Schließt ein Arbeitgeber seine Firma in Deutschland, dann fallen die Beschäftigten ganz schnell ins Nichts. Copyright by Adobe Stock/pict rider
Schließt ein Arbeitgeber seine Firma in Deutschland, dann fallen die Beschäftigten ganz schnell ins Nichts. Copyright by Adobe Stock/pict rider

Raus aus Deutschland, rein in die Niederlande  - sagte sich ein Arbeitgeber aus Baden-Württemberg. Er malte sich dort wohl geschäftlich bessere Aussichten aus. Diese Entscheidung betraf 28 Mitarbeiter*innen seiner Niederlassung in Deutschland. Sie erhielten die Mitteilung, dass ein Betriebsübergang auf die niederländische Dependance des Arbeitgebers erfolge.
 

Fast der ganze Betrieb erhielt die Kündigung

25 Mitarbeiter widersprachen diesem Betriebsübergang. Sie erhielten daraufhin eine Kündigung. Die gekündigten Beschäftigten reichten Klage ein, vertreten vom DGB Rechtsschutz Heilbronn. Der Arbeitgeber hatte im Verfahren einen Fehler gemacht. Das gefiel diesem natürlich nicht. Aber genau darauf konnten die erfahrenen Juristen des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes vor dem Arbeitsgericht erfolgreich hinweisen.
 
Doch der Reihe nach: der Arbeitgeber wollte seinen Betriebsrat über die geplante Entlassung der Beschäftigten unterrichten und zu Sozialplanverhandlungen einladen. Dazu soll es ein Schreiben an den Betriebsrat gegeben haben. Der Arbeitgeber hatte aber keine Bestätigung darüber, ob beziehungsweise wann dieses Schreiben dem Betriebsrat zugegangen ist.
 

Der Arbeitgeber legte mit der Einladung die Anzeige an die Arbeitsagentur vor

Zu einem Gespräch kam es jedenfalls nicht. Der Arbeitgeber lud den Betriebsrat anschließend erneut zur Beratung ein. Dieser Termin sollte im Anschluss an einen Gerichtstermin beim Arbeitsgericht Heilbronn stattfinden, bei welchem Arbeitgeber und Betriebsrat ohnehin anwesend waren.
 
Zeitgleich mit dieser Einladung erhielt der Betriebsrat auch die Abschrift einer Mitteilung an die Agentur für Arbeit, mit welcher der Arbeitgeber dort die geplante Massenentlassung anzeigte.
 

Der Arbeitgeber muss geplante Massenentlassungen bei der Arbeitsagentur anzeigen

Der Arbeitgeber ist nach dem Kündigungsschutzgesetz dazu verpflichtet, beabsichtigte Massenentlassungen bei der Arbeitsagentur anzuzeigen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn er beabsichtigt, von 28 Arbeitnehmer*innen mehr als fünf Beschäftigten zu kündigen.
 
Das Gesetz schreibt vor, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat rechtzeitig die notwendigen Auskünfte schriftlich erteilen muss.
 

Die Auskunft an den Betriebsrat muss vollständig sein

Dabei muss er den Betriebsrat insbesondere über die Gründe für die geplanten Entlassungen unterrichten und ihm die Zahl und die Berufsgruppen der Arbeitnehmer*innen mitteilen. Er hat auch den Zeitraum zu benennen, in welchem er die Entlassungen vornehmen will. Die Mitteilungspflicht bezieht sich des Weiteren auf die Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer*innen und auf die Berechnung etwaiger Abfindungen.
 
Das Gesetz gebe Arbeitgeber und Betriebsrat dadurch die Möglichkeit, zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern, so das Arbeitsgericht.
 

Der Arbeitgeber bemühte sich um eine Stellungnahme des Betriebsrates

Diese Bemühungen hätten laut Hinweis des Arbeitgebers noch vor dem Ausspruch der Kündigungen stattgefunden. In dem Schreiben des Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit heiße es, die Beratungen mit dem Betriebsrat zur beabsichtigten Massenentlassung seien abgeschlossen. Eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates zu den Entlassungen läge nicht vor.
 
Eine erste Beratung habe der Betriebsrat grundlos abgelehnt. Beim zweiten Termin habe zwar ein Gespräch stattgefunden. Allerdings sei es nicht möglich gewesen, eine Übereinstimmung mit dem Betriebsrat zu erreichen.
 

Nach den erfolglosen Beratungen sprach der Arbeitgeber die Kündigungen aus

Anschließend sei der Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen angehört worden und habe diesen widersprochen. Dennoch hätten die Beschäftigten ihre Kündigungen erhalten.
 
Damit habe der Arbeitgeber gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, so das Arbeitsgericht. Eine Massenentlassung dürfe er nur vornehmen, wenn er zuvor das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt habe. Der Arbeitgeber hätte einer schriftlichen Massenentlassungsanzeige die Stellungnahme des Betriebsrates beifügen müssen.
 

Auch ohne eine schriftliche Stellungnahme des Betriebsrates darf der Arbeitgeber kündigen

Liege keine Stellungnahme des Betriebsrates vor, sei es dem Arbeitgeber grundsätzlich dennoch möglich, die beabsichtigten Kündigungen auszusprechen. Dafür müsse er jedoch versichern, dass er den Betriebsrat wenigstens zwei Wochen vor der Anzeige an die Agentur für Arbeit unterrichtet habe. Er müsse des Weiteren den Stand der Beratungen darlegen.
 
Das Anzeigeverfahren solle damit den Beratungsstand widergeben und die Durchführung sowie gegebenenfalls das Ergebnis der Beratungen dokumentieren. Die Arbeitsverwaltung könne dadurch beurteilen, ob die Betriebsparteien auf der Grundlage ausreichende Informationen über die geplanten Massenentlassungen und auch über deren Vermeidung beraten hätten. Daneben erhalte die Arbeitsverwaltung dadurch Kenntnis von der Sichtweise des Betriebsrates, die von derjenigen des Arbeitgebers abweichen könne.
 

Unvollständige Massenentlassungsanzeigen sind unwirksam

Eine Massenentlassungsanzeige sei unwirksam, wenn der Arbeitgeber ihr die Stellungnahme des Betriebsrates nicht beifüge bzw. weiterführende Ausführungen über den Stand der Beratung nicht mache.
 
Das Gericht könne nicht erkennen, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat wenigstens zwei Wochen vor der Anzeige an die Arbeitsagentur ausreichend informiert habe. Dem Gericht läge weder ein Schreiben des Arbeitgebers vor, noch verfüge der Arbeitgeber über eine Eingangsbestätigung des Betriebsrates.
 
Auch auf sonstige Weise, etwa eidesstattliche Zeugenaussagen, habe der Arbeitgeber eine Beweisführung nicht versucht. Damit stehe nicht fest, ob eine rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrates erfolgt sei.
 

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat rechtzeitig Auskunft erteilen

Liege keine abschließende oder vollständige Stellungnahme des Betriebsrates vor, müsse der Arbeitgeber belegen, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor der Erstattung der Anzeige unterrichtet habe und der Agentur für Arbeit anschließend selbst den Stand der Beratungen mitteilen.
 
Dazu gehöre die Angabe, ob, wann und warum der Betriebsrat weitere Verhandlungen endgültig abgelehnt habe. Außerdem müsse der Arbeitgeber mitteilen, dass, wann und wie das Verfahren aus seiner Sicht seinen Abschluss gefunden habe.
 
Zwar sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, sämtliche Einzelheiten der Beratungen mit den Betriebsrat zu schildern. Er hätte jedoch zumindest angeben müssen, wann und mit welcher Begründung der Betriebsrat weitere Verhandlungen abgelehnt habe.
 

Hinweise auf eine Interessensausgleich oder einen Sozialplan fehlten

Der Arbeitgeber habe beispielsweise nicht mitgeteilt, dass der Betriebsrat im Gegensatz zu ihm der Auffassung war, dass eine Betriebsänderung vorliege, die zu einem Interessenausgleich oder einem Sozialplan führen könne.
 
Damit sei der Stand der Beratung nicht mitgeteilt. Die Massenentlassungsanzeige sei unvollständig. Völlig gleichgültig sei dabei, ob die Agentur für Arbeit ihrerseits einen vollständigen Eingang der Anzeige bestätigt habe. Arbeitsgerichte seien dennoch berechtigt das umfassend selbst zu prüfen.
 
Die Massenentlassungsanzeige sei damit unwirksam. Das habe zur Folge, dass die ausgesprochenen Kündigungen zu Unrecht ergangen seien.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Massenentlassungsanzeigen müssen vollständig sein. Nur dann sind anschließende Kündigungen zulässig. Betriebsräte geben dennoch auch bei unvollständigen Auskünften Stellungnahmen ab und weisen darauf hin, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht.

In diesen Fällen kann eine unterbliebene Unterrichtung geheilt werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Lesen Sie dazu:
BAG zu Massenentlassung: Heilung bei fehlerhafter Unterrichtung des Betriebsrats möglich
Seit einer weiteren Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts 2019 steht übrigens fest, dass Kündigungen schon unterschrieben sein dürfen, bevor der Arbeitgeber die Anzeige über die beabsichtigten Massenentlassungen bei der Agentur für Arbeit macht.
Auch dazu hatten wir berichtet:
Grundsatzentscheidung des BAG zum Zeitpunkt von Kündigungen bei Massenentlassungen
Auch der Europäische Gerichtshof befasste sich schon mit Fragen der Massenentlassung. Dabei ging es beispielsweise bei Firmen, die grenzüberschreitend tätig sind, vor allem um die Frage des Begriffs eines Betriebes. Gemeint sei dabei nach europäischen Recht eher die einzelne „Filiale“ als das gesamte Unternehmen.
Für interessierte Leser*innen dazu:
EuGH beschneidet Rechte bei Massenentlassungen


Rechtsberatung ist dringend geboten

Betriebsräte sind nach alledem bei Gesprächen und Stellungnahmen zu Massenentlassungen immer gut beraten, sich vorher rechtlichen Rat zu holen. Verfolgt ein Arbeitgeber das Ziel, einen Betriebssitz stillzulegen, werden Betriebsräte sicher nicht dauerhaft verhindern können, dass dies geschieht.

Führt der Arbeitgeber das rechtlich vorgeschriebene Verfahren allerdings nicht korrekt durch, darf er nicht kündigen. Erklären Gerichte Kündigungen anschließend für rechtsunwirksam, kann das zumindest bedeuten, dass die Vergütungen bis zum Abschluss eines neuen, korrekten Massenentlassungsverfahren weiterfließen. Zugegeben, nur ein kleiner Trost, wenn eine ganze Firma schließt – und wer weiß, was wir da in Zeiten dieser schon lange dauernden Pandemie noch erleben werden.

Rechtliche Grundlagen

§ 17 KSchG; § 134 BGB

§ 17 Anzeigepflicht
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

1.
in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
3.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer

innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden.
(2) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über

1.
die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2.
die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3.
die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
4.
den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5.
die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
6.
die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.
(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige muß Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriteren für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der Stellungnahme zuzuleiten.
(3a) Die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten nach den Absätzen 1 bis 3 gelten auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, daß das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte nicht übermittelt hat.
(4) Das Recht zur fristlosen Entlassung bleibt unberührt. Fristlose Entlassungen werden bei Berechnung der Mindestzahl der Entlassungen nach Absatz 1 nicht mitgerechnet.
(5) Als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht

1.
in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist,
2.
in Betrieben einer Personengesamtheit die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit berufenen Personen,
3.
Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind.

§ 134 Gesetzliches Verbot
Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.