Arbeitsgericht versucht höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 626 BGB zu kippen. Copyright by Adobe Stock/N. Theiss
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Erleichterte Einführung von Kurzarbeit während der Corona-Pandemie

Für Arbeitgeber besteht die Möglichkeit Kurzarbeit zu beantragen, wenn mindestens zehn Prozent eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung einen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall von mindestens 10 Prozent haben. Diese Voraussetzung wurden durch den Gesetzgeber zum 1. März 2020 geschaffen, um während der Corona-Pandemie die Einführung von Kurzarbeit zu erleichtern.
 

Einführung von Kurzarbeit setzt vertragliche Vereinbarungen voraus

Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, kann der Arbeitgeber Kurzarbeit einführen. Dies gilt aber nur dann, wenn die Einführung von Kurzarbeit in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag geregelt ist.
 

Keine vertragliche/einvernehmliche Kurzarbeit-Regelung, was dann?

Bestehen keine solche Regelungen, kann der Arbeitgeber nur Kurzarbeit einzuführen, wenn er mit dem Arbeitnehmer eine einvernehmliche Vereinbarung darüber erzielt, Kurzarbeit einführen zu können.
Verweigert der Arbeitnehmer seine Zustimmung, kann der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen. Da hierbei aber die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten ist und strenge Anforderungen an den Kündigungsgrund gegeben sind, erschien den Arbeitgebern dieser Weg bisher wenig praktikabel und es wurde, soweit ersichtlich, von dem Ausspruch von Änderungskündigungen abgesehen.
 

Arbeitnehmerin verweigert Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit

Die seit 2011 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin ist als Personaldisponentin gegen ein vereinbartes monatliches Gehalt von zuletzt € 3.500,00 brutto tätig. Neben der Klägerin sind noch weitere drei Personaldisponenten bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin war sowohl für den kaufmännischen und medizinischen Bereich als auch für den Bereich Soziales und Pflege zuständig. Zuletzt war sie jedoch nahezu ausschließlich im Bereich Soziales und Pflege tätig und insbesondere mit der Einsatzplanung sowie mit der Abstimmung mit Kindergärten und Kindertagesstätten betraut.
Mitte März 2020 kam es zu einer vorübergehenden Schließung der Kindergärten und Kindertagesstätten. Seit dem 6.4.2020 bis 5.8.2020 war die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig gewesen.
Am 9.4.2020 telefonierte die Geschäftsführerin der Beklagten mit der Klägerin und bat sie um Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit. Dies lehnte die Klägerin ab.
Die Beklagte, die eine Leiharbeitsfirma betreibt, hat am 2.4.2020 bei der Bundesagentur für Arbeit - Agentur Stuttgart - einen Arbeitsausfall in ihrem Betrieb angezeigt. Begründet wurde der Arbeitsausfall mit der Schließung von Schulen und Kindergärten bedingt durch die Corona Krise sowie der Abmeldung ihrer Zeitarbeitskräfte. Mit Schreiben vom 14.4.2020 hat die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass „aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind“. Kurzarbeitergeld wurde ab 1.4.2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis 31.12.2020 bewilligt.


Arbeitgeber erklärt fristlose Änderungskündigung

Da die Klägerin ihr Einverständnis verweigerte der Kurzarbeit zuzustimmen, sprach die Beklagte ihr unter Datum vom 22.4.2020 eine fristlose sowie hilfsweise ordentliche Änderungskündigung  aus. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Klage beim Arbeitsgericht Stuttgart.
 

Kritikwürdige Entscheidung des Stuttgarter Arbeitsgerichts   

Mit seiner Entscheidung vom 22.10.2020 unternahm die 11. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart, sicherlich zur Freude nicht tarifgebundener und betriebsratsloser Firmen, den Versuch, geltendes Recht auszuhebeln. Denn das erstinstanzliche Gericht kam zu dem Ergebnis, dass Kurzarbeit durch eine  außerordentliche und fristlose Änderungskündigung wirksam angeordnet werden könne.
 
Die im vorliegenden Fall zur Entscheidung angestandene und für rechtswirksam erklärte fristlose Änderungskündigung begründete das Gericht in seinem Urteil damit, dass die Einführung von Kurzarbeit wirksam angeordnet werden könne  - und zwar nicht erst unter den engen Voraussetzungen der unabwendbaren Verluste plus Sanierungsplan. Denn, so das Gericht, den Arbeitgebern sei die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist bei Einführung von Kurzarbeit nicht zumutbar.
 

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unbeachtlich

Die als gefestigt anzusehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach eine reine Entgeltreduzierung möglich sei, wenn sich eine drohende Insolvenz des Arbeitgebers abzeichne, hielten die Stuttgarter Richter für unbeachtlich.
Begründet wurde diese seltsam anmutende Entscheidung damit, dass eine Änderungskündigung bei Kurzarbeit gerade nicht in das gegenseitige Leistungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber eingreife. Denn Gehalt und Arbeitspflicht würden gleichermaßen reduziert, und die Kurzarbeit sei ja, im Gegensatz zur reinen Entgeltreduzierung, nicht auf Dauer angelegt.
 
Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung der 11. Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart durch das Rechtsmittel der Berufung auf den Prüfstand gestellt wird.
Über den weiteren Verlauf der Sache werden wir berichten

 

Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom22.10.2020

Das sagen wir dazu:

Urteilsbegründung stützt sich auf die Rechtsauffassung zweier Anwälte

Wenn man sich mit der Begründung des Urteils befasst, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass bei der Urteilsbegründung zwei nicht unbekannte und der Arbeitgeberseite nicht ferne stehende Anwälte einer bundesweit tätigen Großkanzlei das Gericht dazu verleiteten, zu der mehr als fragwürdigen Entscheidung zu kommen. Denn das Gericht verweist wiederholt auf die Kommentatoren Bauer/Günther, um die Möglichkeit einer fristlosen, außerordentlichen Kündigung gem.§ 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), zur Einführung von Kurzarbeit zu begründen.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Bei halbwegs nüchterner Betrachtung ist zu dem Ergebnis zu kommen, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer der Einführung von Kurzarbeit seine Zustimmung verweigert, sich hieraus mitnichten ein Grund ergeben kann, der eine außerordentliche fristlose (Änderungs)Kündigung rechtfertigt. Denn ein Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis keine Regeln Anwendung finden, aus der sich für den Arbeitgeber die Möglichkeit ergibt Kurzarbeit anzuordnen, hat sich schlichtweg vertragsgemäß verhalten, wenn er sein Einvernehmen zur Einführung ihn betreffender Kurzarbeit verweigert.