Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises kann zu erheblichen Komplikationen führen. © Adobe Stock: artfocus
Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises kann zu erheblichen Komplikationen führen. © Adobe Stock: artfocus

Der 38-jährige Paketzusteller, Kläger des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Essen, war nahezu 20 Jahre bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Dieser führte Anfang Dezember 2021 die 3G-Regelung im Unternehmen ein und verpflichtete seine Beschäftigten zur Vorlage eines gültigen Impfausweises. Mit dem erstmaligen Vorlegen des Impfausweis erhielt der Mitarbeiter ebenso wie seine Kolleg*innen einen Aufkleber auf dem Dienstausweis, um die Kontrollen in der Zukunft zu erleichtern.

 

Die einmalige Vorlage des Impfausweises sollte nicht ausreichen

 

Der Mann befand sich Ende Dezember in Quarantäne. Nach seiner Rückkehr in den Betrieb forderte der Arbeitgeber den Kläger unter Fristsetzung bin Februar auf, seinen Impfausweis vorzulegen, damit die Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz erstattet werden konnte. Geschehe das nicht, werde sein Gehalt zurückgefordert, kündigte der Arbeitgeber an.

 

Der Kläger legte einen gefälschten Impfausweis vor. Dies ergab eine Chargenprüfung bei einer Apotheke. Später legte er ein Duplikat seines Impfausweis vor, dessen Gültigkeit auch der Arbeitgeber anerkannte.

 

Dass der Kläger zuvor jedoch einen gefälschten Impfausweis vorgelegt hatte, sollte nicht ohne Konsequenzen bleiben. Der Arbeitgeber sprach eine fristlose Kündigung aus. Hilfsweise kündigte er fristgemäß zum Ablauf der geltenden tarifvertraglichen Kündigungsfrist.

 

Panik veranlasste den Kläger zur Vorlage der Fälschung

 

Hiergegen erhob der Kläger mithilfe seiner Prozessbevollmächtigten aus dem DGB Rechtsschutzbüro Essen Klage beim Arbeitsgericht. Er behauptete, er habe ursprünglich den Impfausweis dem Mitarbeiter des Personaleinsatzes vorgelegt. Nach der Quarantäne habe er die Aufforderung erhalten, seinen Impfausweis noch einmal vorzulegen. Diesen habe er jedoch nicht gefunden. Beim Hausarzt sei erst mehrere Tage später ein Termin frei gewesen, um ein Duplikat zu erhalten. In seiner Panik habe er sich einen gefälschten Impfausweis besorgt, um die Rückrechnung des Gehalts zu vermeiden.

 

Das Arbeitsgericht Essen sah im Verhalten des Paketzustellers einen gravierenden Verstoß gegen dessen arbeitsvertragliche Pflichten. Der Kündigungsschutzklage gab es dennoch teilweise statt.

 

Das Gericht prüfte die Schwere der Pflichtverletzung

 

 

Der Vorwurf, einen gefälschten Impfausweis vorgelegt zu haben sei grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen, so das Arbeitsgericht. Es komme dabei nicht darauf an, ob das Verhalten des Klägers eine Straftat nach dem Strafgesetzbuch darstelle. Im Kündigungsschutzprozess komme es auf den Verstoß gegen die Haupt- oder Nebenpflichten und der damit einhergehenden Störung des Arbeit- und Vertrauensverhältnisses an.

 

Deshalb könne auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Das Gesetz kenne keine "absoluten" Kündigungsgründe.

 

Die Dauer der Betriebszugehörigkeit gab den Ausschlag

 

Eine Kündigung scheide aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet seien, wie etwa eine Abmahnung. Einer Abmahnung bedürfe es aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann nicht, wenn bereits von vorneherein erkennbar sei, dass eine Änderung des Verhaltens auch nach deren Ausspruch nicht erwartet werden könne oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend sei, dass es dem Arbeitgeber objektiv unzumutbar und offensichtlich ausgeschlossen sei, diese auch nur einmalig hinzunehmen.

 

Der Kläger habe eine schwere Pflichtverletzung begangen. Dem Beklagten sei es jedoch unter Abwägung der langen Betriebszugehörigkeit zumindest zumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Das Gericht sah es als nicht als erwiesen an, dass der Kläger den gefälschten Impfausweis vorgelegt hat, um über die Existenz einer Impfung zu täuschen. Er habe aber mit dem Beschaffen eines gefälschten Impfausweis um einen Nachweis über die Impfung zu erbringen, eine erhebliche kriminelle Energie zutage gelegt.

 

Dokumentationspflichten sind dem Kläger nicht fremd

 

Der Kläger sei Paketzusteller. Er habe nicht nur Obhuts- und Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die von ihm transportierten Werte der Kunden zu beachten, er müsse auch Dokumentationspflichten einhalten, um die ordnungsgemäße Zustellung von Paketen nachweisen zu können. Die Beklagte müsse deshalb darauf vertrauen können, dass der Kläger diese Dokumentationen auch ordnungsgemäß erstelle.

 

Durch sein Verhalten habe der Kläger dieses Vertrauen nachhaltig erschüttert. Selbst wenn er sich in einer Zwangslage aufgrund der drohenden Gehaltskürzungen gesehen habe, rechtfertigte das nicht, einen gefälschten Impfausweis zu beschaffen und dem Arbeitgeber vorzulegen.

 

Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger im Rahmen der Anhörung durch den Arbeitgeber die Täuschung aufrechterhalten und den Sachverhalt auch nicht aufgeklärt habe, obwohl er zu diesem Zeitpunkt das Impfduplikat schon hätte vorlegen können.

 

Die ordentliche Kündigung hielt

 

Lediglich das lang andauernde ungestörte Arbeitsverhältnis führe nach Auffassung des Gerichts dazu, dass es der Beklagten unter Abwägung aller Interessen des Einzelfalls zumutbar sei, die tarifliche Kündigungsfrist einzuhalten. Das Arbeitsverhältnis habe daher nicht mit sofortiger Wirkung sein Ende gefunden, sondern erst mit Ablauf der geltenden Kündigungsfrist.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Essen.