Kündigungsschutz für Schwerbehinderte hat seine Grenzen. Copyright by Viacheslav Iakobchuk/Fotolia
Kündigungsschutz für Schwerbehinderte hat seine Grenzen. Copyright by Viacheslav Iakobchuk/Fotolia

Der schwerbehinderte Kläger war seit langem bei der insolventen Arbeitgeberin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterfiel einem tariflichen Sonderkündigungsschutz (Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber). Während des zunächst in Eigenverwaltung
betriebenen Insolvenzverfahrens kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen. Arbeitgeberin und Betriebsrat schlossen einen Interessenausgleich mit Namensliste ab. Die Liste enthielt auch den Namen des Klägers. Der Kläger kam  auf die Namensliste, weil der Arbeitgeber die verbliebenen Aufgaben umverteilte. Dabei fiel der Arbeitsplatz des Klägers weg. Die Hilfstätigkeiten, die der Kläger über viele Jahre verrichtet hatte, erledigen die verbliebenen Fachkräfte mit. Andere als die seither ausgeübten Tätigkeiten kann der Kläger nicht ausüben. Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Er berief sich auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz. Überdies verwies er auf die sich aus dem Sozialgesetzbuch IX ergebenden Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen. Hieraus leitete er einen Beschäftigungsanspruch für sich ab.
 

Erfolglos durch die Instanzen

Arbeits- und Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage ab. Erfolglos blieb auch die Revision des Klägers vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Die streitgegenständliche Kündigung, so das BAG, habe das Arbeitsverhältnis beendet. Der tarifliche Sonderkündigungsschutz zeige keine Wirkung. Dies ergebe sich aus der Insolvenzordnung. Denn bei einem vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung könne das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden.
 
Mangels geeigneter Weiterbeschäftigungsmöglichkeit komme auch der Beschäftigungsanspruch, auf den der Kläger sich berufe, nicht zum Tragen. Da die Beklagte nach ihrem Organisationskonzept den Arbeitsplatz des Klägers nicht mehr benötige und für den Kläger keine sonstige Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bestehe, sei die betriebsbedingte Kündigung wirksam.
 
Hier finden Sie die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.5.2019
 

Das sagen wir dazu:

Kündigungsschutz für Schwerbehinderte hat seine Grenzen

In bestehenden Arbeitsverhältnissen können Schwerbehinderte nach § 164 Abs. 4 SGB IX (bis 31. Dezember 2017: § 81 Abs. 4 SGB IX aF) von ihrem Arbeitgeber bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen. Hieraus ergibt sich aber keine Beschäftigungsgarantie für schwerbehinderte Menschen. Denn wenn die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einen anderen Arbeitsplatz erfolglos bleibt, geht der Kündigungsschutz ins Leere.

Rechtliche Grundlagen

§§ 125 Abs., 113 Abs. 1 Insolvenzordnung, § 81 Abs. 4 Sozialgesetzbuch IX aF

§ 125 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO)

§ 125 Insolvenzordnung
Interessenausgleich und Kündigungsschutz
(1) 1Ist eine Betriebsänderung (§ 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind, so ist § 1 des Kündigungsschutzgesetzes mit folgenden Maßgaben anzuwenden:
1. es wird vermutet, daß die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der bezeichneten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, bedingt ist;
2. die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.
2Satz 1 gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.
(2) Der Interessenausgleich nach Absatz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes.



§ 113 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO)
§ 113 Insolvenzordnung
Kündigung eines Dienstverhältnisses
1Ein Dienstverhältnis, bei dem der Schuldner der Dienstberechtigte ist, kann vom Insolvenzverwalter und vom anderen Teil ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden. 2DieKündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist.3Kündigt der Verwalter, so kann der andere Teil wegen der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadenersatz verlangen.

§ 81 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) IX aF
(4) 1Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf
1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,
2. bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,
3. Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,
4. behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,

5. Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen
unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. 2Bei der Durchführung der Maßnahmen nach den Nummern 1, 4 und 5 unterstützt die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen. 3Ein Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.