Der Kläger war Mitarbeiter eines Logistikunternehmens. Er war mit seiner damaligen Verlobten, ebenfalls bei dem Unternehmen beschäftigt, auf dem Weg zur Arbeit in Streit geraten. Die Auseinandersetzung setzte sich auf dem Firmenparkplatz fort.

Der Streit gipfelte darin, dass der Mitarbeiter seiner Verlobten und Kollegin einen Stoß versetzte, wodurch sie auf die Motorhaube eines Pkw fiel. Weitere Einzelheiten zum Ablauf des Streits waren zwischen den beiden streitig. 

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. Januar 2014 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Zuvor hatte sie den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört, dieser hatte der Kündigung widersprochen.

Arbeitsgericht bestätigt Rauswurf

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters abgewiesen. Begründung: Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Kläger seine Verlobte und Kollegin tätlich angegriffen habe. Ein tätlicher Angriff unter Arbeitskollegen zähle zu den an sich geeigneten außerordentlichen Kündigungsgründen – unabhängig davon, wer die Auseinandersetzung angezettelt habe. Die Interessenabwägung gehe trotz der Unterhaltspflichten des entlassenen Mitarbeiters und seinem Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes wegen dieser schuldhaften Pflichtverletzung zu seinen Lasten aus. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. 

Landesarbeitsgericht kippt fristlose Kündigung

Das LAG hat der Berufung des Mitarbeiters teilweise stattgegeben. Die Kündigung vom 20. Januar 2014 habe das Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich mit sofortiger Wirkung, sondern nur unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist (bis 28. Februar 2014) beendet. Es fehle ein außerordentlicher Kündigungsgrund nach § 626 Abs. 1 BGB so das LAG. 

Zwar seien – wie auch das Arbeitsgericht erkannt hat – Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden. Auch das LAG sah das Verhalten des Mitarbeiters nicht als Abwehrreaktion auf einen (von ihm suggerierten) Angriff der Verlobten an. Deshalb war auch keine Abmahnung erforderlich. Denn der Mitarbeiter habe gegenüber »einer ihm nahe stehenden Person wie seiner Lebensgefährtin Grenzen überschritten«, weshalb auch eine Abmahnung die Wiederholung eines vergleichbaren Vorfalls gegenüber Kollegen nicht dauerhaft verhindert hätte. 

Arbeitsgerichtliche Interessenabwägung war zu beanstanden

Nach Auffassung des LAG scheiterte die fristlose Kündigung allerdings an der Interessenabwägung: man müsse »in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand« abwägen. Dazu müssen vier Kriterien in die Betrachtung einfließen: 

  1. das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, 
  2. der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, 
  3. eine mögliche Wiederholungsgefahr und
  4. die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

Weiterbeschäftigung war zumutbar

Diese Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergab aus Sicht des LAG, dass der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten war. Die ordentliche Kündigung war das mildere Mittel zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch wenn zugunsten der Arbeitgeberin »ihre Verpflichtung zum Schutz ihrer Mitarbeiter, ihr potentieller Ansehensverlust und die Auswirkungen auf den betrieblichen Ablauf« sowie das Aggressionspotential des Klägers zu berücksichtigen waren, spreche für den Mitarbeiter, dass die Auswirkungen der Tat nicht besonders schwerwiegend waren. Weiterhin sprach für den Mann, dass der Streit keine beruflichen, sondern private Hintergründe hatte. Auch die Unterhaltspflichten gegenüber seinen drei Kindern wertete das LAG zugunsten des Mitarbeiters. 

Aus diesen Gründen sei die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig gewesen. 

Folgen für die Praxis

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Körperliche Auseinandersetzung ist an sich wichtiger Grund

Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen, wozu auch grobe Beleidigungen gehören, stellen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen wichtigen Grund zur Kündigung dar. Es handelt sich um eine schwerwiegende Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht. 

Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird. Es kommt dabei nicht auf Schadensersatzansprüche der Kollegen untereinander an.

Abmahnung ist nicht zwingend erforderlich

Dazu bedarf es auch grundsätzlich keiner Abmahnung. Der Arbeitnehmer muss wissen, dass ein Arbeitgeber ein derartiges Verhalten missbilligt. 

Die Frage, ob Arbeitgeber und Mitarbeitern die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, muss in jedem Einzelfall durch eine Interessenabwägung geklärt werden. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.

Als milderes Mittel zu einer fristlosen Kündigung kommt eine ordentliche Kündigung in Betracht, nicht eine Abmahnung. Es darf insoweit auf die soeben erfolgten Ausführungen verwiesen werden.

Angriff rechtfertigt ordentliche Kündigung

Die Interessenabwägung ging im vorliegenden Fall dahingehend aus, das die ordentliche Kündigung gerechtfertigt war. Jeder Mensch muss den anderen achten. Verbale Attacken in beleidigender Form oder gar körperliche Gewalt können und dürfen nicht toleriert werden. 

Ein solches Aggressionspotential muss gegen den Schutz der Mitarbeiter, dem Ansehensverlust des Unternehmens bei den Kunden und den Auswirkungen auf den betrieblichen Ablauf abgewogen werden. Dies muss auch so sein. Die Entscheidung ist daher, obwohl sie gegen den Arbeitnehmer gerichtet ist, nicht zu beanstanden.


Das Urtei des  Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14.07.2015, Aktenzeichen: 6 Sa 22/15 hier im Volltext