Fast ein Gewinnspiel: Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren Abfindungspaket. Die schnellsten Bewerber erhalten einen gut dotierten Aufhebungsvertrag
Fast ein Gewinnspiel: Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren Abfindungspaket. Die schnellsten Bewerber erhalten einen gut dotierten Aufhebungsvertrag

Der Arbeitgeber wollte in großem Umfang Personal abbauen. Um seinen Beschäftigten den Abschluss von Aufhebungsverträgen schmackhaft zu machen, legte er ein sogenanntes »offenes Abfindungsprogramm« auf. Darin wurden Abbaukontingente für die verschiedenen Abteilungen festgelegt. Die dort Beschäftigten sollten sich per E-Mail an eine Koordinationsstelle wenden, wenn sie von dem Programm Gebrauch machen wollten.

Kläger ging beim Rennen um die Plätze leer aus

Sofern sich mehr Interessenten als freie Plätze in der jeweiligen Abteilung melden würden, würden nur die zeitlich früheren Meldungen berücksichtigt. Das Ganze hatte der Arbeitgeber mit seinem Konzernbetriebsrat in einer Betriebsvereinbarung so schriftlich vereinbart.

Aufgrund technischer Bedenken entschloss sich der Arbeitgeber, statt der Anmeldung per E-Mail eine Webseite einzurichten. Auf dieser konnten sich die Interessenten zu einem konkreten Stichtag um 13:00 Uhr anmelden. Die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats (KBR) teilte per E-Mail ihre Zustimmung zu dem geänderten Anmeldeverfahren mit. Die Betriebsvereinbarung wurde nicht abgeändert, es wurde auch nichts schriftlich fixiert.

Das Kontingent war aufgrund des hohen Interesses bereits um 13:02 Uhr erschöpft. Die Anmeldung des Klägers war vom System gar nicht erfasst worden. Nach mehreren erfolglosen Versuchen hatte er aufgegeben. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages und eine entsprechende Abfindung, wie sie im Interessenausgleich vorgesehen war.

Windhundprinzip zulässig

In einem Parallelverfahren hatte das LAG Düsseldorf bereits entschieden, dass ein solches Abfindungsprogramm nach dem Windhundprinzip grundsätzlich zulässig ist. Ein Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf einen Aufhebungsvertrag. Insofern sei ein Programm mit begrenzten Plätzen und Berücksichtigung nach dem zeitlichen Eingang der Anträge nicht zu beanstanden. Es dürfe lediglich keine willkürliche Schlechterstellung einzelner Beschäftigter geben.

Das hiesige Verfahren hatte einen anderen Schwerpunkt. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen war das Abfindungsprogramm fehlerhaft, weil der Arbeitgeber die Änderung des Anmeldeverfahrens nicht schriftlich mit dem Betriebsrat vereinbart hatte. Die E-Mail der Vorsitzenden des KBR sei nicht ausreichend. Eine Betriebsvereinbarung bedürfe der Schriftform. Das gelte auch für Änderungen der Betriebsvereinbarung. Nur die Kündigung sei formlos möglich.

Da die Änderung der Betriebsvereinbarung unwirksam war, wurde das Auswahlverfahren ohne ausreichende kollektivrechtliche Grundlage durchgeführt. Der Kläger in diesem Verfahren hatte jedoch trotz des fehlerhaft durchgeführten Auswahlverfahrens keinen Anspruch auf die Abfindung, entschied das LAG Niedersachsen. Der Arbeitnehmer habe die Anmeldung nicht bis zum Ende durchgeführt. Nach mehreren Versuchen hatte er aufgegeben. Insofern könne er nicht so behandelt werden, wie die Arbeitnehmer, denen die Anmeldung gelungen war.

Kein Schadensersatzanspruch

Auch ein Schadensersatzanspruch verneinte das LAG Niedersachsen. Ein solcher käme zwar grundsätzlich in Betracht, weil der Arbeitgeber von dem vereinbarten System abgewichen war.

Das Anmeldesystem hätte aber lediglich eine Chance auf eine Abfindungszahlung geschaffen. Es stand von vornherein fest, dass nur eine Auswahl der Interessenten berücksichtigt würde. Von daher hätte auch die fehlerfreie Anmeldung auf der Seite nicht automatisch zu einen Abfindungsanspruch geführt.

Das Abfindungsprogramm ist bereits anlässlich der früheren Gerichtsentscheidungen kritisiert worden. Insbesondere ist auch unglücklich, dass der Arbeitgeber die Namen all derer erfährt, die das Unternehmen zwar gerne verlassen würden, aber nicht konnten. Zumindest sollte es dann eine Vereinbarung in der Betriebsvereinbarung geben, wonach der Arbeitgeber diese Daten nach Beendigung des Programms löschen muss.
(Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 10/2017 vom 05.04.2017.)

Hier geht zur Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen zum Urteil vom 27.06.2016 – 11 Sa 1019/15

Rechtliche Grundlagen

§ 77 Abs. 2 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz - Durchführung gemeinsamer Beschlüsse, Betriebsvereinbarungen

Betriebsverfassungsgesetz
§ 77 Durchführung gemeinsamer Beschlüsse, Betriebsvereinbarungen

Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen; dies gilt nicht, soweit Betriebsvereinbarungen auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen. Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.