Die Erhebung sensibler Gesundheitsdaten im BEM unterliegt festgelegten Regeln. © Adobe Stock: Alexander Raths
Die Erhebung sensibler Gesundheitsdaten im BEM unterliegt festgelegten Regeln. © Adobe Stock: Alexander Raths

Der Kläger arbeitete seit acht Jahren bei der Beklagten als Mitarbeiter in der Logistikbranche. Wegen längerer Fehlzeiten in der Vergangenheit hatte der Arbeitgeber erhebliche Entgeltfortzahlungskosten aufzubringen.

 

Der Kläger erhielt vier Einladungen zum BEM

 

Im Juli 2017 lud die Beklagte den Kläger erstmals zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) ein, erhielt hierauf jedoch keine Rückantwort. Weitere Einladungen erfolgten im März 2018, im April 2021 und im September 2021. Dem Einladungsschreiben vom September 2021 will die Beklagte ein Informationsblatt beigefügt haben. Nachweisen ließ sich das nicht.

 

Laut diesem Informationsblatt soll der Kläger darauf hingewiesen worden sein, dass der Arbeitgeber die zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen personenbezogenen Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen erheben, dokumentieren und verarbeiten werde. Eine Weitergabe an Dritte erfolge nur mit seiner ausdrücklichen Zustimmung. Diese Zustimmung könne er jederzeit widerrufen.

 

Außerdem hieß es in der Mitteilung, die Mitarbeiter des Betrieblichen Integrationsteams und alle weiteren, einbezogenen Personen unterlägen der Schweigepflicht. Die Dokumentation des Betrieblichen Eingliederungsmanagements wahre die Beklagte getrennt von der Personalakte auf. Hierauf hätten nur die Mitglieder des Integrationsteams Zugriff.

 

Die Beklagte verwies auf ein Rückantwortformular

 

Dem Informationsblatt war nach Behauptungen der Beklagten eine Rückantwort beigefügt, mit welcher der Kläger ihr bestätigen sollte, ihn über Inhalt und Zweck des BEM informiert zu haben und er das Informationsschreiben erhalten habe. Ihm sei bekannt, dass für die erfolgreiche Durchführung eines BEM möglicherweise weitere Personen und Institutionen eingebunden werden müssten. Er sei mit dem Austausch der Informationen untereinander einverstanden. Im Übrigen sei ihm bekannt, dass ohne seine Einwilligung keine personenbezogenen Daten, die Rückschlüsse auf seine Person zuließen, an Dritte weitergeleitet würden.

 

Der Kläger meldete sich nicht

 

Zur Durchführung eines BEM kam es nicht. Der Kläger hatte sämtliche Einladungsschreiben nicht beantwortet. Die Beklagte sprach daraufhin eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

 

Die vom Rechtsschutzbüro Braunschweig hiergegen beim örtlichen Arbeitsgericht erhobene Kündigungsschutzklage war erfolgreich.

 

Die Kündigung sei nicht durch Gründe, die in der Person des Klägers liegen, bedingt und daher sozial ungerechtfertigt, heißt es in der dortigen Entscheidung. Zwar liege beim Kläger eine negative Gesundheitsprognose vor, die bei der Beklagten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen geführt habe.

 

Die Kündigung sei aber unverhältnismäßig, obwohl die Beklagte zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen habe. Der Kläger sei nämlich über die Datenverwendung nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden – unabhängig davon, ob er das Einladungsschreiben tatsächlich erhalten habe.

 

Die nicht hinreichende Unterrichtung zum Datenschutz könne dazu führen, eine*n Arbeitnehmer*in von einer freiwilligen Teilnahme am Betrieblichen Eingliederungsmanagement Abstand nehmen zu lassen.

 

Das Berufungsverfahren endete nicht anders

 

Die Beklagte war mit diesem Urteil nicht einverstanden und beschritt den Weg zum Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Auch dort obsiegte der Kläger, nun mit Unterstützung der Jurist*innen des Rechtsschutzbüros Wolfsburg.

 

Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX sei die betroffene Person vor dem BEM auf dessen Ziele sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen, so das Landesarbeitsgericht.

 

Der Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung müsse klarstellen, dass nur solche Daten erhoben würden, deren Kenntnis erforderlich sei, um ein zielführendes, der Gesundung und der Gesunderhaltung dienendes BEM durchführen zu können.

 

Dies gelte insbesondere für Krankheitsdaten als sensible Daten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung. Nur bei entsprechender Unterrichtung könne vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein.

 

Der Hinweis auf die Einwilligung genügt nicht

 

Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass nach dem Informationsblatt sämtliche zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen personenbezogenen Daten nur mit der Einwilligung des Mitarbeiters erhoben, dokumentiert und verarbeitet werden dürften und dass nach dem beigefügten Antwortschreiben ohne Einwilligung des Mitarbeiters keine personenbezogenen Daten (z.B. Name, Geburtsdatum, Adresse, gesundheitliche Verhältnisse) oder sonstige Angaben, welche Rückschlüsse auf die Person zulassen, an Dritte weitergeleitet werden dürften.

 

Dem*der Arbeitnehmer*in müsse vor Augen geführt werden, welche personenbezogenen Daten im Falle einer Einwilligung von der Verarbeitung zu welchem Zweck erfasst sind – und zwar vor der Einwilligung.

 

Die Kündigung sei unter Berücksichtigung dessen, dass kein regelkonformes BEM stattgefunden habe, unverhältnismäßig.

 

Mehr zum BEM lesen Sie hier:

 

Keine krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches Eingliederungsmanagement

 

Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 167 Abs. 2 SGB IX

(1) …
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen. Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) …