Es handelt sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation der Berührung kommt es nicht an. Der Griff in den Genitalbereich eines Kollegen rechtfertigt eine Kündigung. Das gilt auch, wenn der Übergriff nicht vordergründig sexuell motiviert ist.

Hinterhältiger Angriff in den Genitalbereich eines Kollegen führt zur Kündigung

Am 22.10.2014 war der Kläger zusammen mit zwei im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmern bei der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen tätig. Einer der Fremdfirmenmitarbeiter meldete zwei Tage später seinem Vorarbeiter, der Kläger habe ihn von hinten schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen und anschließend darüber Bemerkungen gemacht.

Die Beklagte hörte die Fremdfirmenmitarbeiter und den Kläger zu dem Vorwurf an. Der Kläger bestritt ein Fehlverhalten. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst fristlos und später nochmal vorsorglich ordentlich zum 30.06.2015.

Dem Betriebsrat hatte sie unter anderem mitgeteilt, dass eine vorsorgliche Untersuchung des Fremdfirmenmitarbeiters im Krankenhaus stattgefunden habe.

Kläger erhebt Klage gegen außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung

Gegen beide Kündigungen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er habe den Mitarbeiter der Fremdfirma lediglich unabsichtlich am Hinterteil berührt.

Im Übrigen rechtfertige selbst das ihm vorgeworfene Verhalten keine Kündigung. Auch einen Arbeitnehmer, der im Jahre 2000 einem Kollegen schmerzhaft in den Genitalbereich gegriffen habe, habe die Beklagte nicht gekündigt.

Die Anhörung des Betriebsrats sei unvollständig, da diesem nicht das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus mitgeteilt worden sei.

Beklagte: Körperliche und sexuelle Belästigung begründen Kündigung

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie begründete dies damit, dass der Kläger den Fremdfirmenmitarbeiter sowohl körperlich als auch verbal sexuell belästigt habe. Es handele sich hierbei um ein schweres Fehlverhalten, welches die außerordentliche, jedenfalls aber die ordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe sein Verhalten gegenüber dem Werkschutz auch zunächst eingeräumt, aber zu verharmlosen versucht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat ihr stattgegeben. Gegen das Urteil war die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zuzulassen.

Eine gegen die Nichtzulassung gerichtete Beschwerde der Beklagten war erfolgreich. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Revision begründet - Zurückweisung an das Landesarbeitsgerich

Das BAG hielt die Revision der Beklagten für begründet. Die Richter*innen des 2.Senats werteten den Angriff des Klägers auf einen Leiharbeitnehmer als Eingriff in die körperliche Intimsphäre. Auf eine sexuelle Motivation sei es bei der Entscheidungsfindung nicht angekommen.

Da die Entscheidung des LAG auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB beruhe, führte dies zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Bremer LAG.

Dies deshalb, da der Senat die erforderliche Interessenabwägung nicht selbst abschließend vornehmen konnte. Dafür bedürfe es weiterer Feststellungen und einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung durch das Berufungsgericht.

Ob die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.11.2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht somit noch nicht fest.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.06.2017, Az: 2 AZR 302/16

Das sagen wir dazu:

Dass es sich bei der „Attacke“ des Klägers um eine recht üble handelte, dürfte wohl kaum zu bestreiten sein. Grundsätzlich ist ein solches Vorgehen sicherlich geeignet eine Kündigung zu begründen. Ob dies auch in der vom BAG nun entschiedenen Sache der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. 

 

Da die Sache an das LAG zurückverwiesen wurde, wird dieses, unter Beachtung der den Klägers eventuell entlastenden Gründe, erneut darüber zu entscheiden haben, ob die dem Kläger gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung begründet ist. 

 

Wird deren Begründetheit bestätigt, erledigt sich eine Entscheidung über die hilfsweise ordentliche Kündigung. Kommt das LAG zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist, wird noch über die im Raum stehende ordentliche Kündigung zu entscheiden sein. Über den weiteren Verlauf des Verfahrens werden wir berichten.

 

Unabhängig vom Ausgang der nunmehr wieder beim Bremer LAG anhängigen Sache ist zu beachten, dass das BAG durch seine Entscheidung klargestellt hat, dass es bei einem Eingriff in die körperliche Intimsphäre nicht auf eine sexuelle Motivation ankommt. Ein solches Vorgehen kann grundsätzlich eine Kündigung begründen.

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Abs. 4 AGG, § 626 BGB und § 72a ArbGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 3 Begriffsbestimmungen
(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.


Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.


Arbeitsgerichtsgesetz
§ 72a Nichtzulassungsbeschwerde
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:
1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit,
2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder
3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.

(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.