Verhaltensbedingte Kündigung bei "Burnout"?
Verhaltensbedingte Kündigung bei "Burnout"?

In einer von dem Berliner Büro der DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen Kündigungsschutzsache wurde eine als verhaltensbedingte Kündigung für unwirksam erklärt. Gründe, die eine solche Kündigung würden, konnte die Richter*innen der 48. Kammer des Berliner Arbeitsgerichts nicht erkennen. Insbesondere stellten sich die Gründe als nicht verhaltensbedingt heraus. Die eigentliche Ursache der Kündigung lag in der depressiven Erkrankung des Klägers.


Depressive Erkrankungen des Arbeitnehmers  können im Arbeitsverhältnis zu schweren Konflikten führen. Der Beschäftigte mag weniger leistungsfähig sein und aufgrund der Erkrankung höhere Fehlzeiten aufweisen. Für Arbeitgeber ist das leider oft eine Motivation zu einer Kündigung aus anderem Anlass beispielsweise aus verhaltensbedingten Gründen. Nur selten wird der Arbeitsplatz geeignet angepasst.  
 

Hohe psychische Belastung bei Tätigkeiten in helfenden Berufen

 
Gerade in helfenden Berufen sind die Arbeitsunfähigkeitszeiten mit der Zusatzdiagnose Burnout  extrem hoch. Heimleiter und  Sozialpädagogen führen die Statistiken der AOK  an. 233 Arbeitsunfähigkeitstage je 1000 Beschäftigte liegen weit über dem Niveau anderer Berufsgruppen, wobei der Trend des Anstiegs der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Diagnosen nicht abreißt (vgl.  zuletzt AOK Fehlzeitenreport 2016, AOK Pressekonferenz 12. September 2016).  
 

Gemeinnützige Werkstatt für Behinderte verkennt gesundheitliche Situation eines im Erziehungsdienst tätigen Gruppenleiters

  
Im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren des Arbeitsgerichts Berlin wollte eine gemeinnützige Werkstätte für Behinderte sich von einem Gruppenleiter im Erziehungsdienst über eine verhaltensbedingte Kündigung trennen. Der Arbeitgeber vernachlässigte aber, dass an depressive Beschäftigte nur Verhaltensanforderungen gestellt werden dürfen, die auf die gesundheitliche  Situation des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen.
 

Mehrfaches unentschuldigtes Fehlen kann Kündigung begründen. Voraussetzung ist aber ein schuldhaftes Verhalten


Der Kläger hatte unstreitig mehrfach unentschuldigt  gefehlt, insbesondere seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unstreitig wiederholt nicht oder nicht rechtzeitig eingereicht. Der Kläger war hierfür auch abgemahnt worden.  Fehlleistungen, die bei gesunden Beschäftigten eine verhaltensbedingte Kündigung ggf. rechtfertigen können.
   
Depressionen setzen jedoch die Steuerungsfähigkeit herab. Der Kläger machte geltend, aufgrund der Erkrankung vollkommen antriebslos gewesen zu sein, er habe an Erschöpfung gelitten, an massiven Schlafschwierigkeiten, Grübeln usw., was auch ärztlich bestätigt wurde.
 
Aufgrund der Erkrankung habe der Kläger die Erkrankung nicht mehr anzeigen können und sei insoweit schuldunfähig.

Das Arbeitsgericht gab dem Kläger mit der  formalen Begründung Recht, die Kündigung sei bereits  kurz vor einer vom Arbeitgeber für erforderlich gehaltenen Abmahnung zugegangen und schon aus diesem Grunde unwirksam.

Das Arbeitsgericht prüfte deswegen nicht ausführlich, ob bei einem krankheitsbedingten Verlust der Steuerungsfähigkeit überhaupt eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden darf. Dies ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht der Fall (vgl. dazu mit einem Sonderfall bei bipolarer Störung: Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein 9.6.2011, Az: 5 Sa 509/10).
 
Die Kündigung verlangt ein schuldhaftes Verhalten, dass bei einer vorliegenden Depression, die die Steuerungsfähigkeit einschränkt, entfallen kann. Dies sollte der Arbeitnehmer anhand ärztlicher Stellungnahmen oder Gutachten darlegen.
  
Bei eingeschränkter Steuerungsfähigkeit muss der Arbeitgeber gemäß § 241 Absatz 2 BGB  Rücksicht auf den Beschäftigten nehmen und versuchen die Arbeitsleistung wieder möglich zu machen. Insbesondere darf der Arbeitgeber die Verhaltensanforderungen nicht verschärfen. Im entschiedenen Fall verkürzte der Arbeitgeber in Kenntnis der Erkrankung die Frist zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, um den Arbeitnehmer dann vermeintlich leichter zu kündigen können. Dieser Plan ging im entschiedenen Fall nicht auf.
 

Arbeitgeber erklärt sich nach Prozessende bereit, den Arbeitsplatz des Klägers anzupassen


Nach dem verlorenen Prozess erklärte sich der Arbeitgeber bereit, den Arbeitsplatz an die Situation des in Therapie befindlichen Klägers anzupassen. Dies sollte gerade bei helfenden Berufen mit hohem „Burnoutrisiko“ selbstverständlicher Standard sein. Dem Beschäftigten ist zu raten, frühzeitig externe therapeutische Hilfen in Anspruch zu nehmen  - nicht nur im Hinblick auf einen eventuell stattfindenden Arbeitsgerichtsprozess.


Hier finden Sie das vollständige rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.10.2016:

 

Hier können Sie das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig Holstein 09.06.2011, Az: 5 Sa 509/10 abrufen:

Hier geht es zum AOK Fehlzeitenreport 2016, AOK Pressekonferenz 12. September 2016:

Rechtliche Grundlagen

Praxistipp: § 241 (2) Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten