Die Willkür mancher Arbeitgeber lässt sich an dem Fall aus dem DGB Rechtsschutz Büro Heilbronn gut nachzeichnen. Nachdem im Herbst 2019 die Kündigung eines Mitarbeiters vor Gericht verhindert wurde, brauchte es nur ein paar Monate Corona-Pandemie, um einen neuen Kündigungsgrund zu finden. Doch den Zahn konnte der gewerkschaftliche Rechtsschutz dem Arbeitgeber ziehen.

 

Doch von Beginn an:

Der betroffene Mitarbeiter, Fachkraft für Lager und Logistik, begann bei dem Unternehmen seine Arbeitslaufbahn. Zunächst als Auszubildender und Leiharbeiter beschäftigt, erhielt er 2016 einen Vollzeitvertrag. Selbst die weitere Qualifizierung war gut geregelt, indem er eine Ausbildung zum Flurförderzeugführer absolvierte. Warum also bereits im Ende 2019 die Kündigung ausgesprochen wurde, bleibt reine Spekulation.

In der Pandemie gehen anfangs die Aufträge zurück

Mit der wirtschaftlichen Lage durch die Corona-Pandemie unternahm der Arbeitgeber einen weiteren Versuch. Unbestritten brachen bei ihm zunächst die Aufträge ein. Deshalb vereinbarte er im August 2020 mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich und Sozialplan, um Personal abzubauen.

 

So sollten drei der zehn Arbeitsplätze im Bereich Logistik/Versand entfallen. Der Sozialplan sah Abfindungen und den Übergang in eine Transfergesellschaft vor. Dies nahm der damals 38-Jährige jedoch nicht an. Prompt wurde ihm weniger als einen Monat später gekündigt, mit der Begründung, der Auftragsrückgang sei dramatisch.

Neugliederung der Logistik ist unabhängig von Corona

Das Problem dabei: Die Firma, die mit Veranstaltungszelten ihr Geld verdient, hatte bereits ab Herbst 2020 zahlreiche neue Aufträge, um beispielsweise mobile Impfzentren aufzubauen. Von einem vollständigen Einbruch des Geschäftsmodells konnte demnach keine Rede sein. Vielmehr lies der Arbeitgeber vor Gericht seine wahren Absichten durchblicken: Rationalisierung bzw. „Layout-Optimierung“, wie er es nannte.

 

In diesem Zusammenhang schien der Firma die Arbeitskraft des Logistik-Mitarbeiters nicht flexibel genug. Durch die Zerschlagung der Abteilung sollten die Arbeiten auf weniger Schultern aufgeteilt werden. Mit dem scheinheiligen Argument, der Betroffene sei nicht „versiert“ genug und seine Tätigkeiten würden künftig von spezialisierten Beschäftigten übernommen, begründet der Arbeitgeber seine ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung. Der Arbeitsplatz des Logistik-Mitarbeiters sei weggefallen.

Kündigungsschutz ist Gesetz

Das sah der Beschäftigte jedoch anders und wand sich an den gewerkschaftlichen Rechtsschutz. Nahezu alle auch künftig anfallenden Tätigkeiten könne er erfüllen. Vielmehr hatte die Neugliederung seiner Abteilung nichts mit der Corona-Pandemie zu tun und somit wäre der Arbeitgeber in der Pflicht, ihm auch nach der Umstrukturierung entsprechende Tätigkeiten zuzuweisen. Selbst im Arbeitsvertrag war das festgehalten. Der Beschäftigte verpflichtete sich danach, auch andere zumutbare Arbeiten zu übernehmen, sogar in einer anderen Arbeitsgruppe oder Betriebsstätte.

 

Das Gericht bestätigte die Auffassung des Mitarbeiters und betonte: „Wenn die Tätigkeiten umverteilt werden und der Arbeitgeber mit einer geringeren Personaldecke die vorhandene Arbeit durchführen will, so ist dies keine Frage des Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs, sondern der Sozialauswahl.“ Und hierbei hatte es sich der Arbeitgeber zu einfach gemacht.

Sozialauswahl ist fehlerhaft

Wegen der Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag hätte eine horizontale Sozialauswahl stattfinden müssen. Für diese müssen alle vergleichbaren Beschäftigten im Betrieb herangezogen werden. Der Arbeitgeber hatte hingegen lediglich die unmittelbaren Arbeitskolleg*innen aus dem Versand-/Logistikbereich betrachtet.

 

Nachdem vor Gericht die insofern vergleichbaren Beschäftigten in den Blick genommen worden waren, konnte mindestens ein Kollege identifiziert werden, der weniger schutzwürdig war, da er erst drei Jahre nach dem Kläger eingestellt worden war. Während der Arbeitgeber noch mit einer besseren Routine in der Bedienung der Verwaltungssoftware argumentierte, machten die Richter*innen klar: Der vergleichbare Kollege war erst seit einem Jahr im Betrieb beschäftigt und hätte somit eher betriebsbedingt gekündigt werden müssen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 20. April 2021 - 5 Ca 276/20 hier zum Download

Hier weiterlesen:

Sozialauswahl gilt auch in der Insolvenz 

Sozialauswahl: Wertungsspielraum des Arbeitgebers? 

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.