Der Kirchenaustritt eines Kochs in einer evangelischen KiTa ist kein Kündigungsgrund. Copyright by Adobe Stock/Pixel-Shot
Der Kirchenaustritt eines Kochs in einer evangelischen KiTa ist kein Kündigungsgrund. Copyright by Adobe Stock/Pixel-Shot

Seit 1995 arbeitete der Koch in einer Kinder-Tagesstätte in Stuttgart. Seine Arbeitsgrundlage war neben dem Arbeitsvertrag die Kirchliche Anstellungsordnung (KAO) – ein Regelwerk der evangelischen Landeskirche in Baden-Württemberg, die einem Tarifvertrag ähnelt. Darin sind Arbeitszeiten gleichermaßen geregelt wie Kündigungen.
 

Kein Herz für das „Herz der Kita“

Als der Angestellte im Juni 2019 beschloss, aus der Kirche auszutreten, folgte im August die Kündigung. Die Kirchengemeinde berief sich auf eine Regelung in der KAO, wonach ein Kirchenaustritt einen wichtigen Grund darstellt, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Mithilfe der Stuttgarter Kolleg*innen der DGB Rechtsschutz GmbH wehrte sich der damals 55-Jährige.
 
Ordentlich war der Koch nicht kündbar, da er mehr als 20 Jahre lang bei der Kirchengemeinde beschäftigt war – so sieht es die KAO vor. Somit brauchte es eines wichtigen Grunds, der eine fristlose, außerordentliche Kündigung rechtfertigte.
 
Den sah die Kirchengemeinde im „Loyalitätsverstoß“ des Kirchenaustritts. Als Mitarbeiter einer pädagogischen Einrichtung sei seine Konfessionslosigkeit als eines der schwersten Vergehen gegen die Religion und die Einheit der Kirche zu verstehen.
 

Kein Grund für außerordentliche Kündigung

Sehr bezeichnend für den häufig eingeschränkten Innenblick der Kirche, erklärte die Kirchengemeinde den wichtigen Grund für die Kündigung vor Gericht so: Die Küche als „Herz der Kita“ vermittele den Kindern, achtsam mit Lebensmitteln umzugehen und auch Abfall zu vermeiden.
 
Damit habe sie ebenso einen christlichen Bildungsauftrag wie die übrigen Mitglieder der örtlichen „christlichen Dienstgemeinschaft“. Ob diese zu vermittelnden Werte als rein christliche zu bewerten sind, bleibt jedem selbst überlassen.
 
Der Koch bekräftigte, dass sich sein Kontakt zu den Kindern im Wesentlichen auf die Ausgabe von Getränken beschränke und er an Teamsitzungen mit dem pädagogischen Personal nur etwa alle zwei Wochen teilnehme, wenn es um organisatorische Fragestellungen gehe. Damit habe seine Tätigkeit keinen Bezug zum Verkündigungsauftrag der Kirche.
 

Benachteiligung aufgrund der Religion

Im Kündigungsschutzprozess hatte zunächst das Arbeitsgericht Stuttgart zwischen den Grundrechten des Arbeitnehmers – etwa auf Glaubens- und Gewissensfreiheit – und dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft abzuwägen. Die erstinstanzliche Auseinandersetzung führte zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – dem AGG – wonach der Koch nicht wegen seiner Religion benachteiligt werden durfte.
 
Die Gemeinde berief sich aber auf eine Ausnahmevorschrift, nach der Kirchen von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres Selbstverständnisses verlangen können. Die Tätigkeit als Koch berührte nach Ansicht des Arbeitsgerichts Stuttgart diese Ausnahme allerdings nicht. Ein Loyalitätsverstoß sei durch den Austritt nicht gegeben und könne daher nicht als Grund für eine außerordentliche Kündigung dienen.
 

Das richtige Ethos

Die Kirchengemeinde bekräftigte aber im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ihre Haltung und ergänzte sie um eine Richtlinie der Europäischen Union: Nach einer Vorschrift der Gleichbehandlungsrichtlinie ist Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung erlaubt, „wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“.
 
Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) blieb allerdings auch diese Auslegung der Kirchengemeinde erfolglos. Aus der Richtlinie gehe nämlich ausdrücklich hervor, dass die „Art" der fraglichen Tätigkeiten oder die „Umstände“ ihrer Ausübung betrachtet werden müssten (EuGH, 11.September 2018, C-68/17).
 
Der Koch war in die eigentliche Erziehungsarbeit der Kita nicht eingebunden, stellten die Richter*innen fest. „Dass der Kläger keine Kirchensteuer mehr zahlt, ist für die Aufrechterhaltung des Ethos in der Kita ohne Auswirkung.“ Die an die Kirchenzugehörigkeit anknüpfende Loyalitätspflicht war also im Hinblick auf die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Beklagten.
 
Links
 
Urteil des LAG Stuttgart
 
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EuGH beseitigt Privileg der Kirchen

Das sagen wir dazu:

Der DGB kritisierte in einer Stellungnahme die sogenannte „Loyalitätsrichtlinie“ (Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihres Diakonischen Werkes) bereits vor ihrem Inkrafttreten im Jahr 2005.

DGB kritisiert Loyalitätsrichtlinie der evangelischen Kirche

„Danach dürfen grundsätzlich nur noch evangelische Kirchenmitglieder eingestellt werden. Ausnahmen davon müssen im Einzelfall geprüft werden. Unter diesen Rahmenbedingungen verdienen die gesetzlichen Regelungen besonderes Augenmerk. Nach Auffassung des DGB wird durch sie in ungerechtfertigter Weise das Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten einschränkt.

Auch wenn anerkannt werden muss, dass die Vertreter einer Religionsgemeinschaft, die den Glauben nach außen tragen, auch dem jeweiligen Glauben angehören, ist nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise die Religionszugehörigkeit auch von einer Küchenhilfe in einer Krankenhausküche verlangt wird.“

Dieser Argumentation folgend haben sich schon viele Gerichte mit dem Thema auseinandergesetzt. Der öffentlichkeitswirksamste Fall landete im Jahr 2018 beim EuGH, der sogenannte Chefarzt-Fall.

Chefarzt-Fall: EuGH beschneidet die Macht der Kirchen

Auf diesen bezog sich auch das LAG Baden-Württemberg im vorliegenden Fall: Damals war der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses gekündigt worden, nachdem er zum zweiten Mal in seinem Leben geheiratet hatte.

Dem entgegneten die Luxemburger Richter*innen: „Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung.“

Weit über einer Millionen Arbeitnehmer*innen sind von den Kirchen als Arbeitgeberinnen abhängig. Damit sind die Glaubensgemeinschaften der zweitgrößter Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst. Das im Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen steht daher häufig in der Kritik, denn es erhebt die Kirche über das bestehende staatliche Arbeitsrecht – meist nicht zum Vorteil der Beschäftigten.

Rechtliche Grundlagen

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 7 Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

§ 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
(2) Das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berührt nicht das Recht der in Absatz 1 genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können.