Vom Alkohol sollte man tunlichst die Finger lassen, wenn man ein Auto steuern will. Manchmal kann man ansonsten sogar den Arbeitsplatz verlieren. © Adobe Stock - zuchero
Vom Alkohol sollte man tunlichst die Finger lassen, wenn man ein Auto steuern will. Manchmal kann man ansonsten sogar den Arbeitsplatz verlieren. © Adobe Stock - zuchero

Es geht um ein Unternehmen mit knapp 270 Beschäftigten, das einen Zulieferbetrieb für die Automobilindustrie betreibt. Und weil solche Unternehmen wichtige Kunden haben, die für deren zukünftige Existenz von erheblicher Bedeutung sind (große Automobilhersteller gibt es nur in begrenzter Anzahl), brauchen sie Beschäftigte, die sich insbesondere um eben diese Kunden kümmern, weil sie eine gewisse Schlüsselstellung haben. Und weil es dabei natürlich um das Geld der Kunden geht, bezeichnet man deren Anliegen auch als „Schlüssel-Konten“. Das klingt indessen etwas bieder-deutsch. Daher benutzt unser Automobilzulieferer für entsprechende Arbeitnehmer*innen die Jobbezeichnung „Key-Account-Manager“.

 

In unserem Fall geht es um einen Beschäftigten, der sich seit Oktober 1999 um solche „Key-Accounts“ kümmern muss. Seine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, die Kunden vor Ort zu besuchen und zu beraten, welches der Produkte seines Arbeitgebers für ihren Bedarf geeignet ist.

 

Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt

Zumeist arbeitet unser Key-Account-Manager im Home-Office. Die Beratungsleistung erbringt er in der Regel aber bei den Kunden. Er muss durch regelmäßige Besuche vor Ort einen engen Kontakt mit den Entwicklern und Einkäufern der Kunden aufbauen und pflegen. Für die Fahrten zu Kunden benutzt er stets den ihm von der Firma zur Verfügung gestellten Dienstwagen, den er auch privat nutzen durfte.

Unser „Schlüsselmanager“ hatte den Dienstwagen einst mit einem dafür vorgesehenen Formular beantragt. In diesem Formular, das er eigenhändig unterzeichnet hatte, stand der Satz:

Die Regelungen aus der derzeit gültigen International Company Car Policy mit dem dazugehörigen Country Appendix sowie die SHE Richtlinie S9G sind mir bekannt":

In der "International Company Car Policy", also auf Hochdeutsch etwa „Internationale Dienstwagen-Politik“ heißt es:

"Mitarbeiter dürfen niemals fahren, wenn sich Alkohol in ihrem Blut befindet. Selbst kleinste Alkoholmengen beeinträchtigen das Urteilsvermögen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeiter in einen Unfall verwickelt wird. Das Unternehmen hat eine Nulltoleranzhaltung gegenüber dem Fahren unter Einfluss illegaler Drogen. Jeden Mitarbeiter, der beim Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss angetroffen wird, erwartet ein sofortiges Disziplinarverfahren."

Im „Country Appendix“, also dem Anhang für das Land, steht geschrieben:

"Die Benutzung des Fahrzeuges ist untersagt, wenn der Mitarbeiter nach pflichtgemäßer Prüfung aller Umstände nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass seine Fahrtüchtigkeit durch die Einnahme von Medikamenten, Alkohol oder Drogen eingeschränkt ist (...).

 

Der Key-Account-Manager verursachte einen Unfall unter Alkoholeinfluss

An einem Sonntagnachmittag im Oktober 2019 verursachte der Key-Account-Manager auf einer privaten Fahrt mit seinem Dienstwagen einen Verkehrsunfall. Er fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit unter Alkoholeinfluss und kam von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug wurde von einem Baum gestoppt und war nicht mehr fahrbereit. Es entstand ein Schaden von 18.000,00 EUR.

Die Polizei nahm den Unfall auf, beschlagnahmte den Führerschein und nahm eine Blutprobe. Das Ergebnis der Atemalkoholprobe lag bei 1,8 Promille BAK.

 

Da war dem Manager schon klar, dass er wohl eine Zeitlang auf seinen Führerschein verzichten muss. Er rief einige Tage nach dem Vorfall seinen Vorgesetzten an und schlug vor, für die Zeit des Führerscheinentzugs auf eigene Kosten einen Fahrer anzustellen, der ihn zu Kunden bringen solle.

Tatsächlich verhängte das Amtsgericht Ludwigshafen einen Strafbefehl gegen den Key-Account-Manager, entzog ihm die Fahrerlaubnis und verhängte eine Sperrfrist von 12 Monaten.

 

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen Zeitpunkt

Vom Vorschlag des Key-Account-Managers ließ sich sein Arbeitgeber indessen wenig beeindrucken und kündigte das Arbeitsverhältnis im Oktober 2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen Zeitpunkt.

Hiergegen wandte sich der Key-Account-Manager mit einer beim Arbeitsgericht Ludwigshafen erhobenen Klage. Zudem begab er sich in der Folge in psychologische Behandlung. Nachdem mehrere Testungen auf Alkohol negativ verliefen, beantragte er Ende Dezember 2020, dass ihm die Fahrerlaubnis neu erteilt wird. Diesem Antrag entsprach die Straßenverkehrsbehörde im April2021.

Das Arbeitsgericht stellte fest, dass weder die fristlose noch die fristgerechte Kündigung rechtswirksam sind. Hiergegen erhob das Zulieferunternehmen Berufung. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz hat diese indessen zurückgewiesen.

 

Im Kündigungsschutzverfahren kommt es maßgeblich auf Verhältnismäßigkeit an

Die Entziehung der Fahrerlaubnis stelle einen Umstand dar, der an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentlichen Kündigung aus personenbedingten Gründen abgeben könne, so das Gericht. Für Berufskraftfahrer habe dies das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung auch für den Fall angenommen, dass die Entziehung auf einer im Zustand der Trunkenheit im Verkehr bei einer außerhalb der Arbeitszeit durchgeführten Privatfahrt beruhe.

Entsprechendes gelte, wenn das Führen eines Kraftfahrzeuges zwar nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag darstelle, weil die Haupttätigkeit ohne Firmenfahrzeug nicht ausgeübt werden könne.

 

Im Kündigungsschutzverfahren sei aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidend. Eine Kündigung scheide aus, wenn es eine Möglichkeit zu einer Beschäftigung zu geänderten Bedingungen gebe. Dabei obliege es grundsätzlich dem Arbeitgeber, vor Ausspruch einer Kündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine für beide Seiten zumutbare anderweitige Beschäftigung anzubieten. Von diesem Grundsatz habe das Bundesarbeitsgericht eine Ausnahme gemacht, wenn eine Weiterbeschäftigung nur unter Berücksichtigung von Umständen möglich sei, die in den Verhältnissen des Arbeitnehmers begründet und für den Arbeitgeber nicht erkennbar seien.

 

Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsleistung persönlich erbringen

Vorliegend habe der Kläger bereits vor Zugang der Kündigung den Vorschlag unterbreitet, für die Zeit des Führerscheinentzugs auf eigene Kosten einen Fahrer einzustellen, um auswärtige Termine wahrzunehmen. Eine solche Möglichkeit käme als milderes Mittel gegenüber einer ansonsten auszusprechenden Beendigungskündigung in Betracht und sei im vorliegenden Fall weder aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen noch dem Arbeitgeber nicht zumutbar.

 

So weit, so gut. Fall gelöst, könnte man meinen. Wenn es da nicht eine kleinen, aber wesentlichen Haken gebe. Das Arbeitsrecht ist ein Sonderfall des Dienstrechts, das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist. Und dort heißt es, dass die Diente in Zweifel persönlich zu erbringen sind (§ 613 Satz 1 BGB). Unser Key-Account-Manager kann also nicht einfach einen Teil der Arbeitsleistung, die er seinem Arbeitgeber schuldet, auf einen Dritten übertragen.

Das LAG hat aber zu Recht angenommen, dass dem Einsatz eines vom Account-Manager beschäftigten Fahrers nichts entgegensteht. Dabei war für das Gericht gar nicht einmal entscheidend, ob der Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsvertrages einen Dritten für Fahrtätigkeiten heranziehen darf. Hier geht es nämlich um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Also insbesondere darum, dass eine Kündigung nur das letzte Mittel („ultima ratio“) sein darf. Nach diesem Grundsatz sei der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, eine Änderung der Arbeitsbedingungen für die Zeit zuzustimmen, in der der Arbeitnehmer ohne Führerschein war.

 

Es wäre Sache des Arbeitgebers gewesen, beim Arbeitnehmer ergänzende Informationen anzufordern

Dem stünde nach Auffassung des LAG auch nicht der Einwand des Arbeitgebers entgegen, eine derartige Verfahrensweise wäre nicht zumutbar gewesen, weil der Arbeitnehmer versicherungsrechtliche Fragen nicht geklärt und zudem den Namen des etwaigen Fahrers nicht mitgeteilt hätte. Nachdem der Arbeitnehmer die Bereitschaft erklärt habe, das Mobilitätsproblem  zu lösen, indem er selbst einen Fahrer auf eigene Kosten einstellt, wäre es Sache des Arbeitgebers gewesen, diese Möglichkeit im Hinblick auf die von ihr aufgeworfenen Fragen zu prüfen und den Arbeitnehmer gegebenenfalls aufzufordern, ergänzende Informationen beizubringen bzw. ihrerseits ein konkretes Angebot zur Ausgestaltung dieser Möglichkeit zu unterbreiten. In diesem Zusammenhang hätte neben der Nutzung eines Firmenwagens auch die Nutzung eines eigenen Fahrzeugs des Klägers oder des von ihm angestellten Fahrers geregelt werden können.

 

Das LAG hielt schließlich auch eine verhaltensbedingte Kündigung wegen des Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen nicht für gerechtfertigt. Zwar geht das Gericht davon aus, dass der Key-Account-Manager ungeachtet einer zum damaligen Zeitpunkt ggfs. bestehenden Alkoholerkrankung schuldhaft gehandelt habe. Er habe selbst nicht geltend gemacht, dass seine Alkoholerkrankung dergestalt ausgeprägt gewesen sei, dass hierdurch seine Entscheidungsfreiheit bezüglich der Nutzung bzw. Nichtnutzung des Fahrzeugs ausgeschlossen gewesen sei. Angesichts der nach dem Unfall festgestellten Blutalkoholkonzentration hätte für den Kläger bei Fahrantritt auch erkennbar sein müssen, dass er nach dem Alkoholkonsum auch bei Antritt der Fahrt noch fahruntüchtig ist.

 

Eine verhaltensbedingte Kündigung scheiterte am Fehlen einer Abmahnung

Die Kündigung scheitere aber daran, dass es an einer einschlägigen Abmahnung fehle. Die Pflichtverletzung sei zwar von „nicht nur unerheblichem Gewicht“, in ihren Auswirkungen beschränke sie sich allerdings auf die Beschädigung des Kfz, wobei der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer hierfür ohne weiteren Ersatz erlangen könne. Die Arbeit als solche sei nicht wesentlich erschwert gewesen, weil es - wie gezeigt - zumutbaren Überbrückungsmaßnahmen gegeben hätte.

 

Hier ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Volltext nachzulesen.