Betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung – Anspruch auf Entfernung? © Adobe Stock - Von kwarner
Betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung – Anspruch auf Entfernung? © Adobe Stock - Von kwarner

Im Frühjahr 2021 führte die Gewerkschaft ver.di mit einem Krankenhausbetreiber Verhandlungen zu einem Firmentarifvertrag. Im Verlauf der Tarifauseinander-setzungen verfasste der Betriebsrat (BR) des Krankenhauses ein Schreiben an die  Geschäftsleitung (GF), das von dieser als unzulässige Parteinahme für die gewerkschaftlichen Tarifforderungen bewertete.

Auf das Schreiben des BR sah sich die GF veranlasst, diesem eine „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“ sowie ein weiteres Schreiben an die Betriebsratsvorsitzende (BRV) zukommen zulassen. In diesen Schreiben unterstellte die GF dem BR einen angeblichen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Betriebsrats in der Lohnpolitik und wies auf die Möglichkeit einer Auflösung des Betriebsrats gem. § 23 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hin. Daraufhin rief der BR das Arbeitsgericht mit dem Ziel an, den Krankenhausträger zur Entfernung zweier sog. „betriebsverfassungsrechtlicher Abmahnungen“ aus den Betriebsratsakten sowie zur Rücknahme der in den Schreiben geäußerten Bewertungen zu verpflichten.

Das Arbeitsgericht Magdeburg wies die Anträge des BR zurück und fasste seine wesentlichen Überlegungen in den nachfolgenden fünf Leitsätzen zusammen:

1. Bei einer Abmahnung gegenüber dem Betriebsratsgremium besteht eine andere Sach- und Rechtslage als bei einer Abmahnung im Arbeitsverhältnis. Es gibt weder eine Personalakte für das Betriebsratsgremium, noch kann die berufliche Entwicklung des Betriebsratsgremiums beeinträchtigt werden. Der Betriebsrat ist die demokratisch legitimierte Interessenvertretung der Belegschaft, deren Rechten und Pflichten sich aus dem Gesetz ergeben. Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber besteht kein arbeitsvertragliches Schuldverhältnis, in dessen Rahmen der Arbeitgeber als Gläubiger eines Weisungsrechts auf die Verletzung von Vertragspflichten und deren Konsequenzen hinweisen muss. Der Betriebsrat kann den Beseitigungsanspruch nicht auf eine Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts stützen. § 1004 BGB kommt nicht in Betracht.

2. Die Terminologie "Abmahnung" im kollektivrechtlichen Kontext suggeriert zu Unrecht eine Vergleichbarkeit mit einer individualrechtlichen, hergebrachten Abmahnung.

3. § 78 BetrVG begründet bei einer Störung oder Behinderung der Arbeit des Betriebsrats durch den Arbeitgeber einen Unterlassungsanspruch. Der Begriff der Behinderung ist umfassend zu verstehen; allerdings nicht so umfassend, dass bereits Kritik des Arbeitgebers, die von Betriebsratsmitgliedern als Einschüchterung empfunden wird, als zu beseitigende Behinderung aufzufassen ist. Ein als „Abmahnung“ betiteltes Schreiben des Arbeitgebers kann der Betriebsrat grundsätzlich nicht nach § 78 BetrVG entfernen lassen.

4. Die Rücknahme einer rechtlichen Bewertung kann nur bedeuten, dass der Arbeitgeber seine Meinung ändern und selbst von der Unwahrheit oder fehlenden Berechtigung der Bewertung überzeugt sein soll. Niemand kann aber gegen seinen Willen gezwungen werden kann, seine Rechtsauffassung zu ändern.

5. Ein Widerrufsanspruch besteht entsprechend den §§ 242, 1004 BGB nur dann, wenn eine Abmahnung auch Dritten gegenüber bekannt gegeben worden ist; ein Widerrufsanspruch ist ausgeschlossen, wenn etwaige beleidigende oder unrichtige Äußerungen nur dem Verletzten gegenüber gefallen sind.

 

Sollte Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgericht Magdeburg eingelegt werden, werden wir darüber berichten.

Hier finden Sie den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 12. Januar 2022:

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung ist vom Ergebnis her in Ordnung. Dazu muss man sich zunächst anschauen, was eine Abmahnung überhaupt darstellt.

Im Grunde ist sie lediglich eine einseitige Aufforderung an einen anderen, eine Handlung oder Äußerung zu unterlassen. In erster Linie soll sie dazu dienen, etwaigen gerichtlichen Streitigkeiten vorzubeugen. Eine Abmahnung macht daher rechtlich gesehen nur einen Sinn, wenn sie auf tatsächliche Ansprüche zielt. Also etwa darauf, vertragliche Pflichten einzuhalten oder Rechtsverstöße zu unterlassen. Im Zivilrecht dient eine Abmahnung in der Regel dazu, im Falle einer Klage ein sofortiges Anerkenntnis der Gegenseite zu vermeiden, was zur Folge hätte, dass der Kläger die Verfahrenskosten zu tragen hätte.

Im Arbeitsrecht hat die Abmahnung dagegen vor allem bei verhaltensbedingten Kündigungen Bedeutung. Diese können nämlich unwirksam sein, selbst wenn ein Kündigungsgrund vorliegt. In der Regel muss der Arbeitgeber nämlich vor einer Kündigung dem Beschäftigten deutlich machen, das er ein bestimmtes Verhalten für vertragswidrig hält, nicht duldet und im Fall weiterer vergleichbarer Untaten das Arbeitsverhältnis kündigen wird.

Eine Abmahnung ist also eine Art "gelbe Karte". Der Arbeitnehmer weiß jetzt, was sein Arbeitnehmer über ein bestimmtes Verhalten denkt. Eine weitere Funktion hat die Abmahnung eigentlich nicht. Zwar gibt es nach der Rechtsprechung einen Anspruch von Beschäftigten, dass unberechtigte Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen sind. Die eben beschriebene Warnwirkung behält die Abmahnung gleichwohl, weil der Arbeitnehmer ja trotzdem weiß, welches Verhalten der Arbeitgeber offensichtlich missbilligt. Aus diesem Grund empfehlen wir auch nur in Ausnahmefällen, gegen Abmahnungen gerichtlich vorzugehen. 

Wenn es zur Kündigung kommt, muss nämlich der Arbeitgeber im Zweifel beweisen, dass er zuvor wirksam abgemahnt hat. Deshalb sind Abmahnungsstreitigkeiten beim Arbeitsgericht häufig eine Art Beweissicherungsverfahren für den Arbeitgeber. Und ein solches Geschäft sollten wir Arbeitnehmer*innen nicht betreiben.

Jetzt aber zurück zum Fall: die "betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung" hat eigentlich keine erkennbar rechtlich relevante Funktion. Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber gibt es keine vertraglichen Beziehungen, die eine der beiden Betriebsparteien kündigen könnte. Es gibt keine Rechtsstellung wie Gläubiger und Schuldner. 

Werden gesetzliche Pflichten vom Betriebsrat oder eines seiner Mitglieder verletzt, beschreibt § 23 BetrVG die Konsequenzen. Für die Einleitung eines Verfahrens nach § 23 Abs. 1 BetrVG ist eine Abmahnung überhaupt nicht erforderlich. Es ist in der arbeitsrechtlichen Literatur auch umstritten, ob es überhaupt so etwas wie eine wirksame betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung gibt. Zuzustimmen ist der Rechtsauffassung, dass solche Abmahnungen nur den Zweck haben können, das so angesprochene Betriebsratsmitglied in der Ausübung seiner Amtstätigkeit zu verunsichern.

Klar ist, dass solche "Abmahnungen" in den Personalakten eines betroffenen Betriebsratsmitglieds nichts zu suchen haben. Die Personalakte dient allein dem individualrechtlichen Arbeitsverhältnis, von dem das betriebsverfassungsrechtliche Amt kein Teil ist. Insoweit dürfte es einen Beseitigungsanspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds geben (aus § 1004 BGB in Verbindung mit den allgemeinen Persönlichkeitsrechten Artikel 2 GG). 

Einen entsprechenden Anspruch des Gremiums sehen wir indessen nicht. Es gibt keine "Personalakte" des Betriebsrates, in der eine Abmahnung aufbewahrt werden könnte. Sie kann auch nicht wirklich der Einschüchterung des Betriebsrates dienen. Betriebsräte, deren Mitglieder durch die Fachgewerkschaft gut geschult sind, lassen sich durch unqualifizierte Warnungen der Arbeitgeber nicht einschüchtern. Sie kennen ihre Rechte.

Rechtliche Grundlagen

§ 23 Abs.1 und § 78 BetrVG, § 1004 BGB

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

§ 23 Verletzung gesetzlicher Pflichten



1) Mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Der Ausschluss eines Mitglieds kann auch vom Betriebsrat beantragt werden.



Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

§ 78 Schutzbestimmungen



Die Mitglieder des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, der in § 3 Abs. 1 genannten Vertretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle, einer tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) und einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86) sowie Auskunftspersonen (§ 80 Absatz 2 Satz 4) dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.



Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch



(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.