Fristlos gekündigter Kurierfahrer setzt vorläufige Weiterbeschäftigung durch. © Adobe Stock - Von Tyler Olson
Fristlos gekündigter Kurierfahrer setzt vorläufige Weiterbeschäftigung durch. © Adobe Stock - Von Tyler Olson

Gegenüber einem als "Rider" beschäftigten Arbeitnehmer erklärte der Arbeitgeber, der einen Kurierdienst betreibt, eine außerordentliche Kündigung. Begründet wurde die Kündigung damit, dass der Kuriertätigkeiten versehende Beschäftigte sich an einem illegalen Streik beteiligt habe.

Arbeitnehmer begehrt (vorläufige) Weiterbeschäftigung

Im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens verlangte der Kläger seine weitere tatsächliche Beschäftigung. Er machte geltend, dass er auch vor der bisher noch ausstehenden Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Kündigung vorläufig weiterbeschäftigt werden müsse. Die offensichtliche Unwirksamkeit ergebe sich daraus, da er Mitglied des Wahlvorstands für die anstehende Betriebsratswahl gewesen sei.

Arbeitsgericht weist Antrag ab

Erstinstanzlich war seinem Antrag auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung kein Erfolg beschieden. Das Arbeitsgericht wies seinen Antrag ab. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg ein.

LAG: Kündigung offensichtlich unwirksam

Anders als das erstinstanzliche Gericht sahen es die Richter*innen des LAG. Das Berufungsgericht hat dem Antrag des Klägers für die Zeit bis zum Ablauf der vereinbarten Befristung seines Arbeitsverhältnisses stattgegeben und ausgeführt, der erforderliche Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund liege vor. Denn es sei von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auszugehen.

Gemäß den von ihm glaubhaft gemachten Angaben zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei der Kläger Mitglied des Wahlvorstands gewesen. Hieraus ergebe sich, so das LAG, dass er von dem besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erfasst werde.

Die Beklagte versäumte es, das Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten

Da die Beklagte die außerordentliche Kündigung aussprach, ohne zuvor das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2a Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) durchzuführen, so das Gericht, sei von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis auszugehen. Mithin auch ein Anspruch auf Beschäftigung bestehe.

Beschäftigungsinteresse überwiegt

Der Anspruch auf (vorläufige) Beschäftigung sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzbar, da einerseits das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung sonst durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren sei. Andererseits könne man kein berechtigtes Interesse der Arbeitgeberin annehmen, dass der rechtswidrige Zustand aufrecht erhalten bliebe. Hiervon ausgehend überwiege im Hinblick auf den Zweck des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes das Beschäftigungsinteresse des Klägers.

Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des LAG ist nicht gegeben.

Über die Frage der Zulassung der Revision hatte das LAG nicht zu entscheiden, da gemäß § 72 Abs. 4 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) die Revision vom Berufungsgericht, wenn es sich um ein einstweiliges Verfügungsverfahren handelt, nicht zugelassen werden kann.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des LAG Berlin-Brandenburg:

Rechtliche Grundlagen

§ 15 Absatz 3 KSchG; § 103 Abs. 2a BetrVG; § 72 Abs. 4 ArbGG

§ 15 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Unzulässigkeit der Kündigung

3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.







Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

§ 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen



(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.



F:(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2a) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht.:F



(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.







§ 72 Abs. 4 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)

Revision nicht zulässig



(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.