Eine Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung weil der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat, setzt Eilbedürftigkeit voraus. © Adobe - Stock - artfocus
Eine Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung weil der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat, setzt Eilbedürftigkeit voraus. © Adobe - Stock - artfocus

Verfahren vor dem Arbeitsgericht dauern ihre Zeit. Manchmal kann es sein, dass ein rechtmäßiges Begehren wegen „Zeitablauf“ gar nicht mehr durchgesetzt werden kann. Das gilt etwa für Urlaub, den ein/e Arbeitnehmer*in gerichtlich durchsetzen will. Der gewünschte Zeitraum kann bereits verstrichen sein, bevor es überhaupt ein Urteil erster Instanz gibt. Das Gesetz bietet deshalb die Möglichkeit, den Anspruch im Wege einer Einstweiligen Verfügung zu sichern.
Das einstweilige Verfahren erleichtert dem Antragsteller die Durchsetzung seiner Ziele, weil er den zu Grunde liegenden Sachverhalt nur glaubhaft machen muss. Der Antragsgegner hat das Problem, dass er nicht in demselben Maße wie in der Hauptsache Verteidigungsmittel in den Prozess einzuführen kann.

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung muss dringlich sein

Daher ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nur begründet, wenn für das Verfahren ein dringendes Bedürfnis besteht und der Ausgang der Hauptsache deshalb nicht abgewartet werden kann. Das gilt nicht nur im Arbeitsrecht, sondern ganz allgemein im Zivilrecht.


Wer einen Anspruch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen will, hat auf der einen Seite also den Vorteil, dass er den Anspruch im Zweifel nicht beweisen, sondern nur glaubhaft machen muss. Er muss aber zusätzlich glaubhaft machen, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung seines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 Zivilprozessordnung - ZPO). Mit anderen Worten: neben einem Verfügungsanspruch benötigt der Antragsteller einen Verfügungsgrund, der in der Regel in der Eilbedürftigkeit der Sache besteht.

An eine Leistungsverfügung bestehen besondere Anforderungen

Besondere Anforderungen an den Verfügungsgrund bestehen, wenn nicht nur nicht nur eine vorläufige Regelungs- oder Sicherungsverfügung, sondern eine Leistungsverfügung begehrt wird. Eine solche zielt nämlich auf die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs und geht deshalb über eine vorläufige Regelung hinaus. Beispiel: wenn ein Beschäftigter seinen Urlaub im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt hat, muss der Arbeitgeber diesen gewähren. Damit handelt es sich aber nicht mehr um etwas Vorläufiges.


Von der Pflicht, den Verfügungsgrund glaubhaft zu machen gibt es indessen Ausnahmen, wenn das Gesetz selbst die Trauben für einen solchen Antrag nicht zu hoch hängt.


Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat einen Fall entschieden, in dem es um den Antrag eines gekündigten Beschäftigten ging, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzrechtstreites zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Es geht um den Anspruch auf Weiterbeschäftigung, wenn der Betriebsrat einer Kündigung widersprochen hat

Rechtsgrundlage ist § 102 Absatz 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Die Vorschrift bestimmt, dass der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen muss, wenn der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen und der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist.


Es geht um einen Senior Quality Engineer, der seit Oktober 2011 im Unternehmen beschäftigt ist. Er arbeitete von zu Hause aus. Zuletzt verdiente er monatlich ca. 6.500,00 Euro brutto. Am 11. März 2021 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Für den Senior Quality Engineer bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr. Der Betriebsrat hatte der Kündigung mit einer E-Mail mit Anhang widersprochen, weil der Beschäftigte an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden könnte.

Der Arbeitgeber akzeptiert den Widerspruch nicht, weil er nicht schriftlich erfolgt ist

Der Widerspruch des Betriebsrats war indessen nach Auffassung des Arbeitgebers nicht ordnungsgemäß, weil er entgegen § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht schriftlich erfolgt sei. Der Anhang der E-Mail vom 17. März 2021 erfülle nicht die Anforderungen der Textform gemäß § 126b BGB. Der Anhang enthalte den eigentlichen Widerspruch und lasse nicht die Person des Erklärenden erkennen. Die E-Mail der Betriebsratsvorsitzenden sei in diesem Zusammenhang unerheblich, weil sie nur den Übermittlungsweg, nicht aber das übermittelte Dokument selbst betreffe. Insbesondere aus diesem Grund hatte das Arbeitsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch abgewiesen.


Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts hatte der Senior Quality Engineer Berufung beim LAG eingelegt. Dieses sah zwar auch Probleme mit dem Verfügungsanspruch. Das Gericht war insbesondere aber auch der Auffassung, dass der Arbeitnehmer den Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe.

Die Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Wege des einstweiligen Verfahrens unterliegt den allgemeinen Voraussetzungen der Zivilprozessordnung

Der Anspruch richte sich nämlich nicht auf eine Regelungs- oder Sicherungsverfügung, sondern auf eine Leistungsverfügung. Die Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG im Wege des einstweiligen Verfahrens unterliege den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 935 und 940 ZPO. Das folge schon daraus, dass der Gesetzgeber in § 102 Abs. 5 BetrVG das einstweilige Verfahren für die Entbindung der Arbeitgeberin von der Beschäftigungspflicht ohne Weiteres eröffnet habe, in Bezug auf den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aber von einer entsprechenden Regelung abgesehen habe.


Im Hinblick auf die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers enthalte § 102 Abs. 5 BetrVG lediglich eine materiellrechtliche Regelung. Unter den dortigen Voraussetzungen werde ein auflösend bedingter gesetzlicher Weiterbeschäftigungsanspruch begründet, der vom Bestand des vertraglichen Arbeitsverhältnisses unabhängig sei. Der gesetzliche Weiterbeschäftigungsanspruch sei nicht anders zu behandeln als der vertragliche Beschäftigungsanspruch im laufenden Arbeitsverhältnis.

Der Arbeitnehmer hat im vorliegenden Fall den Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht

Der Zweck der Regelung werde durch das Erfordernis eines Verfügungsgrundes nicht konterkariert. Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Kündigung des Arbeitsverhältnisses solle die Reintegration des Arbeitnehmers in den Betrieb nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess erleichtern und damit im Erfolgsfall den Arbeitsplatz faktisch sichern. Sei hierzu die kurzfristige Weiterbeschäftigung erforderlich, bestehe ein Verfügungsgrund. Könne dagegen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zugewartet werden, ohne dass die Abwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb den Erhalt seines Arbeitsplatzes oder seiner Einsatzmöglichkeiten gefährde, bestehe kein Verfügungsgrund.


Der Arbeitnehmer habe keine Tatsachen vorgetragen, die die Eilbedürftigkeit seines Antrags begründen könnten. Allein der Umstand, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch für jeden Tag der Nichtbeschäftigung verloren gehe, reiche hierzu nicht aus. Es sei zu berücksichtigen, dass eine Leistungsverfügung angestrebt werde.

Eine Beschäftigung auf Grundlage einer einstweiligen Verfügung lässt sich nicht rückgängig machen

Wie auf der einen Seite ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung an jeden Tag der Nichtbeschäftigung für diesen Tag erlösche, ließe sich auf der anderen Seite eine Beschäftigung auf der Grundlage einer einstweiligen Verfügung nicht mehr rückgängig machen, wenn in der Hauptsache auf Grund des umfassenderen Prozessstoffs entschieden wird, dass kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bestehe. Es käme daher, aber auch im Hinblick auf den Zweck der Weiterbeschäftigung auf die Auswirkungen der Nichtbeschäftigung bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache an.Der Arbeitnehmer habe nicht glaubhaft gemacht, dass sein Beschäftigungsantrag dringlich sei. Der Antrag sei daher mangels eines Verfügungsgrundes unbegründet.

Hier geht es zur Entscheidung des LAG Baden-Württemberg:

Rechtliche Grundlagen

§ 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtsgrundlagen:

§ 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Mitbestimmung bei Kündigungen

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
1. der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2. die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3. der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5. eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
1. die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2. die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3. der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.
§ 935 Zivilprozessordnung (ZPO)
Einstweilige Verfügung bezüglich Streitgegenstand

Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.