Das Kehrfahrzeug kann der Kläger nicht mehr fahren, aber was ist mit anderen, leidensgerechten Tätigkeiten bei der Stadt?
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Das Kehrfahrzeug kann der Kläger nicht mehr fahren, aber was ist mit anderen, leidensgerechten Tätigkeiten bei der Stadt? © Adobe Stock - Von dieter76

In vielen Tarifverträgen gibt es Regelungen zum Kündigungsschutz. Ältere Beschäftigte mit einem langjährigen Arbeitsverhältnis - meist ist die Dauer mit mindestens 10 oder 15 Jahren bestimmt - dürfen nicht mehr normal, juristisch heißt das ordentlich, gekündigt werden. Beim Alter schwankt die Grenze in den Tarifverträgen zwischen 40 und 55 Jahren. Fristlose Kündigungen sind weiterhin möglich, erfordern jeweils einen wichtigen Grund, z.B. krasses Fehlverhalten. Neumann ist einfach nur seit fast zwei Jahren krank.

 

Im öffentlichen Dienst müssen Beschäftigte über 40 Jahre sein und mehr als 15 Jahre angestellt, um einen solchen Kündigungsschutz zu haben (§ 34 Abs. 2 TVöD). Neumann fällt unter den tariflichen Kündigungsschutz.

 

Die Stadt wählt ein besonderes Konstrukt. Sie spricht eine außerordentliche Kündigung aus, aber unter Einhaltung der Kündigungsfrist.

 

Krankheit als wichtiger Grund?

 

Für eine fristlose oder außerordentliche Kündigung muss es gem. § 626 BGB einen wichtigen Grund geben. Kann Krankheit ein wichtiger Grund sein? In eng begrenzten Fällen hat die Rechtsprechung dies für möglich gehalten. Die Voraussetzungen sind aber strenger als bei anderen krankheitsbedingten Kündigungen. Neumann ist über zwei Jahre krank und die Rentenversicherung hat zuletzt noch eine Reha genehmigt, aus der er ebenfalls arbeitsunfähig entlassen wurde. Eine Reha wird nur bewilligt, wenn die Erwerbsfähigkeit gefährdet ist, aber auch nur dann, wenn von einer Besserungsmöglichkeit ausgegangen wird.

 

Prüfungsmaßstab einer Kündigung wegen Krankheit

 

Es muss erstens eine negative Zukunftsprognose vorliegen. Das heißt, es müssen objektive Tatsachen bestehen, die die Besorgnis weiterer längerer Erkrankungen rechtfertigen. Zweitens müssen betriebliche Interessen beeinträchtigt werden. Und drittens muss die immer vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausgehen. Bei dem hier anzulegenden strengeren Maßstab muss der Leistungsaustausch schwer gestört sein und diese Störung darf dem Arbeitgeber dann nicht auf Dauer zumutbar sein.

 

Negative Prognose unterstellt

 

Neumann kann die bisherige Tätigkeit nicht mehr leisten. Im Klageverfahren hat er diverse Arbeitsplätze benannt, die er gesundheitlich ausüben könnte. Die Stadt hat dürftig dazu vorgetragen, obwohl ihr teilweise gesundheitliche Unterlagen vorlagen, zuletzt der Abschluss des Reha Berichts, wonach die bisherigen Straßenreinigungstätigkeiten nicht mehr möglich war, aber andere leidensgerechte Tätigkeiten. Weil es letztlich nicht drauf ankam, hat das Gericht die negative Prognose unterstellt.

 

Milderes Mittel

 

Die Kündigung ist bei manchen Arbeitsverhältnissen fast reflexmäßig das Mittel der Wahl bei jedem Unmut. Eine Kündigung ist aber nur dann sozial gerechtfertigt, wenn nach dem immer anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mildere Mittel ausgeschöpft sind oder nicht in Betracht kommen. So ist eine Kündigung unverhältnismäßig, wenn durch eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz künftige Fehlzeiten vermieden werden können.

 

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt

 

Das Arbeitsgericht Aachen sieht die Kündigung hier als nicht verhältnismäßig an. Neumann hat diverse Arbeitsplätze konkret benannt auf denen er leidensgerecht hätte beschäftigt werden können. Auch die Stadt räumte das Vorhandensein von wenigen Schonarbeitsplätzen ein, hat aber nur pauschal behauptet, diese seien besetzt und äußerte sich auch nicht detailliert zu den von Neumann genannten Arbeitsplätzen.

 

BEM – Betriebliches Eingliederungsmanagement


Immer wenn lange Krankheitszeiten vorliegen ist vom Arbeitgeber ein BEM anzubieten (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Der Gesetzgeber hat das BEM als offenen Suchprozess ausgestattet, mit dem angepasste individuelle Lösungen zur Vermeidung von weiteren Fehlzeiten entwickelt werden sollten. Ein BEM ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung einer Kündigung und selbst auch kein milderes Mittel. Die Norm konkretisiert jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines BEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

 

Beispiel aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts:

BAG, Urteil vom 13.05.2015, 2 AZR 565/14

 

BEM wurde nur angefangen

 

Die Stadt hat hier vor längerer Zeit ein BEM begonnen. Neumann hat dem zugestimmt und an den anberaumten zwei Gespräche teilgenommen. Dann sollte sich aber bis nach der von Neumann absolvierten Reha vertagt werden. Mehr wurde von der Stadt nicht vorgetragen.

 

Es hätte ihr auch nicht geholfen, sich auf die Nutzlosigkeit eines BEM im Falle von Neumann zu berufen. Die Darlegungs-und Beweislast für diese objektive Nutzlosigkeit trägt die Stadt. Sie müsste eine Menge darlegen können, nämlich, dass und warum nicht eine leidensgerechte Anpassung oder Veränderung des Arbeitsplatzes oder der Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz möglich war, und, dass künftige Fehlzeiten auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder durch Reha-Träger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Sie muss sich also vorwerfen lassen, dass sie so mildere Mittel nicht erkennen und entwickeln konnte. Auch, weil der Reha-Bericht andere Tätigkeiten für möglich hielt. Damit hat sie nicht alle zumutbare Mittel eingesetzt um eine Weiterbeschäftigung zu erreichen.

 

So scheiterte die Kündigung an der Verhältnismäßigkeit. Neumanns Kündigungsschutzklage wurde stattgegeben.

 

Das sagen wir dazu:

Ein fehlendes BEM oder ein nicht ordnungsgemäßes BEM führen häufig dazu, dass die Langzeiterkrankten die Kündigungsschutzklagen gewinnen und zunächst das Arbeitsverhältnis gerettet wird.  Der Gewinn des Prozesses trägt aber häufig keine Früchte.

Neumann ist im Dilemma. Lässt er sich für einen geeigneten Arbeitsplatz gesundschreiben und der Arbeitgeber behauptet, keinen solchen Arbeitsplatz zu haben, würde er für die Prozessdauer das wirtschaftliche Risiko tragen, ohne Lohn und ohne Krankengeld dazustehen. Allenfalls, wenn das Krankengeld schon ausgeschöpft ist, und Neumann sich bereits im Arbeitslosengeldbezug befindet, wäre ein solches Verfahren möglich.