemeinen, subjektiven Einschätzung den Anforderungen nicht genüge“. Das sahen die Richter*innen anders. Im Prozess stellten sie klar, dass Arbeitgeber bei der Ausübung ihres Kündigungsrechts nicht nur dem Kündigungsschutzgesetz, sondern auch den Schranken von Treu und Glauben und der Sittenwidrigkeit unterliegen.
 
Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden. Zu den typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen vor allem Rechtsmissbrauch und Diskriminierungen.
 
Die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Beschäftigten, so die Richter*innen: „In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung indiziert. Der Arbeitgeber muss sich dann im Einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Sachvortrag des Arbeitnehmers als zugestanden.“
 

Kündigung als „politisches Mittel“

Der Vortrag der Bauhofmitarbeiterin war schlüssig. Auch das zitierte Gespräch zwischen ihrem Vorgesetzten und dem Betriebsrat stand dem nicht entgegen. In diesem sah der Arbeitgeber vor Gericht nämlich einen Bruch der Vertraulichkeit, weshalb die Aussagen nicht als Beweis dienen konnten.
 
Dem widersprachen die Richter*innen ebenfalls, da das Telefonat im Rahmen der Stellungnahme zur Betriebsratsanhörung erfolgt war. Somit musste dem Vorgesetzten klar sein, dass weitere Betriebsratsmitglieder davon mitbekommen und darüber diskutieren.
 
Somit war der Fall am Ende eine klare Sache: Der Arbeitgeber konnte den Sachverhalt nicht widerlegen. Die Kündigung wurde „gewissermaßen für eine Maßregelung des Betriebsrats ,missbraucht‘“, so das Urteil. Und eine Kündigung als „politisches Mittel" in einem Machtkampf zwischen den Betriebsparteien widerstrebt nicht nur dem grundsätzlichen Leitbild des Kündigungsschutzgesetz, sondern auch dem allgemeinen Mindestgerechtigkeitsgefühl. Die Bauhofmitarbeiterin durfte nicht für das Handeln eines Dritten bestraft werden. Ihr Arbeitsverhältnis wurde durch die Kündigung während der Probezeit nicht beendet – und obendrein standen ihr Gehaltsnachzahlungen für die Monate Mai bis Juli zu.


Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 612a Maßregelungsverbot
Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

§ 242 Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

§ 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.