Verpflichtung die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Bildquellenangabe: S. Hofschlaeger / pixelio.de)
Verpflichtung die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (Bildquellenangabe: S. Hofschlaeger / pixelio.de)

Der als Montageschlosser in einem Betrieb mit etwa 1.800 Mitarbeitern tätige, ledige Kläger hat zwei minderjährige Kinder, denen er zum Unterhalt verpflichtet ist. Aufgrund von Auftragsrückgängen sprach die Beklagte ihm eine betriebsbedingte Kündigung aus, wogegen er Kündigungsschutzklage erhob. Zur Begründung seiner Klage berief sich der Kläger zunächst darauf, dass der Arbeitgeber im Rahmen der Sozialauswahl nur ein Kind berücksichtigt hatte. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass die Unterhaltspflicht des Vaters nicht zu berücksichtigen sei, weil die Kinder von ihren Großeltern Zuwendungen erhalten würden.

Dieser schon recht seltsam anmutenden Argumentation des Arbeitgebers folgte das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz nicht und entschied mit Urteil vom 29.01.2015, dass die betriebsbedingte Kündigung rechtswidrig gewesen ist. 

Anzahl der Kinder auf Lohnsteuerkarte sagen nicht immer etwas über die tatsächlichen Unterhaltsverpflichtungen aus

Zur Begründung führte die 5. Kammer des LAG Rheinland-Pfalz aus, dass der Arbeitgeber die Unterhaltspflicht gegenüber beiden minderjährigen Kindern auch dann zu berücksichtigen habe, wenn sich dies nicht aus der Lohnsteuerkarte ergibt. Überdies, so das LAG, hätte der Arbeitgeber auch wissen müssen, dass der Kläger zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, weil dieser zweimal eine Elternzeit in Anspruch genommen hatte. Die Verneinung einer bestehenden Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinen beiden Kindern mit dem Argument, dass die Kinder von den Großeltern finanziell unterstützt werden, konnte die zur Entscheidung berufene Kammer nicht überzeugen.  Das  ergebe sich schon daraus, dass Großeltern normalerweise nicht unterhaltspflichtig sind, da  eine vorrangige Unterhaltspflicht der Eltern besteht. Aufgrund dieser Nachrangigkeit sei der Kläger als Vater der Kinder  zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Da die Beklagte die Unterhaltspflichten des Klägers  im Rahmen der Sozialauswahl nicht ausreichend berücksichtigte, obwohl ihr bekannt war, dass der Kläger Vater zweier unterhaltspflichtiger Kinder ist, war der Kündigungsschutzklage stattzugeben. 

Anmerkung:

Nicht wenige Gerichte der ersten und zweiten Instanz  und auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) gehen davon aus, dass sich die Zahl der Unterhaltsverpflichtungen grundsätzlich aus den Angaben auf der Lohnsteuerkarte ergibt.  Der Arbeitgeber könne hierauf vertrauen. Dieser Auffassung vermag der Autor nicht zu folgen, denn mit Unterhaltspflichten sind die familienrechtlichen Unterhaltspflichten gemeint und nicht nur die gegenüber Kindern. 

Unterhaltsverpflichtungen nicht nur auf Kindsunterhalt begrenzt!

Da die kinderbezogenen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte nur begrenzt etwas über das Bestehen familienrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen aussagen, ist zu dem Ergebnis zu kommen, dass § 1 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht nur auf die in der Lohnsteuerkarte eingetragene Anzahl der Kinder abhebt. Folgt man dieser als zutreffend anzunehmenden Auffassung, so ist zu dem Ergebnis zu kommen, das es im Rahmen der Sozialauswahl auf die tatsächlichen Unterhaltspflichten, nicht aber allein auf die in der Lohnsteuerkarte eingetragene Anzahl der Kinder, ankommt.

In seiner Entscheidung vom 17.01.2008, Az.:  AZR 405/06, geht auch das BAG zunächst noch davon aus, dass im Rahmen der Sozialauswahl die tatsächlichen Unterhaltspflichten und nicht die in der Lohnsteuerkarte eingetragene Anzahl der Kinder maßgebend sei, um sodann aber, einige Zeilen weiter, auszuführen:

„Den Bedürfnissen  der Praxis ist ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitgeber auf die ihm bekannten Daten vertrauen kann, wenn er keinen Anlass zu der Annahme hat, sie könnten nicht zutreffen“.

Arbeitnehmer sollten Unterhaltsverpflichtungen, die sich nicht aus der Lohnsteuerkarte ergeben, dem Arbeitgeber mitteilen

Im Klartext bringt das BAG hiermit zum Ausdruck, dass ein Arbeitnehmer gefälligst selbst dafür Sorge zu tragen hat, dass dem Arbeitgeber all seine persönlichen und für eine möglichst fehlerfreie Sozialauswahl notwendigen Daten vor Kündigungsausspruch bekannt gemacht werden. Dies ist nach hiesiger Auffassung eine überspannte Forderung zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer*innen.

In den vom LAG Rheinland-Pfalz entschiedenen Fall wies die Lohnsteuerkarte des Klägers zwar nur ein unterhaltpflichtiges Kind aus. Da die Beklagte aber in dem Wissen war, dass der Kläger zweimal eine Elternzeit in Anspruch genommen hatte, musste sie sich dieses Wissen zurechnen lassen und konnte daher nicht auf die Richtigkeit der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte des Klägers vertrauen.

Im Lichte der Rechtsprechung des BAG zum Thema „Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen im Rahmen der Sozialauswahl“ und der hieraus gezogenen Erkenntnisse, kann nur angeraten werden, bestehende Unterhaltsverpflichtungen, die sich nicht aus der Lohnsteuerkarte ergeben, dem Arbeitgeber mitzuteilen. Damit soll verhindert werden, dass dieser sich im Falle einer betriebsbedingten Kündigung nur auf die Daten beziehen kann, die sich aus der Lohnsteuerkarte ergeben. Denn der Arbeitgeber muss nach der Rechtsprechung vor dem Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen nicht jeden Arbeitnehmer befragen, ob die Eintragungen auf seiner Lohnsteuerkarte richtig und vollständig sind, oder ob sonstige familienrechtliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen.

Wenn betriebsbedingte Kündigungen drohen, Personalakte vervollständigen!

Wird bei einem Arbeitnehmer ein Kind zum Beispiel deshalb nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen, weil das Kind bei dem Ehegatten eingetragen ist und ist dem Arbeitgeber nicht bekannt, dass der Arbeitnehmer ein Kind hat, so kann er auf die Richtigkeit der Lohnsteuerkarte vertrauen. Wenn  Arbeitnehmer*innen davon Kenntnis erhalten, dass betriebsbedingte Kündigungen im Raum stehen, sollten sie von sich aus ihre Personalakte vervollständigen lassen. Damit kann verhindert werden, dass im Rahmen der Sozialauswahl von falschen oder unvollständigen Unterhaltsverpflichtungen ausgegangen wird.

Bekanntgabe von Unterhaltsverpflichtungen nach Kündigungsausspruch bleiben unberücksichtigt

Wird erst nach Zugang der Kündigung auf Unterhaltsverpflichtungen, die dem Arbeitgeber nicht bekannt waren, hingewiesen, ist es zu spät. Nach der arbeitsgerichtlichen und nicht gerade arbeitnehmerfreundlichen Rechtsprechung ist die Sozialauswahl dann, in rechtlicher Sicht, trotzdem richtig vom Arbeitgeber vorgenommen worden.

DOWNLOAD:

§ 1 Abs. 3 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Entscheidung des Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.01.2008, Az.:  AZR 405/06

Vollständiges Urteil Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.01.2015, Az. 5 Sa 390/14