Bei seiner Prüfung, ob eine Verdachtskündigung gerechtfertigt ist, ist das Arbeitsgericht nicht an die Feststellungen im Strafurteil gebunden, sondern kann den Sachverhalt auch in Hinblick auf die strafbare Handlung eigenständig bewerten.

 

Der Fall

 

Die Klägerin war seit 2001 beim Ostseebad B. beschäftigt, 2011 ging ihr Arbeitsverhältnis auf das beklagte Amt über. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet der TVöD-V (VKA) Anwendung. Sie ist in die Entgeltgruppe 11 eingruppiert, ihre durchschnittliche monatliche Vergütung betrug zuletzt 3.900 EUR.

Der Ehemann der Klägerin betrieb eine private Arbeitsvermittlung. Am 18.04.2008 schloss die Gemeinde B. mit dem Zeugen A. einen vom 01.05.2008 bis zum 31.10.2008 befristeten Arbeitsvertrag. Auf einem Formular bescheinigte die Klägerin wahrheitswidrig, dass das Arbeitsverhältnis durch Vermittlung ihres Ehegatten zustande gekommen sei. Dafür erhielt der Ehemann eine Vermittlungsgebühr in Höhe von 1000 EUR von der Arbeitsagentur.

Mit Urteil vom 09.08.2011 (Aktenzeichen 4 Ls 17/11) hat das Amtsgericht Wismar die Klägerin und ihren Ehemann wegen »gemeinschaftlichen Betruges« verurteilt, die Klägerin erhielt eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen. Das Ostseebad B hatte der Arbeitnehmerin bereits nach Bekanntwerden des Sachverhalts bereits zum 30.07.2009 außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt.

Allerdings hatte das Arbeitsgericht Schwerin diese Kündigung aus formellen Gründen für nicht rechtswirksam erachtet, ohne die Kündigungsgründe weiter zu prüfen. Die Gemeinde B. nahm später die Berufung gegen dieses Urteil zurück und setzte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fort.
Nach Übergang des Arbeitsverhältnisses kündigte das nunmehr beklagte Amt das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 26.09.2011, da das Vertrauensverhältnis durch die »Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Betruges« massiv gestört sei, mit Wirkung zum 31.03.2012.

Das ArbG Schwerin sah diese Kündigung als gerechtfertigt an (Aktenzeichen 5 Ca 1762/11). Der für eine Verdachtskündigung erforderliche Verdacht sei durch Strafurteil des Amtsgerichts Wismar gegeben. Dagegen wehrte sich die Klägerin mit der Berufung.

 

Die Entscheidung

 

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gab der Klägerin recht. Dass die Klägerin vom Amtsgericht Wismar wegen »gemeinschaftlichen Betrugs« verurteilt wurde sei unerheblich, entschied das LAG. Die Beurteilung in einem Strafverfahren sei für die Arbeits- und Zivilgerichtsbarkeit nicht bindend (BAG, Urteil vom 20.08.1997, Aktenzeichen 2 AZR 620/96 m.w.N.).

Eine Verdachtskündigung verlange einen dringenden Verdacht, der hinsichtlich der Klägerin nicht vorliegen, weil:

 

Keine Anzeichen für eine Straftat

 

Trotz der Unterzeichnung bestehen nach Auffassung des LAG jedoch keine ausreichenden Indizien für eine Beteiligung der Klägerin an der Straftat. Im Strafverfahren habe der Ehemann der Klägerin erklärt, er habe vom Einstellungsvorgang A. am 09.04.2008 durch seine Ehefrau erfahren.

 

Beteiligung der Klägerin ist nicht erwiesen

 

Angesichts des Umstandes, dass sich die Klägerin, der Ehemann der Klägerin und der Zeuge A. untereinander seit der Kindheit kannten, sei eine derartige Mitteilung jedoch für sich genommen nicht so ungewöhnlich und rechtfertige auch für sich genommen nicht den Ausspruch einer Kündigung. Es sei möglich, dass die Mitteilung der Klägerin an ihren Ehemann bereits mit dem Ziel erfolgte, dass dieser sich noch durch eine Beteiligung an dem Einstellungsvorgang einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen könnte. Dies sei jedoch spekulativ.
Eine Beteiligung der Klägerin könne auch nicht in der Entgegennahme und Unterzeichnung des Vermittlungsgutscheins am 18.06.2008 gesehen werden, den A. ihr überreicht haben will. Dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt positive Kenntnis davon hatte, dass der Einstellung des Zeugen A. keine Vermittlungsbemühungen ihres Ehemannes zu Grunde gelegen habe, sei Spekulation mit dem gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad, wie die bereits vorher angeführten Tatsachen.

 

Gericht hält Arglosigkeit der Klägerin für möglich

 

Eine derartige Kenntnis allein aus dem ehelichen Verhältnis zu schließen, sei der Kammer angesichts der Vielfältigkeit von Möglichkeiten, wie Ehen gelebt werden können, versperrt gewesen. Daher habe die Klägerin dem Vermittlungsgutschein damals auch nicht die Bedeutung zumessen müssen, die er heute in den Augen der mit dem Vorgang insgesamt vertrauten Personen habe. Zudem habe das LAG nach dem persönlichen Eindruck von der Klägerin trotz der Indizien eine Arglosigkeit für jedenfalls gut möglich gehalten.

 

Rechtsmittelverzicht der früheren Arbeitgeberin

 

Im Übrigen sei auch von einem Verzicht auf Kündigung auszugehen, da die Gemeinde B. nach dem Urteil des ArbG Schwerin, mit dem die erste Kündigung verworfen worden war, die Berufung gegen dieses Urteil zurückgezogen und auf weitere Schritte gegen die Klägerin verzichtet habe. Diesen Verzicht müsse sich die neue Arbeitgeberin zurechnen lassen.

Folgen für die Praxis, Bettina Fraunhoffer LL.M.:

Der Arbeitgeber kann den Arbeitgeber verhaltensbedingt fristlos kündigen. Es gibt die sog. Verdachtskündigung und die Tatkündigung.

Hält der Arbeitgeber die Straftat oder schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers für erwiesen, kann er eine Tatkündigung aussprechen. Damit steht nicht fest, ob das Arbeitsgericht die Beweislage genauso beurteilt, wenn der Arbeitnehmer sich gegen die Kündigung wehrt. Daher spricht der Arbeitgeber oftmals lieber eine Verdachtskündigung aus, um die es in diesem Fall ging.

Grundlage der Verdachtskündigung ist kein nachgewiesenes Verhalten, sondern der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren Verhaltens oder erheblicher Pflichtverletzung. Diese müssen die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört haben. Die Voraussetzungen sind daher: Ein auf Tatsachen begründeter Verdacht z.B. strafrechtlicher schwerwiegende Verfehlungen, vorherige Anhörung des Arbeitnehmers und einer Interessensabwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und Arbeitgebers.

Das BAG vertritt die Ansicht, dass die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung nicht von der strafrechtlichen Würdigung des Verhaltens abhängt. Allein die Beeinträchtigung des für das Arbeitsverhältnis erforderlichen Vertrauens durch den Verdacht sei relevant. D.h. dass nicht einmal eine Verurteilung oder Einstellung gegen Geldauflage die Kündigung wirksam macht. Die Beurteilung im Strafverfahren sei für die Arbeitsgerichte daher nicht bindend, so dass es den Fall geben kann, dass zwar eine Verurteilung beim Strafgericht geschieht, jedoch die Kündigung für unwirksam erklärt wird, obwohl beide auf dem gleichen Verhalten fußen. Die Arbeitsgerichte können in eigene Zuständigkeit entscheiden.

Stellt sich bei einer Verdachtskündigung heraus, dass der Verdacht von vornherein unbegründet war, kann ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung in Betracht kommen. Wohingegen es auch leider sein kann, dass zwar das Strafgericht feststellt, jedoch die Kündigung vor dem Arbeitsgericht als wirksam erklärt wird.

Die vorliegende Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, sondern ist beim BAG anhängig. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG seine Ansicht, die es in der Entscheidung zur Frage der Einstellung des Strafverfahrens geäußert hat, ändert.



Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 20.02.2013, 2 Sa 168/12