Bagatellkündigungen Mit einer dieser so genannten Bagatellkündigungen musste sich ganz aktuell das Arbeitsgericht Mannheim unter großem Medieninteresse beschäftigen. In diesem Verfahren hat die Ver.di-Rechtssekretärin Michaela Weltner die Klägerin vertreten.

Die Parteien

Die Arbeitgeberin ist eine Internatsschule, bei der die Klägerin 32 Jahre lang als Heilerziehungspflegerin beschäftigt war.

Die Vorwürfe

Die Arbeitgeberin hat die außerordentliche fristlose Kündigung damit begründet, die Klägerin habe

  • die schuleigene Waschmaschine privat genutzt
  • die Jutetasche einer Kollegin beim Wichteln an eine Schülerin gegeben
  • Schokolade einer Kollegin im Wert von 2,50 € gegessen.

Die Einschätzung des Gerichts

Die Vorwürfe „Waschmaschinenbenutzung“ und „Jutetasche“ überzeugten das Gericht nicht. Zu unklar blieb, ob die Klägerin davon ausgehen durfte, das Benutzen der Waschmaschine sei erlaubt. Zu unsicher war, ob die Klägerin die Jutetasche verschenken durfte.
Übrig blieb allein die Wegnahme der Schokolade im Wert von 2,50 €.

Fälle, bei denen Arbeitnehmer*innen ebenfalls lediglich geringwertige Sachen gestohlen oder unterschlagen haben, waren beim Bundesarbeitsgericht bereits mehrfach auf der Tagesordnung.

Prominenter Fall einer Bagatellkündigung 1: „ Bienenstich"

Die damalige Klägerin arbeitete in einem Warenhaus als Buffetkraft. Sie nahm sich ein Stück Bienenstichkuchen ohne es zu bezahlen und verzehrte es hinter der Bedienungstheke.
Das Bundesarbeitsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 17.05.84 (2 AZR 3/83) klar, dass auch die Entwendung einer Sache von geringem Wert durch den Arbeitnehmer an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben.

Damit war entschieden, dass es eine Bagatellgrenze - wie etwa im Strafrecht - im Arbeitsrecht nicht gibt. Für die Frage, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung vorliegt, kommt es auf den Wert der gestohlenen oder unterschlagenen Sache nach dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht an.

Prominenter Fall einer Bagatellkündigung 2: „Emmely-Fall“

Emmely arbeitete als Verkäuferin mit Kassentätigkeit bei einem Einzelhandelsunternehmen. Sie löste zwei Leergutbons im Gesamtwert von 1,30 € ein, ohne das Pfand vorher bezahlt zu haben.
In seinem Urteil vom 10.06.10 (2 AZR 541/09) ist das Bundesarbeitsgericht nicht vom Inhalt der zuvor vorgestellten Entscheidung abgewichen. Auch im „Emmely-Fall“ liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung unabhängig vom Wert der Bons vor.

Neu an dieser Entscheidung ist jedoch, dass das Gericht im Rahmen der bei jedem Fall vorzunehmenden Interessenabwägung auf einen besonderen Gesichtspunkt hinweist. Eine außerordentliche fristlose Kündigung setzt unter anderem voraus, dass dem Arbeitgeber einen Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist. Diese Unzumutbarkeit kann sich daraus ergeben, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen zerstört ist.

Das kann dann nicht der Fall sein, wenn Arbeitnehmer*innen bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt waren, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört.

Damit räumt das Bundesarbeitsgericht gerade einer langen, ungestörten Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Interessenabwägung einen hohen Stellenwert ein.
Für Emmely bedeutete das, dass ihr Verhalten durch eine Abmahnung ausreichend sanktioniert gewesen wäre und die Kündigung deshalb unwirksam war.

Zurück zum „Schokoladen-Fall“

Im Hinblick auf die Schokolade deutete das Gericht an, dass es dazu neige, der „Emmely-Entscheidung“ zu folgen.

Bei diesem Stand der Dinge blieb der Arbeitgeberin nichts anderes übrig, als einem Vergleich zuzustimmen. Darin ist unter anderem nicht nur geregelt, dass die Parteien das Arbeitsverhältnis fortsetzen, sondern auch, dass die Klägerin das Gehalt nachbezahlt bekommt, das seit der Kündigung angefallen ist.

Die Klägerin konnte sich also auf die tatkräftige Unterstützung des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes verlassen und zusammen mit ihm erreichen, dass sie ihren Arbeitsplatz behält.

Hier geht es zum sog. „Bienenstichfall“ Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.05.1984, Az: 2 AZR 3/83
und
Hier geht es zum sog. Emmely-Fall“ - Bundesarbeitsgericht Urteil vom 10.06.2010, Az: 2 AZR 541/09